Folge 51: Ökonomisches Publizieren im Wandel?
The Future is Open Science – Folge 51: Ökonomisches Publizieren im Wandel?
Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Dr. Kristin Biesenbender
Leitung Redaktion Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und Intereconomics – Review of European Economic Policy, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
[00:00:00] Intro
[00:00:03] Kristin Biesenbender:
Warum publizieren die Volkswirt:innen so, wie sie publizieren?
[00:00:10] Kristin Biesenbender:
Jede:n Ökonom:innen, der etwas länger dabei ist, kannst Du fragen, was die fünf wichtigsten Zeitschriften sind und er wird sie Dir aufzählen.
[00:00:21] Kristin Biesenbender:
Replikationen spielen natürlich in der VWL schon eine große Rolle, da hat es ja auch den einen oder anderen spektakulären Fall gegeben, wo tatsächlich das Replizieren dazu geführt hat, dass man festgestellt hat, dass da wirklich Berechnungsfehler waren. Von daher ist da auch ein großes Interesse da.
[00:00:47] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich treffe mich hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb, die Ihnen verraten, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Heute sprechen wir über das wissenschaftliche Publikationssystem in der Volkswirtschaftslehre. Ein Thema, das vielleicht zunächst abstrakt klingt, aber letztendlich großen Einfluss darauf hat, was erforscht, was gefördert und wahrgenommen wird. Denn wie Forschende publizieren, welche Zeitschriften sie auswählen und wie sie strategisch agieren, das prägt nicht nur die Karrieren, sondern entscheidet maßgeblich darüber, welche Ideen in der VWL sichtbar werden. Ich begrüße dazu eine Ökonomin und Wissenschaftsforscherin. Unsere heutige Gästin ist seit über zehn Jahren als wissenschaftliche Redakteurin beim Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik tätig und fungiert zugleich als stellvertretende Chefredakteurin. Darüber hinaus beschäftigt sie sich als Wissenschaftlerin mit Themen der wissenschaftlichen Kommunikation, dem Publikationsverhalten und Fragen des Open Access. Und kürzlich hat sie ihre Dissertation veröffentlicht. Der Titel „Unverändert und doch anders? Das Publikationsverhalten in der Volkswirtschaftslehre im Kontext von Open Access und Rankings“.Herzlich willkommen, Dr. Kristin Biesenbender.
[00:02:24] Kristin Biesenbender:
Hallo. Ich freue mich, hier zu sein.
[00:02:27] Doreen Siegfried:
Hallo Kristin. Vielleicht steigen wir mit der Frage ein, wie bist Du auf die Idee gekommen, Dich ausgerechnet mit dem Publikationsverhalten in der VWL zu beschäftigen?
[00:02:40] Kristin Biesenbender:
Ja, wie Du schon gesagt hast, ich arbeite ja lange Jahre in der Redaktion des Wirtschaftsdienst und unser Ziel ist es ja, aktuelle Beiträge zu veröffentlichen, zu relevanten wirtschaftspolitischen Themen. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir natürlich aktuelle Themen identifizieren, aufgreifen und eben dann auch gute Autor:innen dafür finden. Und dabei haben wir uns immer die Frage gestellt, weil wir auch ein großes Spektrum an verschiedenen Autor:innen und unterschiedliche Perspektiven auf den Gegenstand haben wollen: Wie können wir diese guten Autor:innen gewinnen? Und eine Transferzeitschrift wie der Wirtschaftsdienst ist, das ist einfach ein Umfeld, in dem wir uns bewegen in der VWL, wo diese Zeitschrift eben keine Impactfaktoren hat, sondern eben eine klassische Transferzeitschrift ist und es uns dann teilweise auch schwerer gefallen ist, junge Autor:innen, die in einer Karrierephase sich befinden, für uns zu gewinnen. Und deswegen haben wir uns immer schon damit beschäftigt, wie können wir unsere Autor:innen für uns, für unsere Zeitschrift begeistern und was steckt eigentlich dahinter? Warum publizieren die Volkswirt:innen so, wie sie publizieren? Und was ist da unsere Möglichkeit, uns gut am Markt zu platzieren? Und dieses Thema des Publikationsverhaltens und warum unsere Autoren manchmal „Ja“ sagen und manchmal „Nein“ sagen, hat uns schon immer beschäftigt. Und ganz interessant fand ich vor allen Dingen dann auch die Studie von Haucap und Bräuninger damals, die Anfang der 2000er zum ersten Mal rausgekommen ist: „Was Ökonomen schätzen und lesen“, wenn ich mich richtig erinnere. Die haben vom Verein für Socialpolitik die Mitglieder befragt damals und haben eben unterschieden zwischen der Relevanz und der Reputation von Journals.
[00:04:15] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:04:15] Kristin Biesenbender:
Also, die haben die Wirtschaftsforschenden damals gefragt: „Welche Journals sind für Sie relevant für die tägliche Arbeit und welche Journals haben für Sie eine hohe Reputation?“ Und das fand ich auch immer sehr spannend, sich damit auseinanderzusetzen. Und das hat uns auch viele Antworten darauf gegeben, wie unsere Zeitschrift, der Wirtschaftsdienst funktioniert. Und das war sozusagen der Anstoß damals, sich mit der Thematik immer wieder genauer auseinanderzusetzen.
[00:04:38] Doreen Siegfried:
Vielleicht kannst Du… Danke erstmal. Vielleicht kannst Du, vielleicht für unsere Zuhörer:innen noch mal ganz kurz skizzieren unter dem Titel „Unverändert und doch anders?“, was war jetzt eigentlich genau Deine zentrale Forschungsfrage? Und warum würdest Du sagen, ist sie aus Deiner Sicht als Wissenschaftlerin gesellschaftlich und wirtschaftspolitisch relevant?
[00:05:00] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Wie gesagt, ich habe mich mit dem Publikationsverhalten in der Volkswirtschaftslehre auseinandergesetzt und mich dabei gefragt, welche Rolle in dem Kontext Open Access und Rankings spielen. Weil das eben Entwicklungen sind, die in den letzten 20 Jahren, denke ich, die VWL, dachte ich damals, maßgeblich beeinflussen sollten. Und das sind eigentlich zwei zentrale Anlässe, die es damals gegeben hat: 2003 die Berliner Erklärung, die sozusagen im Rahmen, in der Folge der Budapest Open Access Initiative, aus der deutschen Wissenschaftsorganisationen, die damals dann eben gefordert haben, den freien Zugang zu Publikationen zu ermöglichen. Und das war sozusagen ein Ausgangspunkt, wo sich das Publikationsverhalten in der VWL möglicherweise hätte verändern können vor diesem Hintergrund. Und was dann zwei Jahre später aufgekommen ist, ist das Handelsblatt Ranking, was in der VWL ja für große Aufmerksamkeit gesorgt hat.
Damals hatte das Handelsblatt eben basierend auf Rankings von Journals und Impactfaktoren von Journals damals das Ranking aufgebaut und dann eben auch sehr groß öffentlich bekannt gemacht über die Zeitung. Und darauf haben eben auch viele Wirtschaftsforschende reagiert. Sie haben dann selber sozusagen auch das aufgenommen und damals dieses Ranking mit verbessert, was am Anfang sozusagen in der Methodik noch nicht gut ausgereift war. Und haben sich da ganz stark eingebracht, aber es später auch sehr stark antizipiert und da auch hingeschaut, bis es auch Eingang in Berufungsverfahren gefunden hat. Also das Abschneiden in diesem Handelsblattranking hat in der VWL auch noch mal stärker dazu geführt, dass die Forschenden das antizipieren.
[00:06:39] Doreen Siegfried:
Ja, das ist ja ein riesen Impact, wenn das dann in den Berufungsverfahren Eintritt findet. Gab es denn außer den Rahmenbedingungen, den Ereignissen der Literatur, die Du gerade schon erwähnt hast, noch vielleicht persönliche Erfahrungen oder Beobachtungen, die letztlich auch den Anstoß gegeben haben zu Deiner Dissertation?
