Folge 41: Auswirkungen von Open-Access-Publikationen

The Future is Open Science – Folge 41: Auswirkungen von Open-Access-Publikationen

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Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Kristin Biesenbender
Leitung Redaktion Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und Intereconomics – Review of European Economic Policy, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Dr. Philipp Mayr
Teamleitung Knowledge Technologies for the Social Sciences, Information and Data Retrieval, GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften

[00:00:00] Intro

[00:00:03] Kristin Biesenbender:
Also Open Access erhöht Zitationszahlen und auch Altmetrics Scores. Und in diesem Fall ist besonders interessant, dass die Vorabveröffentlichung von Preprints mit einem höheren Impact einhergeht.

[00:00:18] Philipp Mayr:
Also, wenn man seine Veröffentlichungen ein halbes Jahr verfügbar hat, bevor die eigentliche Journal-Publikation erfolgt, hat man ein halbes Jahr ─ oder manchmal ist es auch länger ─ länger Zeit, um Zitationen einzusammeln. Und damit haben die Preprints einfach einen strategischen Vorteil, Zitationen zu sammeln ─ über ihre freie Verfügbarkeit.

[00:00:45] Kristin Biesenbender:
Dieser starke Anstieg von Preprint-Veröffentlichungen während der Covid-19-Pandemie in den Lebenswissenschaften ist wirklich ein ganz beeindruckendes Phänomen gewesen. Und viele Lebenswissenschaftler haben eben auch in unserer Befragung dazu angegeben, dass sie zum ersten Mal ein Preprint veröffentlicht haben während dieser Zeit.

[00:01:07] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres ZBW-Podcastes „The Future is Open Science“. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich treffe mich hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb, die Ihnen verraten, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Heute sprechen wir über ein Thema, das für die wissenschaftliche Community immer wichtiger wird: Open Access. Im Fokus steht dabei das BMBF-Forschungsprojekt OASE. OASE steht für Open-Access-Effekte, das die Auswirkungen von Open Access-Publikationen untersucht. Also, wie beeinflusst Open Access den wissenschaftlichen Impact von Forschungsergebnissen? Welche Rolle spielten dabei Preprints, vor allem während der Covid-19-Pandemie, und wie unterscheiden sich die Publikationsstrategien in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen? Viele Fragen. Und diese Fragen hat ein Forschungsteam untersucht, mit Wissenschaftler:innen aus der ZBW und vom GESIS Leibniz Institut für Sozialwissenschaften. Und zu Gast habe ich heute zwei Forschende aus diesem OASE-Projekt. Herzlich willkommen Kristin Biesenbender und Dr. Philipp Mayr!

[00:02:18] Philipp Mayr:
Hallo.

[00:02:19] Kristin Biesenbender:
Hallo.

[00:02:19] Doreen Siegfried:
[lacht] Bevor wir gleich in die Forschungsergebnisse einsteigen, lassen Sie mich ganz kurz die beiden Wissenschaftler:innen vorstellen. Kristin Biesenbender ist Ökonomin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie leitet hier bei uns an der ZBW die Redaktion Wirtschaftsdienst –  Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und Intereconomics –  Review Of European Economic Policy. Und sie ist zudem stellvertretende Chefredakteurin der Fachzeitschrift Wirtschaftsdienst. Und weil das alles noch nicht genug ist, stellt sie auch gerade ihre Dissertation fertig an der Universität Hamburg in der Wissenschaftsforschung bei Professor Simone Rödder und Professor Isabella Peters. Und als zweites, das ist auch Premiere, dass ich mal zwei Leute zu Gast habe, als zweites sitzt vor mir Doktor Philipp Mayr. Er ist am GESIS Teamleiter der Abteilung Wissenstechnologien für die Sozialwissenschaften, und er wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert in Angewandter Informetrie und Information Retrieval im Jahre 2009. Also noch mal ein herzliches Willkommen an Kristin Biesenbender und Dr. Philipp Mayr.

[00:03:31] Kristin Biesenbender:
Hallo, schön hier zu sein.

[00:03:33] Doreen Siegfried:
Super.

[00:03:34] Philipp Mayr:
Ja, freut mich auch.

