Folge 26: Leitbild „Leibniz Open Science“

The Future is Open Science – Folge 26: Leitbild „Leibniz Open Science“

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Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Professor Dr. Klaus Tochtermann
Direktor der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Vorstandsmitglied der European Open Science Cloud, Mitglied des wissenschaftlichen Senats der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur

[00:00:03] Doreen Siegfried:
Willkommen bei “The Future is Open Science”, dem Podcast der ZBW. Hier verraten Ihnen interessante Menschen aus dem Wissenschaftsbetrieb, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir tauchen ein, in die Tiefen der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und verraten Ihnen handfeste Tipps und Tricks zu Open Science in der Praxis. Ich bin Doreen Siegfried und freue mich sehr, Host dieses Podcast zu sein.

[00:00:32] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Wir haben heute den 22. Dezember 2022 und dieses Jahr war gefühlt ein Jahr der Open Science Policies. Deshalb reden wir heute über das Leitbild „Leibniz Open Science“, über den Entstehungsprozess, Inhalte, Implikationen eines solchen Leitbildes. Und zu Gast ist heute der Vorsitzende der Projektgruppe, die genau dieses Leitbild im Auftrag des Leibniz-Präsidiums erarbeitet hat. Herzlich willkommen, Professor Dr. Klaus Tochtermann.

[00:01:10] Klaus Tochtermann:
Guten Morgen beisammen. Guten Morgen, Doreen.

[00:01:12] Doreen Siegfried:
Ich stell einmal kurz unseren Gast vor. Klaus Tochtermann hat 2012 den Leibniz Forschungsverbund Open Science initiiert, 2014 die Internationale Open Science Konferenz ins Leben gerufen, die jetzt seitdem jährlich stattfindet. Klaus Tochtermann ist seit 2020 Vorstandsmitglied der European Open Science Cloud. Und wer jetzt gar nicht weiß, was es damit auf sich hat, dem empfehle ich Folge zwölf unseres Podcasts vom September 2021. Bitte da einfach kurz rein und da wird das erklärt. Klaus Tochtermann ist seit Oktober 2022, also seit ein paar Monaten, Mitglied des wissenschaftlichen Senats der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, kurz NFDI, und die meiste Zeit seit 2010 auch noch Direktor der ZBW. So viel zur Vorstellung. Man könnte sicherlich noch viel mehr sagen, aber das sind die Themen, die vor allem für das Thema Open Science relevant sind. Wir fangen mal an. Die Leibniz-Mitgliederversammlung hat am 24. November, also vor gut einem Monat, ein Leitbild „Leibniz Open Science“ verabschiedet. Und das Papier soll jetzt eine Orientierung für die Leibniz-Einrichtungen auf dem Weg zu einer offenen Wissenschaftskultur sein. Was heißt denn jetzt genau Orientierung? Was will dieses Leitbild?

[00:02:42] Klaus Tochtermann:
Dieses Leitbild hat zum Ziel, zunächst einmal Bewusstsein darüber zu schaffen, dass Open Science eine große Bewegung ist. Und sie möchte Anhaltspunkte geben für die Einrichtungen, um sich in diesem breiten Feld zu positionieren. Also es ist vor dem Hintergrund ein Rahmen und es ist auch so gestaltet, dass sich die Einrichtungen nicht mit Open Science insgesamt befassen müssen, sondern es besteht auch durchaus die Möglichkeit, sich mit einzelnen Dimensionen, die Bezug zu Open Science haben, beispielsweise Open Access oder offene Forschungsdaten, zu befassen.

[00:03:16] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Jetzt hat auch, ich hatte ja eingangs gesagt, dass dieses Jahr war wirklich, es gab viele Leitbilder-Policies an den Universitäten und auch die Helmholtz-Mitgliederversammlung hat im September, also kurz vor der Leibniz Gemeinschaft, eine Open Science-Richtlinie verabschiedet. Und dort wird Open Science zum Standard der Forschungspraxis etabliert, also das ist ein guter Schritt. Es gibt ganz konkrete Basisanforderungen an die Mitglieder der Helmholtz-Gemeinschaft und quantitative Indikatoren, ein Monitoring, vieles andere. Warum hat sich jetzt Leibniz für ein Leitbild entschieden und nicht für eine solche Richtlinie?