[00:07:01] Kristin Biesenbender:
Ja, also einmal bin ich ganz aktiv in einem Netzwerk von sozial- und geisteswissenschaftlichen Zeitschriften, das seit über zehn Jahren Fachtagungen zur Lage der sozial und geisteswissenschaftlichen Zeitschriften organisiert. Und da beschäftigen wir uns immer mit allen möglichen Themen, die gerade aktuell sind. Wie verändern sich Impactfaktoren für Journals? Wie können diese darauf reagieren? Wie sind Journals platziert? Wie kann man Inhalte bekannter machen? Heute wäre wahrscheinlich das Thema über Social Media, damals eben aber auch darauf zu achten, welche Downloadzahlen man hat, wie die Artikel gelesen werden. Aber auch ganz viel einfach mit Reputationsmechanismen. Und warum Forschende wie publizieren und wie man seine Zeitschriften gut platziert. Und dieses Netzwerk, dieser Austausch ist einfach ganz, ganz wertvoll und man kriegt einfach einen guten Überblick darüber, wie das auch für andere Journals läuft. Denn wenn ich so gesagt habe, na ja, wir haben uns für den Wirtschaftsdienst die Frage gestellt, wie wir uns am Markt platzieren können … Also unsere Autor:innen sind wirklich so oft bereit, für uns zu schreiben, weil wir uns so gut am Markt platziert sind und alle auch wissen, dass dieser Transfer in die wirtschaftspolitische Praxis hinein gut funktioniert. Das gilt aber auch nicht für alle Zeitschriften und von daher ist das wirklich immer eine relevante Frage für alle Herausgeber:innen und Redakteur:innen von wissenschaftlichen Journals, wie sie Autor:innen finden können und eben auch ihre Leser:innen.
[00:08:24] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:08:25] Kristin Biesenbender:
Und vielleicht darüber hinaus: Ganz klar. Wir beide arbeiten für die ZBW, das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Die ZBW hat sich schon seit Jahren mit Open Access beschäftigt. Seit dem Aufkommen der Open-Access-Bewegung, die ja mittlerweile eine Open Science Bewegung ist, hat sich die ZBW mit Open Access beschäftigt, Infrastrukturen zur Verfügung gestellt, die den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur ermöglichen. Und dann ist es naheliegend, in dieser Institution sich eben auch die Frage zu stellen, inwiefern Open Access das Publikationsverhalten unserer Zielgruppe der Wirtschaftswissenschaften verändert.
[00:08:58] Doreen Siegfried:
Ja, ja, das stimmt. Wahrscheinlich hast Du unter den Kolleg:innen in der ZBW eine sehr große Leserschaft Deiner Diss, weil das natürlich so eines der Kernthemen ist.
[00:09:09] Kristin Biesenbender:
Ja, das Feedback hat mich sehr gefreut und das war auch konstruktiv und ausgesprochen hilfreich.
[00:09:15] Doreen Siegfried:
Du hast eingangs schon gesagt, es gab die Studie von Haucap, Bräuninger, wo sozusagen unterschieden wurde nach Relevanz und Reputation. Und auch in Deiner Dissertation beschreibst Du das wissenschaftliche Publizieren als ein reputationsbasiertes System. Was heißt das konkret für Forschende in der VWL?
[00:09:36] Kristin Biesenbender:
Ja, die VWL ist da wirklich ein besonders interessanter Fall, weil die auch wirklich ein ganz stark hierarchisches Reputationssystem haben. Das findet sich auch in anderen Disziplinen. Aber gerade in der VWL ist es halt wirklich stark ausgeprägt, dass ich glaube, jede:n Ökonom:innen, der etwas länger dabei ist, kannst Du fragen, was die fünf wichtigsten Zeitschriften sind und er wird sie Dir aufzählen. Das sind angloamerikanische Zeitschriften der American Economic Review und Econometrica und drei weitere. Das weiß einfach jeder. Das ist sozusagen ein Kanon von Zeitschriften, wo man weiß, da muss man publiziert haben, wenn man tatsächlich eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, wenn man gerne… Genau, in Berufungsverfahren eben entsprechend ja dann eben eine Professur erlangen möchte, dann ist das ganz klar, dass man sich eben an diesen Journals ausrichten muss. Und das wird in der Wissenschaftsforschung eben auch als Zentrum-Peripherie-Struktur bezeichnet, weil im Zentrum eben einige wenige hochreputierliche Zeitschriften sind und an den Rändern halt zahlreiche andere Zeitschriften. Und genau. Und für die Forschenden bedeutet das wirklich, sich an dieser Reputationshierarchie orientieren zu müssen. Und es bedeutet natürlich auch, dass sie sozusagen ihr ganzes Publikationsverhalten strategisch darauf ausrichten möchten, wenn sie eben diese akademische Karriere anstreben und sich damit sozusagen auch ein sich selbst verstärkendes System haben. Also sobald sich alle daran ausrichten, ist es ja ganz klar, dass Nachwuchsforschende dann eben so angeleitet werden, dies so zu tun. Und, ja, als ein sich selbst verstärkender Prozess dann.
[00:11:19] Doreen Siegfried:
Was ich mich gerade frage, wenn Du sagst, alle wollen rein in diese fünf Zeitschriften, weil das letztlich entscheidet darüber, bekomme ich die Professur oder bekomme ich sie gegebenenfalls nicht? Was hat das denn letztlich für Effekte, auch auf den Forschungsprozess? Also, ich kann mir vorstellen, dass viele dann dahin tendieren, zu sagen, „Ich feile jetzt so lange an diesem Paper, bis es tatsächlich angenommen wird oder bis ich zumindest eine Wahrscheinlichkeit habe, dass es angenommen wird.“ und investieren vielleicht gar nicht in die Zeit für die Erforschung eines weiteren Themas. Also, was hast Du da beobachtet? Was hat das für Effekte? Auch auf die Themenwahl und auf das Verhalten?
[00:12:03] Kristin Biesenbender:
Ja, also bei den Themen kann das, das kann natürlich dazu führen. Es ist allerdings so, dass man ja, sozusagen, wenn die Forschenden durch die Review-Verfahren durchgehen, ja auch schon Anmerkungen dazu kriegen, wie sie es verbessern können und das dann auch wieder einreichen. Das heißt, man muss das Pferd jetzt ja auch nicht immer neu aufzäumen, sondern man hat ja sozusagen seine Daten gut erforscht und dargestellt. Und wenn man dann in den Review-Verfahren Rückmeldungen dazu bekommt, wie man das noch verbessern kann, dann kann man den Artikel auch bei anderen Zeitschriften einreichen. Es ist natürlich aber auf der anderen Seite so, dass man möglicherweise schon antizipiert und das konnte ich halt auch… In den Interviews wurde mir das auch bestätigt, dass das teilweise schon antizipiert wird, was eigentlich gute und geeignete Themen sind. Wenn man tatsächlich in diesen genannten Top Five oder eben auch ein bisschen darunter veröffentlichen möchte. Und da das angloamerikanische Journals sind, ist es natürlich auch so, dass da eben dann Datensätze vielleicht möglichst genutzt werden sollten, die eben den amerikanischen Raum abdecken, weil das einfach dann mehr von Interesse ist. Das ist dann für die deutsche Wirtschaftsforschung sehr schade, weil wir hier natürlich auch andere Anwendungsfälle haben in der deutschen Volkswirtschaftslehre und in der Wirtschaftspolitik. Und gerade wenn man mit Blick auf die Politikberatung schaut, ist es natürlich auch wichtig, mit deutschen Daten zu arbeiten. Aber für diese angloamerikanischen Veröffentlichungen ist es besser, man arbeitet mit amerikanischen Daten und antizipiert das eben entsprechend schon. Also von daher kann man da schon auch Themen und Daten vorher selektieren. Das passiert. Aber auf der anderen Seite stellt man eben auch fest, und meine Daten zeigen das auch, wie vielfältig in der VWL daneben noch publiziert wird, weil für diesen beruflichen Aufstieg ja doch dann eben vielleicht ein oder zwei von diesen Veröffentlichungen auch ausreichend sind. Du sagtest das ja auch gerade mit den Journals. Wie ist denn das dann eigentlich mit den Ablehnungen? Der Platz ist natürlich extrem begrenzt.