[00:03:35] Doreen Siegfried:
Für den Einstieg: wie verbreitet ist eigentlich das Publizieren im Open Access in Deutschland derzeit? Gibt es irgendwie Trends zu beobachten? Gibt es Unterschiede, die ihr beobachten konntet, in dem OASE-Projekt zwischen beispielsweise Fachdisziplinen oder vielleicht verschiedenen Institutionentypen?

[00:03:55] Philipp Mayr:
Da beginne ich vielleicht mal.

[00:03:58] Doreen Siegfried:
Ja sehr gut.

[00:03:58] Philipp Mayr:
Genau. Open Access ist spätestens seit der Berliner Erklärung 2003, also seit über 20 Jahren, ein Thema in Deutschland für das wissenschaftliche Publizieren. Und was wir generell feststellen können ist, das seitdem kontinuierliches Wachstum an Open-Acess-Publikationen zu verzeichnen ist. Wir haben das in einer Studie, Robert und Kollegen, aus dem Jahr 21 haben wir einen Zeitraum analysiert von 2010 bis 2016, und haben uns Zeitschriftenartikel von Autoren mit deutschen Affiliationen angeschaut und können eben relativ genau sagen, wie das für Deutschland darstellt. Für diesen Zeitraum hat es einen starken Wachstum gegeben, und wir liegen aktuell bei knapp 50 Prozent der Artikel, die frei zugänglich sind. Und die Zugänglichkeit gestaltet sich über unterschiedliche Wege, zum einen über die Fachrepositories, das ist der übergreifende oder der größte OA-Zugang. Aber die vollständigen Open-Access-Journals, Gold-Open-Access-Journals, und auch die institutionellen Repositories haben auch einen starken Anteil. Fächerspezifisch ist es sehr unterschiedlich. Genau. Insbesondere die eher wissenschaftsorientierten Institutionen, das gilt auch für Fachgesellschaften, haben höhere Open-Access-Anteile. Das kann man sich vielleicht so grob erst mal merken.

[00:05:29] Doreen Siegfried:
Okay, vielen Dank. Ihr habt in dem OASE-Projekt auch herausgefunden, dass Journalartikel, die zuvor als Preprint im Open Access veröffentlicht wurden, häufiger zitiert werden und online mehr Aufmerksamkeit generieren. Wie erklärt Ihr dieses Phänomen, wenn man doch davon ausgehen kann, dass eigentlich nur der Journalartikel zählt?

[00:05:49] Kristin Biesenbender:
Ja, zunächst möchte ich einmal festhalten, dass wir mit den Ergebnissen bestätigen konnten, dass Open-Access-Veröffentlichungen insgesamt im Hinblick auf deren Impact einen Unterschied machen. Also, Open Access erhöht Zitationszahlen und auch Altmetrics Scores. Und in diesem Fall ist besonders interessant, dass die Vorabveröffentlichung von Preprints mit einem höheren Impact einhergeht. Und um herauszufinden, wie das, woran das liegen könnte, haben wir eine Befragung auch unter Forschenden durchgeführt, um zu erfahren, was sie eben motiviert, Preprints zu posten. Und dabei hat sich gezeigt, dass die Entscheidung, einen Preprint zu veröffentlichen, maßgeblich durch das Interesse der Forschenden an einer schnellen Verbreitung von Forschungsergebnissen motiviert ist und auch durch das Ziel, die Bekanntheit der eigenen Forschung zu erhöhen. Und man könnte das jetzt auch so interpretieren, dass es da zu einem Selection Bias kommt und dass die Forschenden Ergebnisse, Preprints vorab veröffentlichen, die sie selbst für besonders gelungen halten, um sie schnell zu verbreiten und Aufmerksamkeit zu erzielen. Aber dieses besonders gelungen halten deutet dann ja darauf hin, dass das auch erfolgreiche Journalveröffentlichungen im Nachgang sein können und dass dadurch dieser Impact zustande kommt. Und diese Veröffentlichung von Preprints hat für viele Forschende dann eben den Vorteil, dass sie ihre Forschungsergebnisse sehr schnell zur Verfügung stellen können. Bekanntlich ist in den Lebenswissenschaften ja auch, dass gerade da die Peer-Review-Prozesse mehrere Monate andauern können und dann erfüllen diese verschiedenen Publikationsformate beide ihren Zweck, aber das ließe sich vielleicht auf diese Art und Weise interpretieren. Aber natürlich ist das ganze OASE-Projekt dadurch gekennzeichnet, dass da ganz viele komplexe, verschiedene Gründe und Anreizsysteme vorherrschen, warum Forschende so publizieren, wie sie publizieren. Und es eben auch, darauf kommen wir ja später auch noch, durch Mandate und Bewertungssysteme durchaus geprägt ist, was es so schwierig macht, ja, wirklich Kausalitäten herzustellen und genau herauszufinden, woran was liegt, wir nähern uns dem an.