[00:03:58] Klaus Tochtermann:
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen haben wir bindendere Dokumente, die mit Open Science in Bezug stehen, beispielsweise Open Access oder eine Policy für Forschungsdaten oder zur guten wissenschaftlichen Praxis. Und die sind verbindlicher und sind quasi im Kontext von Open Science auch einzuordnen. Der Hauptgrund aber ist, dass in der Leibniz-Gemeinschaft ja mehr als 90 Einrichtungen aus den unterschiedlichsten Disziplinen Mitglied sind. Und es ist also quasi eine sehr heterogene Disziplinenlandschaft, die bei uns abgebildet ist. Und das macht es schwierig, eine Richtlinie tatsächlich vorzugeben, weil sich Open Science doch sehr an den Disziplinen in der Ausgestaltung orientiert.

[00:04:45] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Wie sieht es denn eigentlich aus bei den anderen, also bei der Fraunhofer-Gesellschaft, bei der Max-Planck-Gesellschaft mit solchen Leitbildern?

[00:04:55] Klaus Tochtermann:
Mir ist nicht bekannt, dass die solche Leitbilder haben, was nicht heißt, dass die Themen nicht unbedingt, also nicht wichtig sind für die Einrichtungen. Aber ein umfassendes Open Science-Leitbild oder Richtlinie von Fraunhofer, Max-Planck kenne ich nicht. Es hat auch natürlich damit zu tun, dass diese Einrichtungen einfach unterschiedliche Ziele haben. Also die Fraunhofer-Gesellschaft arbeitet ja sehr eng mit der Industrie zusammen, das muss berücksichtigt werden. Bei der Max-Planck-Gesellschaft geht es sehr stark auf wissenschaftliche Exzellenz, auch das muss berücksichtigt werden.

[00:05:29] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Gehen wir doch einfach mal die unterschiedlichen Handlungsfelder dieses Leitbildes durch. Also das Leitbild empfiehlt, dass die Leibniz- Einrichtungen sich institutsintern jeweils über eine Kultur der Offenheit verständigen. Und du hattest ja schon gesagt, es kommen sehr viele, also wir sind ja knapp 100 Leibniz-Einrichtungen. Wie kommen denn die internen Erfahrungen von diesen vielen und auch sehr unterschiedlichen Einrichtungen am Ende dann wieder zusammen im Sinne von Best Practice? Also, oder anders gefragt: In welchen Kontexten wird künftig eine Art Best Practice von einer Kultur der Offenheit diskutiert?

[00:06:11] Klaus Tochtermann:
Wir haben in der Leibniz-Gemeinschaft das Strategieforum „Open Science“, das Leibniz-Strategieforum „Open Science“. Das ist ein Instrument, das eingerichtet wurde auf Antrag vom Präsidium. Und das Leibniz-Strategieforum „Open Science“, das ist sozusagen das Instrument, in dessen Kontext genau diese Fragestellungen in den einzelnen Handlungsfeldern bearbeitet werden. Hier wird beispielsweise werden Foren angeboten, um Praktiken zu Open Science untereinander auszutauschen. Also ganz konkret wird es ab dem kommenden Jahr eine Veranstaltungsreihe geben, in der genau solche offenen Praktiken aus den Einrichtungen kommuniziert und miteinander ausgetauscht werden. Das ist ein Beispiel für die Umsetzung.

[00:06:58] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also das heißt, die Leibniz Institute, die das bei sich schon durchexerziert haben, können sich dort den anderen präsentieren und ihre Erfahrung teilen.

[00:07:09] Klaus Tochtermann:
Genau. Genau so ist der Plan.

[00:07:11] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und passiert dies dann sozusagen sektionsweise oder in den Arbeitskreisen? Oder gibt es da noch mal so andere Austauschformate? Oder läuft das allein über das Strategieforum „Open Science“?

[00:07:24] Klaus Tochtermann:
Das Strategieforum „Open Science“ ist jetzt erst mal das Instrument, um das überhaupt anzustoßen. Also wir werden, wie gesagt, eine solche Veranstaltungsreihe aufsetzen. Die ersten Präsentationen werden von Mitgliedern des Strategieforums gegeben, einfach um mal eine Initialzündung zu haben. In weiterer Folge können sich aber die Institute selbst auch anmelden mit Vortragsthemen. Wie sich das dann weiter ausrollt, kann ich im Moment nicht sagen. Natürlich ist es so, dass wir auch in den schon eben genannten anderen Arbeitsgruppen, heißen sie in der Leibniz-Gemeinschaft, beispielsweise „Open Access“ oder „Forschungsdaten“, intensive Diskussionen haben, die Bezug zu Open Science natürlich besitzen.