[00:14:01] Doreen Siegfried:
Ja, ja.
[00:14:02] Kristin Biesenbender:
Die haben hohe Ablehnungsquoten und da kann natürlich auch nicht jeder veröffentlichen. Man hat das ganze internationale Feld als Konkurrenz. Dann ist das selbstverständlich, dass auch zu anderen Themen veröffentlicht wird. Aber wenn man halt für diese ein oder zwei Publikationen in die amerikanischen Journals möchte, dann muss man das natürlich strategisch ausrichten.
[00:14:20] Doreen Siegfried:
Das heißt, für dieses strategische Ausrichten spielt der Publikationsort eine wahnsinnig große Rolle?
[00:14:28] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Das kann ich jetzt eigentlich einfach erstmal nur so bestätigen.
[00:14:31] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Du hattest ja vorhin schon gesagt, Handelsblatt Ranking usw. spielt, ist auch wichtig, hat Eintritt gefunden in die Berufungsverfahren. Inwiefern beeinflussen denn Rankings, wie jetzt beispielsweise das Handelsblatt Ranking, auch das Publikationsverhalten?
[00:14:50] Kristin Biesenbender:
Ja, wie ich schon sagte. Also dadurch, dass das so eine große Aufmerksamkeit in der VWL erlangt hat und die Forschenden so ein Interesse an diesen Rankings haben, vielleicht liegt das auch, ist das auch der Disziplin geschuldet, die sich natürlich gerne und viel mit Zahlen und Daten auseinandersetzt. Das zeigt dann ja auch, dass die Forschenden selber das Ranking mit verbessert haben, also das Interesse an der Methodik und so ist auf jeden Fall gegeben und von daher haben sich da viele mit beschäftigt. Das heißt, man weiß, wenn man da selber gut abschneidet, dann wird man von seinen Kolleg:innen darauf angesprochen, dass man ja gut in dem Ranking abgeschnitten hat. Und das hat dann eben Auswirkungen allein so für die Reputation, die man dann im Feld erlangen kann. Das war auch ganz schön zu beobachten. Es gibt ja noch das alternative FAZ-Ranking, was eben auch sich ein bisschen mehr auf Nennungen in Medien und die wirtschaftspolitische Ausrichtung auch konzentriert. Das wurde immer dann sehr prominent zur Tagung des Vereins für Socialpolitik veröffentlicht, sodass auch da eben immer eine hohe Aufmerksamkeit für dieses FAZ-Ranking da war. Und da haben sowohl die FAZ als auch das Handelsblatt einfach einen guten Job gemacht und sehr für sich geworben. Und diese Rankings sind mittlerweile wirklich sehr, sehr bekannt und die kennt auch jeder in der Disziplin. Das heißt in der Folge, dass eine Ausrichtung darauf tatsächlich erfolgt ist und dass die …, weil es ja ein Berufungsverfahren ja auch nicht immer leicht ist, Kriterien zu finden, die man ansetzt, hat das halt Eingang gefunden in die Berufungsverfahren. Dass man auch eben Rankings und Impactfaktoren als Auswahlkriterien nimmt und manchmal auch schon so im Vorwege, dass wenn jemand darüber nicht verfügt, gar nicht zu den Bewerbungsgesprächen zugelassen wird. Also das war auch in den Interviews ganz deutlich, dass das so eine Vorselektion dann schon stattfindet auf Basis dieser Rankings und Journal Impactfaktoren.
[00:16:40] Doreen Siegfried:
Ja. Hach, es ist schon ein bisschen schade. Okay, aber welche Unterschiede? Also, wenn Du sagst, okay, Reputation sticht letztlich Erkenntnisinteresse. Also lege ich jetzt mal so rein oder interpretiere ich jetzt mal so. Dass es, dass es hauptsächlich zählt, wo werde ich gesehen, wo werde ich wahrgenommen, wo werde ich …, wo publiziere ich? Siehst Du denn da vielleicht Unterschiede zwischen Forschenden aus Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen? Also im Hinblick auf dieses strategische Publikationsverhalten gibt es da Unterschiede oder agieren die alle in ähnlicher Art und Weise?
[00:17:25] Kristin Biesenbender:
Also, wenn wir jetzt auf den institutionellen Hintergrund schauen, dann ist eine Annäherung zu beobachten. Aber grundsätzlich gibt es auch eben noch unterschiedliche Mechanismen. Also gerade die Universitäten sind ja so im Rahmen des New Public Managements auch aufgefordert, dazu Kriterien zu definieren, wie das Publikationsverhalten der Forschenden ist. Das heißt, es wird auch geguckt, wo veröffentlichen die Forschenden. Wie forschungsstark sind sie? Und das spielt an den Universitäten eine große Rolle. An den außeruniversitären Forschungseinrichtungen war das ein bisschen weniger, weil die auch vielfach jetzt gerade für die Wirtschaftswissenschaften die Wirtschaftsforschungsinstitute auch einen starken Auftrag hatten, Politikberatung zu machen und anwendungsorientierte Forschung zu machen und vielfach auch wirklich Daten bereitzustellen und zu sammeln, die danach genutzt werden konnten. Das heißt, da war der Druck lange Jahre nicht ganz so groß. Aber im Rahmen von Evaluierungen sind diese Kriterien, jetzt auch Forschungsstärke anhand von Publikationen nachzuweisen, immer weiter gestiegen, sodass auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, ähnlich wie die Universitäten, immer mehr in diese Rolle hineinkommen, eben auch ihre Forschenden aufzufordern, in Journals, die hoch reputierlich sind, die hochgerankt sind, zu veröffentlichen. Hinzugekommen sind eben auch Drittmittel, dass sozusagen auch Drittmittelforschung ganz wichtig ist als ein Kriterium dafür, Forschungsstärke zu zeigen und das gilt sowohl jetzt auch für Universitäten als auch für Forschungsinstitute, dass die darüber eben auch Reputation erlangen sollen und aus diesen geförderten Projekten hinaus dann eben auch veröffentlichen sollen. Eben auch in hochreputierlichen Zeitschriften natürlich. Und wenn man so ein bisschen dann auf die Fachhochschulen im Unterschied guckt, dann sieht man halt, dass die natürlich ein größeres Lehrdeputat haben. Aber selbst da gibt es Ansätze, dass auch Fachhochschulen in der Zukunft forschungsstärker sein sollen und dass da auch mehr drauf geachtet wird. Und in den Interviews war auch häufig die Nennung von leistungsorientierter Mittelvergabe, dass es sozusagen an den Forschungseinrichtungen, eben auch Listen von Journals gibt, in denen man veröffentlichen muss. Und wenn einem das gelingt, kann man halt eben auch Prämien erhalten. Also von daher gibt es da auch noch weitere kleinere Anreize. Allerdings zeigt sich in den Interviews, dass das Geld gar nicht das Ausschlaggebende wäre, wenn man so eine Prämie erlangt, sondern dass tatsächlich die Forschenden sagen, „Ja, es hat was mit Reputation zu tun. Und die Kolleg:innen nehmen das wahr, dass man so eine Prämie erhalten hat. Aber die Höhe ist eigentlich nicht relevant.“
[00:20:02] Doreen Siegfried:
Ja, ja, ja es nützt einem am Ende des Tages nicht so viel. Wenn Du jetzt sagst, okay, zwischen den unterschiedlichen Institutionstypen gibt es jetzt keine so gravierenden Unterschiede. Wie ist es denn auf den unterschiedlichen Hierarchiestufen oder Karrierestufen? Verändert sich das strategische Verhalten im Laufe einer wissenschaftlichen Laufbahn? Also agieren beispielsweise Doktoranden oder Postdocs anders als Professor:innen in der Volkswirtschaftslehre?