[00:07:52] Doreen Siegfried:
Okay, jetzt hast du gerade schon erwähnt, den sogenannten Selection Bias, der irgendwie nicht da ist. Also es gibt nicht die Situation, dass Wissenschaftler:innen sagen, dieses Paper finde ich jetzt besonders geeignet für die Gesellschaft, für die Politik oder für meine Peers. Das stelle ich jetzt sozusagen als Preprint zur Verfügung, während ein anderes Paper, was vielleicht nur für meine Community relevant ist, weil es sehr speziell ist, diesen Schritt nicht bekommt. Oder gestaltet sich die Situation hier anders?

[00:08:25] Kristin Biesenbender:
Ja, da würde ich eigentlich schon sagen, dass sie das sehr gezielt und sehr strategisch publizieren und sich ganz genau überlegen, wo sie was hinschieben. Und dass der Unterschied vielleicht dann auch wirklich mehr darin besteht, dass man schon sich überlegt, dass eine Forschung besonders gut und ausgereift ist, und sich dann auch traut, die vorab als Preprint zu veröffentlichen.

[00:08:44] Doreen Siegfried:
Ja, ja.

[00:08:44] Kristin Biesenbender:
Also ich denke, dass viele Forschende… Also natürlich gibt es auch immer Beispiele dafür, dass Preprints nicht die Qualitätsanforderungen erfüllen, gar keine Frage. Aber in der überwiegenden Mehrheit würde ich denken, dass die Forschenden, so wie sie das darstellen, auch tatsächlich die gelungenen Preprints auch veröffentlichen und damit rausgehen und dass die Qualität gegeben ist.

[00:09:05] Doreen Siegfried:
Ja, super. Alles klar.

[00:09:06] Philipp Mayr:
Vielleicht darf ich, darf ich noch einen Satz ergänzen?

[00:09:07] Doreen Siegfried:
Ja, natürlich.

[00:09:09] Philipp Mayr:
Was, glaube ich, noch nicht so ganz klar ist, ist, dass wir natürlich auch über einen Zeitvorsprung reden. Also wenn man seine Veröffentlichungen ein halbes Jahr verfügbar hat, bevor die eigentliche Journal-Publikation erfolgt, hat man ein halbes Jahr ─ oder manchmal ist es auch länger ─  länger Zeit, um Zitationen einzusammeln. Und damit haben die Preprints einfach einen strategischen Vorteil, Zitationen zu sammeln, über ihre freie Verfügbarkeit. Versus Publikationen, die den langen Peer-Review-Prozess durchlaufen und dann unter Umständen sogar nur closed veröffentlicht werden und dann eben eine deutlich kleinere Leserschaft haben. Also dieser Offenheits- und der Zeitvorteil der macht einen Effekt. Und das ist ein lang und breit untersuchter Effekt…

[00:09:57] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:09:57] Philipp Mayr:
…den wir auch mal wieder darstellen konnten.

[00:10:00] Doreen Siegfried:
Ja, das, das leuchtet mir irgendwie logisch ein. Da ja häufig der Zeitraum des Peer Reviews ja häufig auch manchmal zwei Jahre dauert. Also, das verstehe ich gut. Die Wissenschaftspolitik, die fördert ja aktuell sehr intensiv die Umstellung von Closed Access auf Open Access. Stichwort Journal Flipping. Konntet Ihr beobachten, ob dieses sogenannte Journal Flipping auch Effekte hatte für die betreffenden Journals?