[00:08:06] Doreen Siegfried:
Ja, okay. In dem Leitbild steht, also ich zitiere mal: „Für die Schaffung von Anreizstrukturen ist eine Veränderung des wissenschaftlichen Bewertungssystems von großer Bedeutung.“ Wie kann man sich das jetzt konkret vorstellen?

[00:08:23] Klaus Tochtermann:
Im Moment ist halt die Bewertung der wissenschaftlichen Exzellenz allein am Output im Sinne von Publikationen orientiert und dann Zitationshäufigkeit und Qualität der Zeitschriften. Es gibt seit geraumer Zeit, angestoßen durch die Europäische Kommission, die Reform of Research Assessment und darauf nehmen wir indirekt Bezug. Diese Reform of Research Assessment hat eben zum Ziel, nicht nur diese quantitativen Indikatoren für die Bewertung von wissenschaftlichem Output heranzuziehen, sondern auch qualitativer und auch jenseits der Publikation. Also, beispielsweise bei uns in der Informatik, Open Source Software, die wir zur Verfügung stellen oder offene Forschungsdaten, die wir zur Verfügung stellen. Jenseits der Informatik gibt es im Wissenschaftssystem weitere Dimensionen, wie beispielsweise wissenschaftspolitische Beratungen. An welchen Policy-Dokumenten hat man beispielsweise mitgewirkt? Oder im Pakt IV für Forschung und Innovation als ganz wichtiges Thema Wissenstransfer zu nennen. Welche Wissenstransferaktivitäten hat man denn im Wissenschaftssystem geleistet? Und dadurch ist die Idee quasi das Spektrum, den Blumenstrauß an quasi ja Kriterien, entlang derer wissenschaftlicher Output und damit auch Exzellenz gemessen wird, zu vergrößern. Und darauf bezieht sich genau dieses Handlungsfeld.

[00:09:48] Doreen Siegfried:
Und kann man denn davon ausgehen, dass alle der unterschiedlichen Leibniz-Einrichtungen genau diese EU-Diskussion kennen?

[00:09:57] Klaus Tochtermann:
Das wird sicherlich auch ein Thema sein, dass wir das in Leibniz hinein kommunizieren. Es hat schon stattgefunden. Also das EU-Büro, Claudia Labisch beispielsweise, hat darüber berichtet in der Kommission der Infrastruktureinrichtungen und forschenden Museen, der KIM. Es ist aber sicherlich noch nicht überall verbreitet, was auch damit zusammenhängt, dass Open Science oder diese Bewegung in unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Abhängigkeit der Disziplinen vonstattengeht. Aber es ist eine Kommunikationsaufgabe für die Zukunft. Leibniz selbst hat aber, ist Mitglied in dieser quasi Einrichtung, die jetzt gegründet wurde, für die Reform of Research Assessment und damit auch in der Initialsitzung, konstituierenden Sitzung dabei und verfolgt das über unser Brüssel-Büro sehr, sehr eng.

[00:10:51] Doreen Siegfried:
Okay, also da gibt es da Prozesse. Ich möchte noch mal kurz zurückkommen auf diese Richtlinie der Helmholtz-Gemeinschaft. Die schreiben in ihrer Open Science Richtlinie, sie werden die Anwendung von Open Science-Praktiken im Rahmen der Bewertung von Forschungsleistungen anerkennen, wertschätzen und auch dazu Anreize für Open Science Praktiken schaffen. Warum ist das bei Leibniz anders aufgestellt?

[00:11:15] Klaus Tochtermann:
Weil es eben ein Leitbild ist und keine Leitlinie.

[00:11:19] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:11:19] Klaus Tochtermann:
Also die Leibniz-Gemeinschaft hat unterschiedliche Abstufungen von solchen Empfehlungsdokumenten. Und ein Leitbild ist ein Dokument, das Orientierung stiftet. Eine Leitlinie wäre tatsächlich etwas Verbindliches für die Einrichtungen. Hier haben wir uns, oder das Präsidium hat sich dafür entschieden, mit einem Leitbild zu beginnen.

[00:11:40] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Unter dem Punkt Anreizsysteme in diesem Leitbild ist auch die Rede von einer Anerkennung unterschiedlicher Rollen und Karrierepfade im Wissenschaftssystem. Was heißt das?