[00:20:31] Kristin Biesenbender:
Ja, also das war wirklich eine ganz zentrale Frage meiner Dissertation, weil ich da vermutet habe, dass da tatsächlich Unterschiede bestehen, die sich zeigen lassen. Und das ist auch wirklich natürlich der Fall. Also Nachwuchsforschende sind, wie gesagt, für die berufliche akademische Laufbahn gefordert in Journals zu veröffentlichen. Diese Impactfaktoren sich anzuschauen und das zu antizipieren. Es hat sich auch noch dadurch verstärkt, dass natürlich in den letzten Jahren kumulative Dissertationen in der VWL eingeführt wurden. Wenn vorher, sozusagen, Monographien oder Bücher, wie man sagt, veröffentlicht wurden, hat das natürlich eine ganz andere Wirkung. Dann verfasst man dieses eine Werk und das wird dann von zwei Gutachter:innen bewertet. Aber wenn die kumulative Dissertation bedeutet, dass man halt drei bis vier oder auch fünf Journalartikel veröffentlicht, mal alleine, mal gemeinsam mit Co-Autor:innen, dann richtet man sein Publikationsverhalten ja schon viel frühzeitiger darauf aus, in diesen Journals zu veröffentlichen. Und das gleiche gilt auch für weitere Schritte in der akademischen Karriere. Auch Habilitationen werden ja mittlerweile kumulativ veröffentlicht. Das bedeutet, dass auch wenn man sozusagen dann die Professur anstrebt, auch schon auf die Journals schaut. Und das macht schon einen großen Unterschied. Das verändert so eine Disziplin und das lässt sich in den Daten zeigen. Ich habe nach verschiedenen Publikationsformaten geguckt, also nach Journalartikeln, Working Papern und, in Abgrenzung dazu, eben auch nach Aufsätzen in Sammelbänden und in Büchern. Und es lässt sich natürlich zeigen, dass die Zahl der Journalartikel zunimmt ─ die der Working Paper bleibt gleich in dem Untersuchungszeitraum, ich habe von 2003 bis 2020 geschaut ─ und bei den Büchern und in Aufsätzen in Sammelbänden tatsächlich abnimmt. Und auch gerade bei den Sammelbänden ist es interessant, die VWL ist ja eigentlich eine Sozialwissenschaft. Ich sage eigentlich, weil sie ja oft naturwissenschaftliche Publikationspraktiken hat, im Unterschied zu vielen anderen Sozialwissenschaften, aber es ist ja eigentlich eine Sozialwissenschaft und kommt ja sozusagen auch in der Tradition daher, auch viel in Sammelbänden zu veröffentlichen. Das hat auf Konferenzen auch immer eine große Rolle gespielt. Dass dann die Konferenzpublikation sozusagen der Konferenz-Sammelband am Ende war, mit den ganzen Beiträgen einer Konferenz und auch hier sind es jetzt wieder öfter Konferenzen, die dann so ausgerichtet sind, dass das dann hinterher in Journals veröffentlicht wird. Das heißt, auch da nimmt die Relevanz von Sammelbänden ab und auch da ist das strategische Verhalten, in diese Journals reinzukommen, einfach wichtig für die Forschenden. Und man kann sich das vorstellen, ein Sammelband, wenn man auf so einer Konferenz publiziert hat, klar, die sind auch noch begutachtet worden und man hat hinterher noch Anmerkungen dazu bekommen. Aber es macht natürlich einen großen Unterschied, ob man durch ein Review-Verfahren für ein Journal durchgeht oder so für diese Sammelbände, wie das damals der Fall war.
[00:23:28] Doreen Siegfried:
Was mich bei den unterschiedlichen Karrierestufen noch interessieren würde: Du hattest ja eingangs mit der Differenzierung gearbeitet Relevanz versus Reputation. Konntest du denn beobachten, dass beispielsweise Senior Scientists, die jetzt nicht mehr ihre Publikationsliste dahingehend optimieren müssen, dass sie sich noch mal bewerben müssen, dass sie anders publizieren, dass sie vielleicht auch andere Themen publizieren oder dass sie weggehen von diesen Top Five Journals und sagen, „Ich lass den Platz jetzt mal den Nachwuchswissenschaftler:innen, weil ich bin ja schon da, wo ich hinwollte.“? Also, gibt es da irgendwelche… Gibt es irgendwelche Öffnungen oder ein Verlassen des Mainstreams in den älteren oder in den höheren Karrierestufen?
[00:24:16] Kristin Biesenbender:
Ja, das lässt sich zeigen. Eindeutig. Also sowohl in den Interviews wird das bestätigt, wo die Forschenden angeben, dass sie wirklich mehr Zeit haben. Freiheit für die Themenselektion und dass sie auch mal wieder Zeit hätten, ein Buch zu schreiben, sagen einige.
[00:24:30] [beide lachen]
[00:24:30] Kristin Biesenbender:
Also von daher. Daran lässt sich schon ablesen, dass sich das stark verändert, sobald sie sozusagen eine gewünschte Karriereposition erreicht haben und sozusagen auch mit dem Ort, an dem sie dann forschen und lehren dürfen, zufrieden sind, dann tritt dieser Effekt eindeutig ein. Das lässt sich auch an den Zahlen zeigen, wenn man… Ich habe sozusagen die ganzen Journalartikels auch klassifiziert nach Impactfaktoren. Und habe das dafür sozusagen auch zeigen können, dass die Nachwuchsforschenden in diesen hoch reputierlichen gerankten Journals viel besser abschneiden und viel mehr Publikationen da haben als dann die älteren. Also von daher ist das … Das ist der Fall. Und was ja auch noch hinzukommt ist, das wird ja in der Wissenschaftsforschung auch als Matthew Effect bezeichnet, dass, sozusagen, wenn man schon einmal Reputation erworben hat, einem die auch nicht so schnell wieder weggenommen wird, sondern die bleibt ja auch erhalten. Und im Zweifelsfall gelingt es einem darüber, dass man ja auch seine guten Netzwerke hat, in guten Co-Autor:innen-Netzwerken veröffentlichen kann auch weiterhin diese Reputation aufbauen und erhalten kann und dazu, wenn man das einmal geschafft hat, auch eben diesen Vorteil hat, dass man das dann auch nicht wieder abgeben muss. Von daher kann man sich dann ein bisschen mehr zur Ruhe setzen und sich auch anderen Themen widmen. Das ist eindeutig.
[00:25:51] Doreen Siegfried:
Ja, ja spannend. Okay, wenn wir noch mal so ein bisschen größer auf das Publikationsverhalten schauen in der VWL. Also, du sprichst in deiner Dissertation auch von einer Working-Paper-Kultur. Welche Funktion erfüllen diese Working Paper?
[00:26:11] Kristin Biesenbender:
Ja, also Working Paper sind ja auf der einen Seite gut für eine schnelle Verfügbarkeit, weil man eben die Möglichkeit hat, die ohne den langwierigen Reviewprozess schnell zu veröffentlichen. Und für die Forschenden ist das ja auch immer ganz relevant, dass sie ihre Forschungsergebnisse priorisieren können. Dass sie sozusagen diesen Zeitstempel drauf tun können und sagen, „Ja, das habe ich jetzt veröffentlicht. Das ist mir zuzurechnen. Das habe ich jetzt als Erste herausgefunden und so dargestellt.“ Das ist ja ganz wesentlich für Wissenschaftler:innen. Und das erfüllen Working Paper damit also ganz wesentliche Funktionen schon in der wissenschaftlichen Kommunikation. Und in der VWL kommt noch hinzu… Also das konnte man sozusagen auch Lebenswissenschaften oder so, die so publizieren, dass sie tatsächlich ganz schnell ein Working Paper veröffentlichen und anschließend genau aus dem gleichen Text eigentlich dann einen Journalartikel machen. Da unterscheidet sich die VWL ganz stark, weil diese Working-Paper-Kultur ist schon mehrere Jahrzehnte alt. Das heißt, selbst als es noch nicht digitalisiert war, gab es halt eben diese Working-Paper-Reihen, die dann verschickt wurden an relevante Institutionen. Und das ist eine Tradition seit den 50er Jahren, dass es diese Working Paper in der VWL so gibt und die unglaublich anerkannt sind. Das heißt, Working Paper werden in der VWL auch zitiert und wenn dann ein Journalartikel später erscheint, dann wird der vielleicht auch eher zitiert. Aber oft sind diese Working Paper auch viel umfassender. Das ist also anders als in den Lebenswissenschaften hat man nicht so diese Gleichheit. Working Paper ist gleich des Inhalts des Journalartikels, sondern in der VWL sind die oft wirklich viel umfangreicher.