[00:10:27] Philipp Mayr:
Ja, wir haben im Jahr 21 in der Arbeit Momeni und Kollegen, haben wir festgestellt, wir haben relativ breit untersucht über 320 Fachjournals, die einen sogenannten Journal Flip von traditionellem Closed Publishing zu Open Access Publishing vollzogen hatten im Zeitraum 2001 bis 2013. Und wir haben uns die Zeitpunkte vor dem Flip und nach dem Flip angeschaut und konnten relativ breit feststellen über diese Gruppe von Journals, dass die Menge der Artikel, die veröffentlicht wurden, anstieg. Also, man verliert als Journal nicht Publikationen, wenn man diesen Flip macht, sondern man hat in der Regel einen Anstieg. Und die Zitationszahlen entwickeln sich positiv. Also sowohl die Impact-Faktoren der Journals steigen leicht an, nicht dramatisch, aber sie steigen leicht an. Und das gleiche mit den Einzelartikeln und deren Zitationsverhalten. Also, wir sehen einen positiven Effekt, der ist über, mit 320 Journals, muss man natürlich sagen, es ist eine eingeschränkte, eine Menge an Journals. Es gibt sicher viel, viel mehr Journals, die geflippt sind. Aber wir haben einen grundsätzlich positiven Effekt, und die Effekte sind unterschiedlich, je nachdem, in welche Disziplin man guckt. Für den untersuchten Zeitraum können wir sehen, dass die Medizin-Journals in dieser Zeit sehr dynamisch sich nach Open Access entwickelt haben. Das war für diesen Zeitraum sicherlich außerordentlich. Sozialwissenschaften und andere Disziplinen waren weniger stark vertreten in unserem Sample. Das hat sich sicherlich in den nächsten, in den Folgejahren, verändert und angeglichen.

[00:12:12] Doreen Siegfried:
Okay, danke. Ein wichtiges Qualitätssicherungsverfahren in der Wissenschaft ist ja der Peer-Review-Prozess. Ihr habt jetzt in dem OASE-Projekt herausgefunden, dass dieser Peer-Review-Prozess zu Beginn der Covid-19-Pandemie kaum zu Veränderungen geführt hat auf dem Weg vom Preprint, also von dem von der Publikation, die direkt vom Forschendenschreibtisch veröffentlicht wird, hin zum final veröffentlichten Journalartikel. Wie könnt Ihr das erklären? Also waren die Gutachter:innen überfordert angesichts der besonderen Menge an Publikationen in dieser Zeit? Also hat der Peer-Review-Prozess hier auch ein bisschen versagt? Oder was sind für Euch so Erklärungsmodelle?

[00:12:57] Kristin Biesenbender:
Nein, tatsächlich gibt es in unserer Studie keine Hinweise darauf, dass die Reviews weniger sorgfältig erfolgt sind. Das waren natürlich Zeiten, in denen die Lebenswissenschaftler insbesondere, aber auch viele andere Wissenschaftler:innen ein großes Interesse daran hatten, ihre Publikationen sehr schnell zu veröffentlichen. Weil es ja wirklich um die, um neue Impfstoffe ging und darüber, wie das Coronavirus sich überhaupt auswirkt. Von daher war Eile wirklich geboten. Und wie wir schon gesagt haben, der Peer-Review-Prozess nimmt immer eine lange Zeit in Anspruch in den Lebenswissenschaften. Von daher war da ein Momentum da, auch wirklich Preprints zu veröffentlichen. Nichts destotrotz kann man nicht sagen, dass die Reviews weniger sorgfältig waren. Es deutet aber auch vieles darauf hin, dass bereits die veröffentlichen Preprints eine sehr gute Qualität aufgewiesen haben, wenn die Journalveröffentlichungen später dann auch gar nicht so große Änderungen hatten. Von daher lässt sich die geäußerte, oft geäußerte Befürchtung, Preprints seien grundsätzlich von minderer Qualität, nicht aufrechterhalten. Und mein Eindruck ist eigentlich auch, je mehr Forschende auch Erfahrungen mit Veröffentlichungen machen, da viele Vorurteile abgebaut werden und so ein so ein allgemeines „Preprints wären von minderer Qualität“ immer seltener geäußert wird. Wir haben auch Fokusgruppeninterviews dazu durchgeführt, und die Forschenden haben uns gegenüber auch immer betont, dass sie die Qualität von Preprints auch sehr gut beurteilen können und viele Preprints von guter Qualität sind. Und es hat sich auch in der Corona-Krise ja gezeigt, dass der Drosten in seinem Podcast ja auch immer schon wieder Preprints mit aufgenommen und besprochen hat und die eben auch dann ganz schnell eben entsprechend in die Diskussion aufgenommen werden konnten, was ein gutes Beispiel dafür ist, finde ich.