[00:11:54] Klaus Tochtermann:
Das heißt, dass wir auch, und wenn ich sage wir im Grunde alle Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft sich damit befassen müssen, was gibt es denn noch an Karrierepfaden jenseits des Ziels, Professor oder Professorin zu werden. Es gab beispielsweise innerhalb der KIM, also Kommission für Infrastrukturen und forschenden Museen, eine Arbeitsgruppe, die sich damit befasst hat, was sind Karrierepfade in den Infrastrukturen, weil nicht immer, wie gesagt, eine Professur am Ende stehen soll. Und nicht alle, die im Wissenschaftssystem bleiben wollen, wollen auf eine Professur, dem muss man auch Rechnung tragen. Das ist also der Hintergrund, dass wir uns damit befassen müssen, was sind denn jenseits einer Professur Karrierepfade, die man in einer Wissenschaftsorganisation wie der Leibniz-Gemeinschaft entwickeln kann.

[00:12:44] Doreen Siegfried:
Ja, okay, verstehe. Im Leitbild wird auch die aktive Beteiligung in nationalen und internationalen wissenschaftspolitischen Gremien im Kontext von Open Science begrüßt. Gibt es hier auch eine Art Incentive dafür? Wenn man tatsächlich sich diese Arbeit ans Bein bindet [lacht], sage ich mal.

[00:13:02] Klaus Tochtermann:
Na ja, also in den Leibniz-Einrichtungen – und damit schaue ich dann doch auf das Thema Evaluierung – gibt es drei verschiedene Bereiche, zu denen sich die Einrichtungen positionieren müssen. Das ist wissenschaftliche Exzellenz, das ist Wissenstransfer und das ist die wissenschaftspolitische Beratung. Vor dem Hintergrund ist dort ein Bereich, in dem man sich quasi einbringen kann, auch für Open Science. Die Open Science-Bewegung, also Open Science, ist ja noch nicht the new normal. Also da gibt es genügend Dinge, die noch zu tun sind. Und ich sagte das in der vorherigen Frage, dass im Kontext der Reform of Research Assessment ja auch anerkannt werden, quasi Outputs, die aus solchen Beratungsgremien entstehen, beispielsweise wenn es dort eine Recommendation für Open Science auf internationalem Level gibt, beispielsweise UNESCO, an der man mitgearbeitet wird, dann kann man die eben auch als Output seines wissenschaftlichen Schaffens angeben und nicht nur die wissenschaftliche Publikation in einer hochrangigen Zeitschrift oder hochrangigen Tagung.

[00:14:12] Doreen Siegfried:
Und wie werden die Arbeitsergebnisse, also du hast jetzt schon gesagt, okay, es werden Empfehlungen vielleicht erarbeitet in diesen nationalen internationalen Gremien. Also wie werden die Arbeitsergebnisse aus der Gremienarbeit dann wieder zurückgespielt in die Leibniz-Gemeinschaft, in die AGs, in die einzelnen Gruppen, in die Sektionen? Gibt es da schon Austauschformate?

[00:14:34] Klaus Tochtermann:
Ja. Zum einen ist die Leibniz-Gemeinschaft über verschiedenste Personen in unterschiedlichen Gremien drin. Beispielsweise in Arbeitsgruppen der Allianz-Organisation oder in Arbeitsgruppen Europäischer Science Policy in Organisationen. Auf europäischer Ebene ist das sehr gut koordiniert durchs EU Büro, das in Brüssel von der Leibniz-Gemeinschaft. Die anderen spielen das in ihre Arbeitsgruppen „Open Access“ beispielsweise, „Forschungsdaten“ zurück, tauschen sich dort aus. Diese Arbeitsgruppen wiederum sind alle in der vorhin angesprochenen KIM präsent, also Kommission für Infrastrukturen und forschende Museen. Sodass hier also der Informationsfluss wirklich von der Einzelperson über eine themenspezifische Arbeitsgruppe bis hin zur Einrichtung, die von dem Thema besonders betroffen sind, gewährleistet ist.

[00:15:28] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und jetzt hatte ich eingangs gesagt, als ich dich vorgestellt habe, seit 2014 gibt es die Open Science Konferenz als Austauschformat für Best Practice auf internationaler Ebene. Welche Funktion spielt diese internationale Fachtagung im Kontext der Umsetzung des Open Science-Leitbildes von Leibniz?