[00:27:49] Doreen Siegfried:
Ah, okay. Ja.
[00:27:49] Kristin Biesenbender:
Und mittlerweile ist es aber tatsächlich so, dass es auch hier so ein bisschen eine Annäherung gibt. Ich sage ja immer gerne so die VWL hat auch Tendenzen, diese naturwissenschaftlichen Publikationspraktiken zu übernehmen und auch da lässt sich so in meinen Daten und auch was meine Interviewpartner:innen so mir gespiegelt haben, zeigen, dass es so ein bisschen so eine Annäherung gibt, diese Working Paper auch strategischer einzusetzen und tatsächlich so sich die Priorisierung zu sichern. Und dann aber tatsächlich, dass der Journalartikel nicht mehr so stark davon abweicht. Also das ist etwas, was man in der Zukunft beobachten müsste, ob sich das verstärkt oder ob das sozusagen jetzt nur einfach mal so ausgetestet wird, ob das ein strategisches Publikationsverhalten ist, was sich in der Zukunft finden lässt. Grundsätzlich ist es eigentlich so, wie gesagt, diese tradierte Working-Paper-Kultur zeigt, dass die viel umfassender sind. Es ist bei den Reihen auch so, dass es da auch Reviewverfahren gibt. Also, aus den Interviews wurde bestätigt, dass es sowohl interne Reviewverfahren gibt, das heißt, innerhalb einer Institution werden die Working Paper gegengelesen und es wird noch Feedback gegeben. Working Paper werden auf Konferenzen veröffentlicht oder vorgestellt, erstmal. Und auch da gibt es eben dann noch Feedbackrunden. Und eben auch große Working-Paper-Reihen haben auch noch mal so Reviewverfahren. Also von daher ist so dieses „Das wäre jetzt ungeprüfte Forschung, die da einfach veröffentlicht wird“. Das ist nicht der Fall, sondern Working Paper haben in der Regel in der VWL eine hohe Qualität und werden auch vielfach gelesen. Und anekdotisch lässt sich zeigen ─ das also haben einige Interviewte dann eben auch gesagt ─ dass sie ja den Journalartikel zitieren, aber es ihnen wirklich gereicht hat, das Working Paper zu lesen.
[00:29:34] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und die Working Paper sind die… Also, Du hattest ja eingangs gesagt, es wird hauptsächlich in amerikanischen Journals veröffentlicht, logischerweise in englischer Sprache. Die Working Paper sind die auch hauptsächlich auf Englisch?
[00:29:48] Kristin Biesenbender:
Das ist sehr unterschiedlich.
[00:29:50] Doreen Siegfried:
Unterschiedlich.
[00:29:51] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Also, viele. Also wirklich mittlerweile sind wirklich sehr, sehr viele Working Paper auch auf englischer Sprache. Aber es gibt auch noch Deutsche Reihen. Das kommt immer auch ein bisschen darauf an, ob das so diese klassische universitäre Reihe ist. Aber mittlerweile, es hat sich stark verändert. Wie auch bei den Journalartikeln. Englischsprachige werden deutlich mehr.
[00:30:09] Doreen Siegfried:
Wenn du jetzt sozusagen einmal schaust auf, wir bleiben mal bei dieser, bei dieser Trennung in Relevanz und Reputation. Welche Bedeutung hat die Veröffentlichungssprache für Sichtbarkeit und Karrierechancen? Also ich gehe mal davon aus, dass in den Journals hauptsächlich Englisch veröffentlicht wird. Welche Rolle spielen deutschsprachige Artikel und wo kommen die innerhalb des Putzens, sage ich mal, der eigenen Karriere zum Tragen?
[00:30:41] Kristin Biesenbender:
Ja, das fand ich eigentlich so eins der interessantesten Ergebnisse meiner Untersuchung, dass sich zeigt, dass die Forschenden in der Volkswirtschaftslehre wirklich sehr, sehr breit publizieren. Das heißt, so dieses Journalartikel spielen zwar eine große Rolle, gerade diese Top Five und darüber wird auch wirklich viel gesprochen. Aber auf der Ebene darunter gibt es einfach viele sehr gute, auch deutschsprachige Journals, in denen veröffentlicht wird. Und meine Zahlen zeigen halt, dass die überwiegende Mehrheit tatsächlich auch noch deutschsprachige Journals sind, in denen veröffentlicht wird. Aber wie gesagt, auch da kommt es dann wieder so auf diese Unterscheidung, die wir schon angesprochen hatten, an, ob das eben die Nachwuchsforschenden sind oder auch die Älteren. Das unterscheidet sich dann auch noch mal ein bisschen, wo in Englisch publiziert wird. Aber es ist tatsächlich so, dass die internationalen Journals und Englisch natürlich eine total relevante Sprache ist. Und es ist auch die Arbeitssprache, wenn man in diesen Drittmittelprojekten, die oft auch international ausgelegt sind, arbeitet. Das heißt, Englisch hat sich natürlich als internationale Arbeitssprache in der VWL vollkommen durchgesetzt und es ist ganz selbstverständlich, dass man auch auf Englisch veröffentlicht. Das zeigt sich auch beim Verein für Socialpolitik. Bei der Jahrestagung werden die Paper auch mittlerweile auf Englisch präsentiert. Also von daher… Englisch hat sich vollkommen durchgesetzt, das ist gar keine Frage. Und trotzdem gibt es daneben einen großen Teil, die auch noch auf Deutsch publizieren und deutschsprachige Zeitschriften, die sich am Markt auch noch gut halten können. Und ja, also von daher würde ich sagen, das Ergebnis, das interessante Ergebnis ist, dass da wirklich eine große Vielfalt ist und dass dieser Blick auf Rankings oft dann so ein bisschen das verstellt, wie vielfältig die VWL noch ist.
[00:32:24] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ja, bleiben wir doch mal bei dem Thema Vielfalt. Wir hatten ja ganz am Anfang, als wir sozusagen sprachen über den Fokus auf den High Impact Journals, die Top Five der VWL. Da hattest du ja schon gesagt, „Okay, wenn ich im amerikanischen Raum publizieren möchte und da irgendwie mit Daten aus Deutschland komme, ist es vielleicht ein bisschen schwierig oder könnte zumindest ein bisschen schwierig werden.“ Welche Konsequenzen ─ ich würde das Thema noch mal kurz aufmachen wollen, weil ich das interessant finde. Also welche Konsequenzen ergeben sich denn für Forschungsthemen, wenn sich tatsächlich alles sehr stark oder immer stärker auf den angloamerikanischen Raum ausrichtet?