[00:14:36] Doreen Siegfried:
Aber die Frage liegt natürlich nahe, wenn man sagt: okay, die Preprints, wie Du sagtest, waren in der Zeit von guter Qualität und die Reviewer irgendwie waren schnell. Also, warum ist es jetzt wieder langsamer geworden? Haben die unglaubliche Überstunden gemacht und bis in die Nacht gereviewt? Oder wieso ist es vorher und hinterher wieder langsamer geworden? Woran liegt es?

[00:15:02] Kristin Biesenbender:
Also, die Forschenden haben natürlich auch, genauso wie die Reviewer, die sind ja, die kommen ja alle aus der gleichen Wissenschaftsgemeinschaft, und es gab damals tatsächlich so etwas wie einen „rettet die Welt Effekt“. Und viele Forschende haben das uns gegenüber betont, dass dieses immense Momentum, da auch möglichst schnell wirklich zu Forschungsergebnissen kommen zu wollen, um auch Menschenleben zu retten einfach, eine große Rolle gespielt hat. Und von daher muss man sagen, dass diese Corona-Pandemie auch für das Wissenschaftssystem eine außergewöhnliche Situation ist, und das ist sozusagen auch so was wie ein back to usual im Anschluss gibt, weil das ja einfach eine Krisensituation war, die dann auch sich wieder später normalisiert hat.

[00:15:47] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:15:49] Philipp Mayr:
Genau. Man könnte es vielleicht zusammenfassen: Das war ein Stresstest fürs System, insbesondere auch fürs Peer-Review-System. Aber aus meiner Sicht hat das System wunderbar funktioniert, trotz Information Overload und Mehraufwand bei Verifizierung, Extraarbeiten… Aber das System Peer Review ist nicht Ad Absurdum und ist nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden. Das kann man wirklich sicher sagen. Und der schon genannte Drosten-Podcast ist ein sehr, sehr gutes Beispiel. Das war Live Peer Review, tagesaktuell. Einreichung am Abend davor und die Exegese der Ergebnisse eben am Tag danach, mit den entsprechenden Urteilen „die Studie ist weniger hilfreich“ und so weiter und so fort. Also das war eine sehr interessante Phase und, glaube ich, auch ein Multiplikator für das Publikationswesen im Generellen.

[00:16:46] Doreen Siegfried:
Ja, auf jeden Fall. Noch mal mit Blick auf die OASE-Forschungsergebnisse. Die deuten ja irgendwie so ein bisschen darauf hin, dass die Covid-19-Pandemie ein Booster war für Preprints, vor allem in den Lebenswissenschaften, aber auch in anderen Disziplinen. Und das Wort Preprint, was vielleicht 2019 noch nicht so wirklich im allgemeinen Sprachgebrauch war, tauchte ja in der Zeit 2020 und danach in den Nachrichten auf und gelangte, wie andere Wörter aus der Fachsprache, was weiß ich, Inzidenz, Virusmutation oder Herdenimmunität, tatsächlich so in den Alltag in der Alltagssprache auf. Also, mit Blick auf diesen Booster, ist davon noch irgendwas nachgeblieben? Also sind wir jetzt tatsächlich wieder zurück auf Stand 2019, oder gibt’s noch so Effekte, Nachhaltigkeitseffekte, von diesem Stresszustand, wie Du es geschildert hast?