[00:15:55] Klaus Tochtermann:
Also zum einen ist es natürlich eine Plattform, um auch kennenzulernen, was tut sich international in dem Themenfeld, einfach um das Spektrum zu öffnen. Das ist aus meiner Sicht ganz, ganz wichtig, weil es uns doch gelingt, mehrere 100, vor allem wenn es virtuell stattfindet, Personen aus aller Welt zusammenzubringen. Das ist die eine Rolle. Die andere Rolle ist natürlich auch die, dass wir in der Open Science Tagung Ergebnisse aus Leibniz-Arbeitsgruppen, aus Leibniz quasi ja Projektgruppen hineinspielen können, zur Diskussion stellen können, um dann aufgrund der Rückmeldungen genau solche Projektpapiere, Leitbilder weiterzuentwickeln. Also es ist ein Austauschformat, das uns dazu hilft, international im Dialog mit unseren Peers, also mit Themenverwandten Expertinnen und Experten zu stehen.

[00:16:54] Doreen Siegfried:
Okay. Vielleicht kurzer Werbeblock hier für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Falls Sie 2023 im Juni noch nichts vorhaben, merken Sie sich doch schon mal vor, da findet die nächste Open Science Konferenz statt. Bei uns in der ZBW, ich würde jetzt gerne mal über die Umsetzung sprechen, weil ich glaube, das ist dann sozusagen das eigentlich interessante Thema. Bei uns in der ZBW haben wir ja unsere Science Policy-Koordinatorin Anna Maria Höfler, die zusammen mit den jeweiligen Themenverantwortlichen konkrete Ziele und Handlungsfelder besprochen hat, unseres Eckpunktepapieres. Und sozusagen koordiniert, dass diese dann sukzessive Schritt für Schritt abgearbeitet werden. Gibt es bei Leibniz ähnliche Modelle? Wie ist hier eigentlich die Umsetzung koordiniert?

[00:17:51] Klaus Tochtermann:
Nochmal, hier spielt an der Stelle das Strategieforum „Open Science“ eine ganz zentrale Rolle. Wir werden in einem ersten Schritt eine Bestandsaufnahme machen, wie weit ist eigentlich Open Science über alle Einrichtungen in der Leibniz-Gemeinschaft entwickelt. Damit man einfach mal weiß, wo stehen wir überhaupt. Und dann wird in zwei, drei Jahren eine erneute Umfrage gemacht, um zu sehen, was hat sich denn weiterentwickelt? Das ist also die Methodik, die wir anwenden. Letztendlich ist es dann wirklich in der Hoheit der Einzeleinrichtungen, sich zu dem Thema zu positionieren und zu dem Thema auch Maßnahmen für die eigene Einrichtung zu ergreifen.

[00:18:34] Doreen Siegfried:
Okay. Jetzt haben wir schon einige Male das Leibniz-Strategieforum erwähnt. Vielleicht kannst du das noch mal ganz kurz vorstellen. Was ist das eigentlich? Wer macht da mit? Was hat es für eine Rolle dieses Leibniz-Strategieforum?

[00:18:48] Klaus Tochtermann:
Die Leibniz-Gemeinschaft hat das Instrument eines Leibniz-Strategieforums, das zu unterschiedlichen Themenfeldern, insbesondere die Leibniz-Gemeinschaft bei der Entwicklung des Themenfelds unterstützt. Konkret haben wir das seit Anfang 2022, das Leibniz-Strategieforum „Open Science“. Das heißt, es ist hier ein Verbund von Leibniz-Einrichtungen. Ich glaube inzwischen, aus allen Sektionen sind hier Mitglieder, die eben gemeinsam an dem Thema arbeiten. Dann gibt es einen Sprecher:innenkreis, ich glaube, acht Personen, acht Einrichtungen sind da drin, die eben die quasi Umsetzungsschritte für die, ja fürs kommende Jahr festlegen und dann auch in Abstimmung in Rückspiegelung mit dem Präsidium, also es ist immer jemand auch von der Geschäftsstelle dabei, quasi dieses Thema aufgreifen und wie schon vorhin angesprochen für die Umsetzung verantwortlich sind, um konkret mit eigenen Ressourcen diese, ja die Weiterentwicklung von Open Science unterstützt. Das ist also das Strategieforum. Wenn ein solches Strategieforum eingerichtet ist, heißt das schon mal per se, dass das Thema – also konkret Open Science – für das Präsidium in der Leibniz-Gemeinschaft von hoher Bedeutung ist. Sonst gäbe es einfach kein Strategieforum zu dem Thema. Also das ist schon mal die erste wichtige Message, die mit der Existenz eines solchen Programms quasi ja festgelegt ist.