[00:33:09] Kristin Biesenbender:
Ja, darauf gibt es wirklich verschiedene Perspektiven. Es ist zum einen ja so, dass diese Themenselektion, wie gesagt, wirklich in dem Kontext stattfindet, dass man in diese angloamerikanischen Journals wirklich rein möchte. Wie gesagt, da reichen vielleicht auch ein bis zwei Publikationen, wenn man diese akademische Karriere anstrebt. Es ist aber auch so, dass in der VWL es neben dem Mainstream ja noch eine ganze Reihe von Forschenden gibt, die sich auch mit Themen beschäftigen wollen, die da in diese Journals nicht so gut reinpassen. Und da gibt es dann diese Möglichkeit auch nicht. Also, wenn man dann sozusagen nicht bereit ist, diese Themen- oder Datenselektion vorzunehmen, dann muss man halt nach anderen Journals zwangsläufig schauen. Und das tun die auch. Das heißt, abseits von dem Mainstream. Aber auch, wie gesagt, innerhalb des Mainstreams gibt es viele Forschende, die diese Themenselektion so in dem Maße nicht vornehmen und dabei eben bleiben, in vielen anderen Journals zu veröffentlichen. Das gibt natürlich eben auch unterschiedliche Karrieremöglichkeiten. An den FHs sind die Einstellungsvoraussetzungen natürlich auch noch mal ganz andere. Es gibt auch Postdoc-Stellen an den Forschungseinrichtungen, wo die Selektionsverfahren vielleicht auch noch nicht ganz so stark ausgerichtet sind. Also von daher… Diese Themenselektion ist wirklich eine sehr zugespitzte Situation, wenn man in diese Journals rein möchte und die aber natürlich auf der anderen Seite in der VWL immer auch ein großes Echo gefunden hat und wo auch Ökonomen sich öffentlich zu geäußert haben, dass sie das nicht gut finden. Also von daher, das ist schon ein großes Thema, auch in der VWL und da hat es auch große Debatten zu gegeben. Und nichtsdestotrotz würde ich jetzt so sagen, auf der Basis meiner Forschung, es ist eigentlich wirklich ein kleiner Teil der Veröffentlichungen, den das betrifft. Und was vielleicht schade ist an der Perspektive, wenn man Themen so selektiert, ist, dass das für die Politikberatung und für die gesellschaftliche Relevanz ─ das Thema hattest du ja am Anfang auch aufgebracht ─
[00:35:15] Doreen Siegfried:
Ja, ja. Genau.
[00:35:16] Kristin Biesenbender:
… dass das für die gesellschaftliche Relevanz natürlich nicht gut ist, weil die wissenschaftliche Ausrichtung in der VWL auf diese Journals dann natürlich bedeutet, dass einem Forschung verloren geht, die sich eben auch mit wirtschaftspolitischen Problemen hier vor Ort beschäftigt, in Deutschland und in Europa. Und dass da dann eben einfach auch die Ausrichtung einfach dann eine ganz andere ist. Aber die andere Forschung findet auch statt, von daher. Wie gesagt, es ist ein Ausschnitt.
[00:35:43] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ja, Du hattest ja auch von der großen Vielfalt in der Forschung gesprochen. Also, ich als nicht Wirtschaftsforscherin könnte mir das, nachdem das, was du geschildert hast…, könnte ich mir auch so vorstellen: Okay, es gibt so das Schwarzbrot, oder nee, das ist kein gutes Bild. Also es gibt, es gibt die Themen, wo ich versuche, vielleicht ein, zwei Artikel tatsächlich in die großen Journals rein zu bekommen, um ein paar Punkte zu sammeln für meine Karriere und in der Zeit, in der das gereviewed wird (das dauert ja auch ziemlich lange), kann ich mich da noch mal den Themen widmen, die mich wirklich interessieren oder von denen ich denke, dass sie gesellschaftlich relevant sind und irgendwie auch den Wissenschaftsstandort Deutschland vielleicht ein bisschen voranbringen. Vielleicht könnte man das so skizzieren?
[00:36:31] Kristin Biesenbender:
Ja, ja. Also ich würde sagen, so von der Empirie…
[00:36:35] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:36:36] Kristin Biesenbender:
…stimmt das. Genau. Was aber ja natürlich doch auch eine Rolle spielt, ist, wie die Forschenden darüber sprechen. Und es gibt schon auch Hinweise und Forschende, die darauf hingewiesen haben, dass sie dann auch darauf angesprochen werden, dass sie ja in sehr vielen weniger reputierlichen Zeitschriften oder Working Paper veröffentlicht haben oder so. Also von daher, es gibt da schon auch noch viele Forschende, die sagen, das ist wirklich der einzige Weg. Und zwar nicht nur, weil es sein muss, sondern weil er auch gut ist. Also, das gibt es natürlich auch. Also, das lässt sich auch… Ja, das sagen auch viele in den Interviews.
[00:37:11] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Du hast ja in Deiner Arbeit Dir auch das Thema Co-Autor:innenschaften angeschaut. Welche Entwicklung oder welche Trends hast Du da beobachtet? Und spielt der Aufbau von von Co-Autor:innenschaften auch eine Rolle bei diesem ganzen strategischen Publikationsverhalten? Was konntest Du dazu herausfinden?
[00:37:35] Kristin Biesenbender:
Ja, das ist auf jeden Fall der Fall. Das war so ein Trend aus der Wissenschaftsforschung, der ja auch für andere Disziplinen sich zeigen lässt, dass die Zahl der Co-Autor:innen stark ansteigt. Und das lässt sich auch für die VWL zeigen. Jetzt nicht natürlich in dem gleichen Ausmaß, wie das für die Naturwissenschaften der Fall ist. Aber nichtsdestotrotz, auch alleine in dem Zeitraum, den ich mir angeschaut hab, steigt die Zahl der Co-Autor:innen. Und auch da gibt es wieder Unterschiede zwischen den Nachwuchsforschenden und den etablierteren Professor:innen in meinem Sample, wo auch deutlich wird, dass gerade die Nachwuchsforschenden schon in größeren Gruppen publizieren, als die Älteren. Und grundsätzlich ist es aber auch, und das wurde auch in den Interviews gesagt, halt wichtig, auch alleine zu veröffentlichen, auch als Nachwuchsforschender, weil da natürlich auch es wichtig ist, dieses Signal zu setzen: Das ist etwas, was ich herausgefunden habe. Das ist etwas, was ich selber erforscht habe und auch so darstellen kann. Und das es einfach der eigenen Person ganz eindeutig zurechenbar ist. Denn es gibt ja in der ganzen Wissenschaftsforschung und darüber hinaus ja auch diese Diskussion, wie Autorenschaft sich zurechnen lässt. Und was früher ja auch ganz gang und gäbe war, war ja sozusagen, dass der Professor sich mit auf das Paper draufgesetzt hat, wenn die Nachwuchsforschenden das verfasst haben. Da wurde jetzt aber, finde ich eindeutig und sehr überzeugend in allen Interviews vehement gesagt, dass das nicht mehr so der Fall wäre, nicht mehr so eine Selbstverständlichkeit wäre, wie das in früheren Jahren der Fall ist. Von daher ist dieses, was ich eben auch gesehen habe, so dieses, dass es wichtig ist, mit reputierlichen Autor:innen, schon bekannten renommierten Autor:innen und Co-Autor:innen zusammen zu veröffentlichen, dass das oft auch wirklich, wie Du schon sagst, so ein strategisches Element hat, dass es nicht so ist, dass es so eine Selbstverständlichkeit ist, der Professor setzt sich mit drauf, sondern dass man tatsächlich auch schon guckt, mit wem kann ich denn eigentlich zusammen veröffentlichen, der auch irgendwie schon gute Netzwerke hat, der natürlich auch einen guten inhaltlichen Beitrag dazu liefern kann. Aber das wird schon auch darauf geachtet, mit wem man zusammen veröffentlicht.
[00:39:33] Doreen Siegfried:
Ja. Das führt…
[00:39:35] Kristin Biesenbender:
Genau. Da spielen Netzwerke eine große Rolle.
[00:39:36] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:39:36] Kristin Biesenbender:
Eben auch zu ehemaligen Kolleg:innen oder im Rahmen von Projekten, internationalen, mit denen man dann zusammen veröffentlicht.
[00:39:43] Doreen Siegfried:
Das heißt, ich muss schon soziale Kompetenz haben und kollaboratives Arbeiten mögen, damit ich letztlich tatsächlich so strategische Netzwerke aufbauen kann.