[00:17:48] Kristin Biesenbender:
Ja. Also dieser starke Anstieg von Preprint-Veröffentlichungen während der Covid-19-Pandemie in den Lebenswissenschaften ist wirklich ein ganz beeindruckendes Phänomen gewesen. Und viele Lebenswissenschaftler haben eben auch in unserer Befragung dazu angegeben, dass sie zum ersten Mal ein Preprint veröffentlicht haben während dieser Zeit. Von daher ist es für viele ja auch wirklich ein neues Phänomen gewesen, und sie haben aber gleichzeitig auch betont, dass sie sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben während der Pandemie. Das gilt sowohl für den Umstand, dass sie ihre Erkenntnisse umgehend an andere Wissenschaftle:rinnen zur Verfügung stellen konnten, aber auch die Möglichkeit, die Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit diskutieren zu lassen. Und viele haben dann entsprechend auch angegeben, dass sie sich vorstellen, in der Zukunft weiterhin Preprints zu veröffentlichen aufgrund dieser guten Erfahrungen, die sie gemacht haben. Und wir haben aber uns auch angeschaut, wie sich die Preprintzahlen entwickelt haben, auf verschiedene Repositorien, und da kann man sehen, dass es tatsächlich zu Beginn der Pandemie, auch gerade bei Covid-Papern natürlich, aber auch insgesamt dann auch einen großen Anstieg gegeben hat, der sich dann aber so ein bisschen normalisiert hat. Und in den Lebenswissenschaften spielen ja insbesondere die Repositorien bioRxiv, was es ja schon seit 2013 gibt, aber eben auch medRxiv, was wirklich kurz vor der Pandemie gegründet wurde, eine große Rolle. Und da haben viele Lebenswissenschaftler dann eben begonnen, auf diesen beiden Repositorien Preprints zu veröffentlichen und man kann schon sehen, dass das jetzt dann nicht mehr weiter ansteigt. Aber so, die neuesten Zahlen zeigen ein gewisses Niveau. Also, es scheint sich zu stabilisieren, dass die Lebenswissenschaftler auch weiterhin Preprints veröffentlichen. Aber weil die Pandemie dann einfach auch noch nicht so weit zurückliegt, ist das sozusagen jetzt erst mal nur so eine erste Tendenz. Also würde ich so ein bisschen vorsichtig sagen, keine weiteren großen Zunahmen wie in der Pandemie, aber schon stetig ein Niveau, was sich stabilisiert und gegebenenfalls auch langsam weiter ansteigt.

[00:19:39] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Nochmal zurück. Also der Covid-19-Schock hat ja letztlich gezeigt, dass Wissenschaftler:innen offen und auch anschlussfähig ihre Forschungsergebnisse zeigen können. Also sie können Preprint. Sie können das sozusagen andere Wissenschaftler:innen ihrer eigenen Disziplin und auch benachbarter Disziplinen zur Verfügung stellen. Wenn, so wie Ihr es selbst gesagt habt, Stress da ist, wenn die Gesellschaft sie irgendwie braucht, dann sind sie technisch dazu in der Lage. Warum ist dies nicht so richtig nachhaltig? Also warum bleiben wir nicht oben bei dem Niveau, wenn sich doch jetzt die Vorteile gezeigt haben? Warum gibt es wieder so eine kleine Rolle rückwärts? Also habt ihr dafür Erklärungen?

[00:20:24] Philipp Mayr:
Ja gut, man kann ganz generell beginnen, zu argumentieren, nicht jede Wissenschaftsdisziplin publiziert hochkompetitiv, quasi auf Wochen, Wochenstandsniveau. Wie das jetzt zum Beispiel aktuell in der Künstlichen Intelligenz der Fall ist. Wo jede Woche Hunderte, nein, hunderte weiß ich nicht, aber dutzende hochkarätige Publikationen auftauchen mit neuesten Modellen, neuesten Evaluationen und, und, und, und. Das ist nicht natürlich nicht wahr für alle Disziplinen. Also die Sozialwissenschaften publizieren anders, mit weniger Publikationsdruck. In der Medizin ist es, meines Erachtens, nach wie vor hoher Publikationsdruck. Also, man kann es nicht ganz generell für alle Wissenschaften sagen. Einige, glaube ich, haben diesen Zug zu mehr Publikationen und mehr Preprinting und auch einer höheren Awareness, dass man, dass man Publikationen frei zur Verfügung stellt. Das ist durchaus nachhaltig, und das sieht man auch in allen Entwicklungen, also gerade jetzt bei der Künstlichen Intelligenz. Die meisten dieser Artikel werden im arXiv publiziert. Das ist ein Physik Repository, ursprünglich Physik Repository, seit den 70er Jahren, wo eben momentan sehr viel Informatik, oder seit vielen Jahren schon überwiegend Informatikliteratur, publiziert wird. Und diese Subkategorien auf dem arXiv gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz und auch der Natural Language Processing, die haben enorme Zuwachsraten. Also die Forscher wissen genau, wo und dass sie schnell ihre Ergebnisse bereitstellen müssen. Also, dieser Effekt ist nach wie vor da, und ich glaube, der ist auch nicht mehr aufzuhalten. Aber es gibt natürlich Disziplinen, die publizieren anders, auch mehr in Monografieform und da geht es natürlich nicht um den Tag oder die Woche, sondern da ist ein bisschen weniger Publikationszeitdruck im Spiel. Also das muss man wirklich differenziert betrachten.