[00:20:25] Doreen Siegfried:
Und sieht sich dieses Strategieforum dann als eine Art Dienstleister für die Forschungsgemeinschaft?

[00:20:31] Klaus Tochtermann:
Dienstleister würde ich nicht sagen. Dienstleister nicht. Das liegt auch daran, dass ein Strategieforum per se erstmal gar keine Ressourcen aus der Leibniz-Gemeinschaft erhält. Wir können dann für Einzelinitiativen Anträge stellen, um aus dem Fonds des Präsidiums Mittel zu erhalten. Aber es ist, zunächst mal sind es alles Eigenleistungen, die wir auch gern bereitstellen, weil wir ja alle überzeugt sind vom Thema Open Science. Aber Dienstleistung hätte eine höhere Verbindlichkeit hinsichtlich der Reaktions- auch Fähigkeit auf Anfragen und die können wir nicht gewährleisten.

[00:21:08] Doreen Siegfried:
Ja, okay, okay. Welche Rolle nehmen dann bei der Unterstützung hin zu Open Science die Infrastrukturen ein, als ein sich dynamisch oder als dynamisch entwickelnde soziotechnische Strukturen. Gibt es da schon, also es gibt ja, anders gefragt, es gibt ja schon Angebote und Aktivitäten und Services der unterschiedlichen Infrastrukturen. Wie ist hier die Rolle innerhalb der Leibniz- Gemeinschaft?

[00:21:39] Klaus Tochtermann:
Also die Infrastrukturen waren ja auch diejenigen, die das Vorgängermodell des Leibniz-Strategieforums, den Leibniz-Forschungsverbund Open Science, vorangetrieben haben. Wir sind halt die Einrichtung, die dann tatsächlich die Publikationen Open Access stellen, die tatsächlich die Forschungsdaten offen oder fair zur Verfügung stellen. Wir sind ja diejenigen, die sich genau darum kümmern, dass wissenschaftlicher Output entsprechend der Open Science Prinzipien verortet wird. Vor dem Hintergrund sind wir natürlich hautnah an dem Geschehen dran und vor dem Hintergrund waren auch in der Vergangenheit die Infrastruktureinrichtungen sozusagen der Nukleus der Open Science-Bewegung in Leibniz. Das spiegelt sich auch auf deutscher und europäischer Ebene wider. Weil die großen Open Science-Initiativen dort sind in Deutschland, der Aufbau der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, wo eben Forschungsdaten entsprechender FAIR-Prinzipien disziplinübergreifend zur Verfügung gestellt werden. Und auf europäischer Ebene mit der European Open Science Cloud, mit der wird ja ein ähnliches Thema bezogen auf Forschungsdaten vorangetrieben und das ist auch quasi die Hauptbewegung in Europa, um Open Science zum „New Normal“ zu machen. Und das sind Infrastrukturthemen, die da behandelt werden.

[00:22:57] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und es gibt ja auch, wir hatten ja schon darüber gesprochen, ja auch verschiedene Austauschdialogformate, die ja auch von den Infrastruktureinrichtungen angeboten werden. Okay, wir hatten jetzt schon den EU-Bezug. Also inwiefern korrespondiert das Leitbild Leibniz Open Science mit ähnlichen Policy Papers anderer Forschungsgemeinschaften?

[00:23:18] Klaus Tochtermann:
Wir haben uns natürlich zahlreiche angeschaut, um einfach zu sehen, wo, also wie stark verpflichtend, bindend, wie breit kann Open Science aufgestellt werden? Für uns von zentraler Bedeutung waren die UNESCO Recommendations, weil die UNESCO Recommendations eben ein Framework sind für Open Science Policies. Das ist quasi nicht direkt eine Open Science Policy, sondern die stellen Rahmenbedingungen dafür, was eine Open Science Policy berücksichtigen sollte. Und das, und da gibt es dann enge Bezüge zu unserem Leitbild in der Leibniz-Gemeinschaft.