[00:39:55] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Und es ist natürlich auch so, dass es eine stärkere Arbeitsteilung gibt, möglicherweise. Also das wird in den Interviews deutlich. Ich kenne das jetzt aus anderen Disziplinen, wo es auch schon so üblich ist, dass sozusagen diese verschiedenen Dinge, die während eines Publikationsprozesses gemacht werden, also weiß ich nicht, die Daten zu erheben, die Daten auszuwerten, den Text zu schreiben, die Finanzierungsgrundlage zu haben für diese… Dass das unterschiedliche Rollen sind, wo Autor:innen etwas dazu beitragen zu einer Publikation und dass das auch ausgewiesen wird, das lässt sich… Bei den VWL-Zeitschriften habe ich das jetzt so in dem Maße noch nicht gesehen, aber dennoch gibt es das. Und auch in den Interviews wurde das eben gesagt, dass man sich das auch schon ein bisschen aufteilt, dass einer wirklich mehr so sich um die Datenerhebung und -analysen kümmert und jemand anders dann mehr darum, den Text zu schreiben. Also, so eine Art von Arbeitsteilung oder so gibt es dann eben auch. Und entsprechend setzen sich Co-Autor:innengruppen auch ganz anders zusammen. Und gerade weil die VWL ja auch wirklich mit viel, mit Daten und vermehrt mit Daten und großen Datensätzen arbeitet, ist es natürlich auch viel aufwendiger, die ganze Datenerhebung und -analyse. Und dann entsprechend sind die Gruppen auch dann teilweise einfach größer, in denen veröffentlicht wird.
[00:41:08] Doreen Siegfried:
Ja, ja. Das führt mich automatisch zur nächsten Frage und auch zur Überschrift unseres Podcasts, nämlich „The Future is open Science.“ Also wenn Du sagst, okay, das Aufbauen von Netzwerken ist wichtig, Co-Autorenschaften sind wichtig, die Arbeitsaufteilung ist wichtig usw. Das heißt, wir sprechen ja von Kollaboration im digitalen Zeitalter, was ja auch häufig mit der Überschrift versehen wird „Open Science“, also gute Zusammenarbeit, offene Zusammenarbeit, transparente Zusammenarbeit usw. Wie wird denn, was hast Du herausgefunden? Wie wird denn dieser übergeordnete Open-Science-Gedanke in der VWL rezipiert? Also wird er überhaupt rezipiert und wenn ja, von wem?
[00:41:48] Kristin Biesenbender:
Ja, da muss man eigentlich wirklich ganz klar feststellen, dass für die Forschenden Open Science erst mal überhaupt gar keine Rolle spielt. Dafür gibt es vielleicht unterschiedliche Gründe. Einmal, na klar, wenn du einen Journalartikel veröffentlichen willst, ist es für Dich zentral, dass Du das in einem reputierlichen Journal tust. Dann achtest Du nicht darauf, ob das jetzt Open Access zur Verfügung steht, sondern für Dich ist erst mal wesentlich, dass das eben einen bestimmten Impact Factor hat. Und das ist diese Ausrichtung darauf ist überdeutlich. Darüber hinaus ist es ja so, dass in der VWL durch die Working-Paper-Kultur ja auch eine freie Zugänglichkeit sehr schnell gegeben ist. Also viele Publikationen der Forschenden sind eben vorher auch als Working Paper erschienen. Und die Möglichkeit gibt es halt auch immer. Dass man eben ein Working Paper veröffentlicht. Viele sagen auch, dass sie das gleichzeitig schon mit einer Einreichung machen. Das heißt, sie veröffentlichen das Working Paper und reichen dann gleichzeitig auch einen Journalartikel ein. Also von daher ist dieses Green Open Access, wie es ja auch in der Wissenschaftsforschung klassifiziert wird, also auf Repositorien Working Paper abzulegen, in der VWL ja eine total gängige Praxis. Also von daher lässt sich das vielleicht so erklären, dass da dann der Anspruch gar nicht mehr so groß ist, dass jetzt auch der Journalartikel Open Access sein soll. Und es kommt auch hinzu, dass die Open Access Journals in der VWL, die es bisher gibt und die so eindeutige Gold-Open-Access-Journals sind, dass die halt nicht so hohe Impactfaktoren haben. Und da das ganz zentral ist, hat sich das für die Forschenden einfach bisher nicht durchgesetzt. Nichtsdestotrotz findet ganz viel hier auf den übergeordneten und anderen Ebenen statt. Also es ist, wie gesagt, wir haben da mit der Berliner Erklärung eingestiegen und da war ja ganz deutlich, dass die Wissenschaftsorganisationen möchten und fordern, dass dieser Zugang eben frei ist zu Publikationen. Und das passiert sowohl auf Seiten der Institutionen, dass sie dann sozusagen über angegliederte Bibliotheken in Konsortien verhandeln, dass Beiträge und Publikationen insgesamt Open Access gestellt werden und auch Forschungsförderer, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder so, wenn die ihre Drittmittel vergeben, dann wird das oft daran geknüpft, dass die Publikation möglichst im Open Access veröffentlicht werden sollen und es dann eben auch Publikationsgebühren gibt, möglicherweise, die beantragt werden können, damit man das eben auch umsetzen kann. Entsprechend auf verschiedenen Ebenen findet da ganz viel statt. Dazu sind wir jetzt gar nicht so gekommen. Von daher sind auch viele Beiträge denn in den Wirtschaftswissenschaften und in der VWL möglich Open Access verfügbar mittlerweile. Nur für die Forschenden, und das war jetzt ja mein Fokus im Publikationsprozess, und warum publizieren die so, wie sie publizieren, spielt das keine Rolle.
[00:44:27] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Was mich natürlich noch mal an dieser ganzen Open-Science-Thematik interessieren würde… Also wir haben jetzt viel über „Ich forsche irgendwie fünf Jahre oder im Idealfall kürzer und habe dann am Ende ein Ergebnis und überlege mir, wie ich das irgendwie in den Open Access bringe oder auch nicht.“ Hast Du, ich weiß gar nicht, hast Du Dich auch damit beschäftigt oder wurde in den Interviews auch was dazu gesagt? Was passiert denn vorher, bevor es veröffentlicht wird? Gerade weil Du gesagt hast, Netzwerke spielen eine große Rolle, Co-Autor:innenschaften. Teilen die Leute ihre Daten, ihre Codes? Gibt es Präregistrierung, Registered Reports oder so was? Also wird schon bei der Planung und auch der Dokumentation der eigenen Forschung, gerade in solchen Netzwerken, offener, transparenter gearbeitet? Gibt es da eine Einsicht in die Notwendigkeit von Open Science, bevor das Forschungsergebnis fertig ist? Ich weiß nicht, ob Du das untersucht hast. Aber vielleicht hat ja jemand was dazu gesagt, würde mich mal interessieren.
[00:45:28] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Das war… Am Rande ist das in den Interviews durchaus auch aufgetaucht. Aber tatsächlich würde ich sagen, wenn, steckt das noch in den Kinderschuhen.
[00:45:36] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:45:36] Kristin Biesenbender:
Es gibt da so ein paar Forschende, die das die ganzen Entwicklungen beobachten. Und gerade in der Behavioral Economics, die ja so ein bisschen auch an die Psychologie angegliedert ist oder so, da schaut man dann schon rüber, dass es so was wie Präregistrierung von Forschung schon gibt. Also einigen war das durchaus auch bekannt. Auch Replikationen spielen natürlich in der VWL schon eine große Rolle, da hat das ja auch die einen oder anderen spektakulären Fall gegeben, wo tatsächlich das Replizieren dazu geführt hat, dass man festgestellt hat, dass da wirklich Berechnungsfehler waren. Von daher ist da auch ein großes Interesse da. Aber tatsächlich ist es noch nicht etabliert und es gibt viele Initiativen, die sich damit beschäftigen. Aber wenn ich sagen würde, jetzt so Status quo, steckt das noch sehr in den Kinderschuhen. Aber das ist wirklich auch mit Ausblick auf weitere Forschung etwas, was ich sagen würde. Das muss man auf jeden Fall beobachten. Also, einerseits wie entwickelt sich dieses Verhältnis zwischen Working Paper und Journalartikeln? Bleibt die Working-Paper-Kultur so, wie sie einmal gestartet ist oder geht es da auch, wird es da auch stromlinienförmiger, dass diese beiden Formate sich angleichen? Und auf der anderen Seite eben die spannende Frage, ob die Forschung transparenter wird, replikationsfähiger wird, ob da mehr Wert darauf gelegt wird, auch Daten zu teilen, was in der VWL natürlich auch manchmal schwierig ist, wenn das nicht öffentliche Daten sind. Aber vieles, was natürlich von der OECD, den statistischen Bundesämtern oder so ist, das lässt sich natürlich teilen, wenn das auch bearbeitet ist.