[00:22:25] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:22:25] Kristin Biesenbender:
Ja, genau. Manche Entwicklungen sind ja vielleicht auch eher so ein bisschen nachholend. Also zum Beispiel gibt es ja so eine Entwicklung, dass die Verlage jetzt Repositorien in den letzten Jahren aufgekauft haben oder sozusagen auch so ein Preprint vorab Veröffentlichung gleich sozusagen in ihr Portfolio mit aufnehmen. Das heißt, wenn sie eine Einreichung haben, auch so ein Verlag wie MDPI oder so, die veröffentlichen dann so ein Preprint erst mal über ihr Repository und gehen dann den weiteren Weg des Reviews, möglicherweise bis zum Journalartikel. Also, von daher werden da auch so Preprints, das Preprinting internalisiert in ein Verlagsportfolio, was auch eine interessante Entwicklung ist. Und sowas läuft natürlich auch immer dann so ein bisschen nachgelagert und langsam. Von daher würde ich denken, auch aus dem Gesichtspunkt heraus ist es … wird es ein nachhaltigeres Phänomen sein.

[00:23:10] Doreen Siegfried:
Okay. Aber noch ist ja, also noch ist ja, beobachten wir ja, dass tatsächlich dieser starke Open-Access-Effekt, den wir hatten, in der absoluten Krisenzeit von Covid-19 wieder nachgelassen hatten. Also inwieweit spielt hier irgendwie wissenschaftliche Kultur rein? Die Art und Weise, wie publiziert wird?

[00:23:35] Kristin Biesenbender:
Ja, also gerade dieser externe Schock der Corona-Pandemie hat natürlich was ausgelöst und auch durchaus dazu geführt und gezeigt, dass disziplinäre Kulturen nicht nur starr sind, sondern sich auch wandeln können. Und viele Forschende für sich ja auch erkannt haben, oder auch genau wissen, dass bestimmte Publikationsformen bestimmte Funktionen erfüllen, und das für sich eben auch nutzbar machen können. Allerdings finde ich auch, dass so eine disziplinäre Kultur als starr zu bezeichnen, ja auch immer doch eine negative Konnotation hat. Und eigentlich ist es ja auch gut, dass es im Wissenschaftssystem so etwas wie ein verlässliches Qualitätssicherungssystem gibt und das, woran sich Wissenschaftler:innen orientieren können, und auch dass es auch eine Orientierung nach außen gibt. Und schwierig ist es natürlich dann immer dann, wenn dann eben solche Fehlanreize in den Systemen entstehen, das insbesondere auch mit den klassischen Impact-Faktoren verbunden ist. Und von daher muss man auch immer schauen, wie funktionieren eigentlich die Bewertungssysteme im Wissenschaftssystem, und wo gibt es da Fehlanreize? Davor soll man natürlich nicht die Augen verschließen und Initiativen sind immer zu begrüßen, die sich das genau anschauen und auch die Bewertungssysteme mit in den Blick nehmen und sich damit kritisch auseinandersetzen, inwiefern all das, was den, das Arbeiten von Wissenschaftler:innen ausmacht, nämlich eben auch in der Lehre tätig zu sein, den Wissenstransfer zu unterstützen, eigentlich auch möglichst für die Transparenz ihrer Forschung zu sorgen und eben Daten und Code zu teilen. Inwiefern all dies eigentlich auch mit berücksichtig werden muss. Aber von daher würde ich sagen, grundsätzlich ist dieses Qualitätssicherungssystem eigentlich auch gut und eine gewisse, eine gewisse Starrheit auch sinnvoll, wenn sich Publikationsprozesse langsam verändern. Nichts desto trotz sollte es natürlich nicht zu Fehlanreizen führen.