[00:23:57] Doreen Siegfried:
Okay. Du hattest hat ja gesagt, die Leibniz-Gemeinschaft – und alle, die Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft sind, wissen das natürlich – ist eine Gemeinschaft von sehr vielen, sehr unterschiedlichen Einrichtungen sehr unterschiedlicher, sehr unterschiedlichen Zuschnitts. Wie genau war der Entstehungsprozess des Leitbildes? Also wie kriegt man so ein Leitbild koordiniert genau in dieser Leibniz-Gemeinschaft?

[00:24:24] Klaus Tochtermann:
Der erste Schritt war, dass das Präsidium eine Projektgruppe ins Leben gerufen hat und die Projektgruppe alle relevanten Stakeholder in der Leibniz-Gemeinschaft eingebunden hat. Das ist typischerweise natürlich immer die Sektion, die repräsentiert sind, aber auch der Verwaltungsausschuss und dann themennahe Arbeitskreise, wie beispielsweise Open Access. Das war die Projektgruppe und man hatte mich gebeten, diese Projektgruppe zu leiten. Und ja, dann ging die Arbeit los.

[00:24:56]
[beide lachen]

[00:24:57] Klaus Tochtermann:
Also wir haben uns innerhalb von anderthalb Jahren neun Mal getroffen, übrigens rein virtuell. Also wir hatten uns nie als Gruppe in Präsenz getroffen, weil die Arbeit genau in die Hochphase der Corona-Pandemie fiel. Und in einem ersten Schritt haben wir überhaupt mal unser Selbstverständnis an ein solches Leitbild mit Bezug auf Open Science ja vereinbart und diskutiert. Das war, also was wollen wir mit einem Leitbild überhaupt erreichen? Genau die Frage, die wir vorhin hatten: wie bindend ist es? Wie offen ist es? Was wollen wir quasi inhaltlich berücksichtigen. Nur öffentlich finanzierte Forschung oder auch Forschung? Wir haben ja auch Leibniz-Einrichtungen, die beispielsweise über Industrie Drittmitteleinnahmen generieren. Ist das auch davon betroffen? Inwieweit wollen wir uns eng andocken an die Citizen Science-Bewegung? Oder ist das nicht vielleicht eher Gegenstand für ein eigenes Thema? Das war sozusagen das Framing für die Open Science Policy oder das Leitbild der Leibniz-Gemeinschaft. Im zweiten Schritt haben wir uns damit befasst, welche anderen Dokumente gibt es eigentlich. Das war insofern wichtig, dass natürlich ein Leitbild nicht Empfehlungen machen kann, die beispielsweise konträr stehen zu Empfehlungen aus unserer Open Access-Policy innerhalb der Leibniz Gemeinschaft. Und das Dritte war dann festzulegen, dass wir den Einrichtungen in Abhängigkeit ihrer Disziplinen möglichst viele Freiheitsgrade einräumen wollten, welche der Dimensionen sie jetzt tatsächlich mal angehen. Es muss ja nicht Open Science als Ganzes immer sein. Und vor dem Hintergrund haben wir auch Handlungsdimensionen wie Open Data, Open Educational Resources, Open Infrastructure, Open Software, so dass die Einrichtungen wirklich die Möglichkeit haben zu sagen, „Ich pick mir eine raus oder zwei oder drei“ oder zu sagen „Ich nehme das ganze Paket und befasse mich damit.“ Ja, und dann in weiterer Folge haben wir uns an die Handlungsempfehlungen gemacht, die Handlungsfelder gemacht. Es sind ja keine Empfehlungen, sondern aufgezeigt, wo Felder sind und was man tun kann. Beispielsweise Anreizstrukturen oder beispielsweise das Thema Aus- und Weiterbildungsangebote, damit die Beschäftigten in den Leibniz-Einrichtungen über Open Science in den unterschiedlichsten Facetten sich informieren können. Parallel dazu gab es ein Schreibteam, also einfach ein Team von drei Personen, die das immer getextet haben. Und diese Texte gingen dann natürlich immer wieder in die Abstimmung. Ganz wichtig war, dass die Texte in die Sektionen auch gegeben wurden, dass wir in den Sektionen und im Präsidium immer über den Zwischenstand des Leitbilds berichtet haben, so dass Korrekturen für den Fall, wir gehen in die falsche Richtung, frühzeitig hatten stattfinden können. Und als sich dann das Leitbild immer stärker gefestigt hat, ist es in das Präsidium gekommen und dort wurde beschlossen, es den Mitgliedern zur Abstimmung vorzustellen.