[00:47:02] Doreen Siegfried:
Ja, ja, super. Vielleicht noch drei kurze Fragen zum Abschluss. Also, erste Frage: Was hat Dich in Deiner Untersuchung bei Deiner Forschungstätigkeit besonders überrascht?
[00:47:17] Kristin Biesenbender:
Ja, ich glaube, ich habe es eigentlich schon gesagt. Ich fand, das Überraschendste war, dass geredet wird über Impact Faktoren, über Reputation, über Rankings. Das spielt alles eine große Rolle und dazu gibt es auch viel Forschung. Ich habe ja viel Forschung auch ausgewertet, die vor meiner Dissertation entstanden ist und auch viele in der VWL und in der Wissenschaftsforschung beschäftigen sich halt mit diesen Themen. Und der Fokus ist eindeutig, wenn man nur diese Literatur liest, dass das Publikationsverhalten in der VWL eindeutig wirklich nur so auf Rankings ausgerichtet ist, ganz streng hierarchisch ist. Und dann bin ich dementsprechend auch mit dieser These reingegangen „Ja, so funktioniert die VWL. Das ist das einzige Kriterium. Man muss in die Top five reinkommen und alles wird darauf ausgerichtet. Und darüber hinaus ist nicht viel da.“ Wenn ich das jetzt mal so ganz verkürzt sagen soll.
[00:48:00] Doreen Siegfried:
Ja. Okay.
[00:48:01] Kristin Biesenbender:
Mein Ergebnis ist aber unterhalb dieser Ebene, dass es tatsächlich viele gute Journals gibt, in denen auch wirklich viel veröffentlicht wird und dass diese Working-Paper-Kultur für die VWL eben auch eine ganz besondere Rolle spielt. Und als Fazit wirklich die VWL insgesamt sehr, sehr vielfältig, mit sehr vielen verschiedenen Themen in sehr vielen verschiedenen Publikationsformaten, in sehr vielen verschiedenen Kontexten und Konstellationen anders publiziert. Und das konnte ich in dieser Arbeit ganz schön aufzeigen. Und das ist eigentlich so das Ergebnis, was ich wunderschön finde und was ich aber auch froh bin, dass mal so aufzeigen zu können…
[00:48:36] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:48:36] Kristin Biesenbender:
…für die VWL in Deutschland. Weil ich würde sagen, da war die Forschung bisher eigentlich blind.
[00:48:43] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also super, dass Du das herausgefunden hast. Ich fand es auch superspannend. Zweite Frage, vielleicht kurze Antwort: Wenn Du jetzt noch mal, sagen wir mal entspannte fünf Jahre Zeit hättest, noch eine Anschlussarbeit zu machen ─ also nur theoretisch. Welche noch offenen gebliebenen Fragen würdest Du dann vielleicht jetzt am liebsten als nächstes untersuchen? Oder wenn Du jemand vielleicht raten könntest, der sagt okay, ich will jetzt die offenen Fragen von Kristin Biesenbender weiterverfolgen. Was wären so vielleicht Deine eins, zwei offenen Fragen?
[00:49:18] Kristin Biesenbender:
Ja, zwei haben wir ja schon so ein bisschen angesprochen.
[00:49:21] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:48:56] Kristin Biesenbender:
Das sagte ich ja schon, wie gesagt, diese Rolle von Working Paper und Journalartikeln und eben auch die Forschungsdaten. Das zu teilen und die Offenheit und Replikationsstudien. Das sind alles Themen, aber das sind im Grunde genommen so ein bisschen so Daten fortschreiben von dem, was ich schon angeschaut habe. Wenn man noch mal was ganz anderes anschauen wollte, dann fände ich es wirklich spannend, sich natürlich die BWL anzuschauen, als Schwesterdisziplin zur VWL. Dass man auch schaut, wie das Publikationsverhalten sich da unterscheidet. Teilweise ja auch die ganzen mit ganz anderen Daten arbeiten auch viel mit Befragungen. Da ist natürlich auch nochmal die Hürde der Transparenz hoch. Also von daher, das fände ich einfach interessant, wie das Publikationsverhalten da ist. Auch in der BWL gibt es ja viele Themen, die, sagen wir mal so, das Steuersystem in Deutschland, Unternehmenssteuern oder so. Da gibt es so viele Themen, die auch wirklich so einen lokalen Zuschnitt haben, was dann eben auch spannend wäre, wie sich das dann in Deutschland darstellt. Also wie gesagt, die BWL wäre auch ein spannender weiterer Anwendungsfall, auf den man das eigentlich genauso übertragen könnte. Und das andere ist die Rolle von Konferenzen. Das finde ich auch im Vergleich zu Naturwissenschaften interessant, das disziplinenübergreifend mal anzuschauen, inwiefern Konferenzen eine Rolle spielen für den Austausch, für das Entstehen der Co-Autor:innennetzwerke für die anschließenden Publikationen, die daraus entstehen und so. Also weil ja auch Konferenzen viel auch Reputation spenden können, wenn man da in bestimmten Rollen auftritt, sprechen kann, möglicherweise als Keynote Speaker. Also welchen Beitrag Konferenzen zum Reputationssystem darstellen.
[00:50:51] Doreen Siegfried:
Ja. Auf jeden Fall.
[00:50:53] Kristin Biesenbender:
Das fände ich auch noch mal interessant zu untersuchen.
[00:50:55] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sollte von Ihnen jemand das jetzt hier gerade hören und wahnsinnig interessiert sein an dem Thema Publikationsverhalten in der BWL und vor allem in den ganzen Subdisziplinen der BWL ─ ich könnte mir vorstellen, dass es da auch noch mal Unterschiede gibt in den Routinen usw. ─ bitte melden. Wir sind alle sehr gespannt auf diese Ergebnisse. So, allerletzte Frage, Kristin, für unsere Wirtschaftsforschenden oder jungen Nachwuchsforschenden aus der VWL, die vielleicht gerade zuhören. Was würdest Du einer solchen Person raten, die jetzt gerade in der VWL mit der wissenschaftlichen Tätigkeit startet, hinsichtlich Publikationsverhalten, Netzwerke aufbauen usw. usw.?
[00:51:47] Kristin Biesenbender:
Ja, ich bin ja auch gerne mal idealistisch unterwegs. Also ich würde sagen, man soll sich… Jede Forscherin und jeder Forscher in der VWL sollte sich die intrinsische Motivation erhalten, etwas erfahren zu wollen und etwas Neues herausfinden zu wollen und sich dem Reputationssystem in der VWL anzupassen und an einigen Stellen, wie gesagt, in diesen hochgerankten Journals zu veröffentlichen, finde ich total nachvollziehbar. Aber jeder, jede Nachwuchsforscher:in sollte sich überlegen, dass sie eben ja sich ihre Freude an den Themen und das, was sie herausfinden will, erhält. Und das würde ich raten. Das sollte doch jeder tun, weil das ist ja der beste Weg, um auch die ganze Zeit Spaß bei der Arbeit zu haben.
[00:52:27] Doreen Siegfried:
Ja, das ist doch ein super Abschluss. Vielen Dank, Kristin. Vielen Dank auch an Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir hoffen, Sie haben jetzt ganz große Lust, die Dissertation zu lesen. Wir werden auf jeden Fall alles verlinken in den Shownotes. Ich hoffe auch, dass die Episode Ihnen gefallen hat. Teilen Sie uns gerne Ihre Meinung mit. Ob Lob oder konstruktive Kritik per E-Mail, auf Mastodon, YouTube, Bluesky oder LinkedIn. Und wenn unser Podcast gefällt, freuen wir uns natürlich auch, wenn Sie uns weiterempfehlen oder abonnieren. Und ich freue mich auf die folgende Folge.
[00:53:00] Outro