[00:28:09] Doreen Siegfried:
Ja, okay, ja, interessant. Wie wir ja schon besprochen hatten, gibt es in Deutschland mittlerweile etliche Policy Papers, Richtlinien, Leitlinien usw. Was ist deine Vorstellung von wissenschaftlicher Praxis sagen wir mal im Jahre 2027, also in fünf Jahren? Was haben wir in ganz Deutschland bis dahin idealerweise erreicht? Also was wäre dein Wunsch?

[00:28:36] Klaus Tochtermann:
Also mein Wunsch wäre sicherlich an erster Stelle, dass wir als Nation in Deutschland eine Position zu Open Science haben. Das ist hinreichend kompliziert, weil wir dieses föderale Wissenschaftssystem haben. Wissenschaft ist halt auch Länderaufgabe. Wenn man sich allerdings positioniert zu anderen europäischen Ländern, dann gibt es nur noch wenige, die keine Open Science Policy oder Open Science-Roadmap haben. Das wäre also mein Wunsch, dass wir bis 2024 eine Roadmap haben, was wollen wir noch erreichen. Und das muss ja, also der Diskurs muss erst mal beginnen. Und wenn wir keine Open Science Policy national haben wollen, dann wäre mir wichtig, dass man eine informierte Entscheidung dazu trifft. Und nicht einfach nichts tut. Sondern dass man dann zumindest mal eine Arbeitsgruppe ins Leben ruft, die sich damit beschäftigt, brauchen wir das, wollen wir das, wie kann es aussehen? Und dann ergebnisoffen eventuell auch zum Ergebnis kommen, für Deutschland passt das nicht, wir können das nicht auf nationaler Ebene machen. Aber der Zustand, wie er jetzt ist, dass man sich einfach gar nicht damit befasst und weder eine Entscheidung dafür noch dagegen trifft, der sollte unbedingt geändert werden, weil wir sonst hinter den anderen Nationalstaaten in Europa herlaufen. Und das ist, glaube ich, auf mittlere Frist nicht gut fürs Wissenschaftssystem, weil eben die Europäische Kommission auch mit ihren Framework Programs Open Science immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Und wenn wir für die Wissenschaftseinrichtungen da keine Positionierung, wie wir es ja beispielsweise für Open Access haben, angeben, werden wir irgendwann in den europäischen Förderprogrammen nicht mehr so erfolgreich sein können wie in der Vergangenheit.

[00:30:21] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Letzte Frage. Was würdest du empfehlen, woran kann sich ein Leibniz-Institut orientieren, welches sich jetzt auf Basis dieses Leitbildes für eine Open Science-Policy entscheidet, eine solche Richtlinie für das eigene Institut aufsetzen möchte. Gibt es schon Best Practice aus der Leibniz-Gemeinschaft? Wo kann man sich orientieren? Mit wem kann man sich gut austauschen? So ganz auf operativer, ganz praktischer Ebene.

[00:30:53] Klaus Tochtermann:
Also meine Empfehlung wäre, auf der Website der Leibniz-Gemeinschaft in den Bereich des Strategieforums zu gehen. Dort sind Ansprechpersonen genannt. Und das sind ja alles Personen aus Einrichtungen, die eine hohe Affinität zu Open Science haben. Wir haben auch darauf geachtet, dass wir möglichst viele Sektionen im Sprecher:innenkreis abgebildet haben, so dass das der erste Zugang wäre. Wir wollen sicherlich in den kommenden Monaten, es wird nicht in ein paar Wochen passieren, auch auf einer Website beispielsweise Open Science Practices aus den unterschiedlichen Einrichtungen platzieren. Das braucht aber einen gewissen Vorlauf, also da kann ich nicht versprechen, dass das in den nächsten sechs Monaten passieren wird. Aber wie gesagt, der Einstieg ist tatsächlich die jeweilige Ansprechperson aus dem Strategieforum.

[00:31:44] Doreen Siegfried:
Okay, also wir verlinken das in den Shownotes, dass Sie sich sozusagen da orientieren können und mal gucken können, mit wem sie dann einmal telefonieren wollen. Ja, vielen Dank. Vielen Dank auch an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen, Sie haben neue Einsichten, vielleicht ein paar praktische Tipps bekommen. Lassen Sie uns gerne Feedback da via Email, Twitter, YouTube oder LinkedIn. Abonnieren Sie uns fleißig auf iTunes oder Spotify oder überall dort, wo man Podcasts hört. Und ich freue mich aufs nächste Mal.