[00:25:22] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:25:22] Philipp Mayr:
Ich fand den Begriff eben von Kristin noch so gut. Diese Nachholeffekte, die kann man wirklich auch wunderbar beobachten. Ich will mal ein Beispiel nennen: die Präregistrierungen, die spielen momentan in den Sozialwissenschaften eine relativ große Rolle. Da werden Studien präregistriert, die haben noch gar nicht stattgefunden, sondern man announced die sozusagen an seine Community vorab. Das ist… über die Laborbücher und in den anderen Disziplinen gab’s das schon zehn, fünfzehn Jahre früher und jetzt ziehen die Sozialwissenschaften, beispielsweise, nach mit so einer, mit so einem Mechanismus. Das ist ein wunderbares Beispiel, wie diese Nachholeffekte auch funktionieren. Und klar, wann werden alle Religionswissenschaftler kurz nach Vollendung des Manuskripts ein Preprint erstellen? Das können wir heute noch nicht sagen, aber vermutlich [lacht] in der nächsten Generation, wird das passieren.

[00:26:19] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also das heißt, das Publikationssystem, was die Qualitätssicherung betrifft, würdet Ihr sagen: toll, läuft, super. Aber was sozusagen diesen Flip, den wir eingangs besprochen hatten, von Closed zu Open betrifft, ist sozusagen die Nachholsituation fachspezifisch unterschiedlich, und da wäre auch noch Luft nach oben. Das ….

[00:26:43] Philipp Mayr:
Genau, es braucht seine Zeit.

[00:26:44] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:26:46] Philipp Mayr:
Das zeigt das Beispiel mit der Berliner Erklärung ja so deutlich. Die ist vor 20 Jahren…

[00:26:49] Doreen Siegfried:
Ja, die ist schon etliche Jahre her… [lacht]

[00:26:51] Philipp Mayr:
Die ist vor 20 Jahren unterzeichnet worden von allen großen Wissenschaftsdirektoren, von Max Planck und, und, und. Und die meisten Universitätsdirektoren waren dabei. Und es ist immer noch nicht etabliert, dass 100 Prozent des Outputs einer Universität auch frei verfügbar ist per se. Es ginge technisch, aber es nicht etabliert, ist nicht umgesetzt. Dauert.

[00:27:13] Doreen Siegfried:
Dann hoffe ich mal, dass die Transformation des Bewertungssystems nicht auch 20 Jahre dauert, sondern vielleicht nur fünf.

[00:27:22] Doreen Siegfried:
[lacht]

[00:27:22] Doreen Siegfried:
Okay, Ihr habt herausgefunden, dass selbst die wissenschaftspolitischen Bemühungen, sei es seitens der DFG oder vom BMBF, also die Forderungen der geldgebenden Einrichtungen tatsächlich Open Access zu fordern,  ─ wir sprachen gerade über die Berliner Erklärung ─ bei Forschenden nicht wirklich zünden. Also, Open Access ist weiterhin, soweit ich das überblickt habe, bislang nicht wirklich entscheidungsleitend beim Publizieren. Was braucht es, um hier einen tatsächlichen kulturellen Wandel herbeizuführen? Also, wir haben schon über… Du hast kurz, Kristin, schon Anreizsysteme genannt. Also, und wir sprachen auch über die Dauer, wie lange sowas am Ende des Tages dauert. Aber was wären nach Eurer Erfahrung aus dem OASE-Projekt vielleicht so gute Trigger, um tatsächlich diesen Wandel auch zu beschleunigen?

[00:28:23] Philipp Mayr:
Also meines Erachtens sind wir mittendrin im Wandel und auch schon ganz gut fortgeschritten, so wenn man, wenn man mal von Deutschland spricht. Wenn ich heute als Forschender mit dem… das Thema Open Access sehe, kommt mir das tagtäglich in die Hände. Ich bekomme den Bewilligungsbescheid beispielsweise. Da steht drin, alle Projektergebnisse sind idealerweise Open Access zu veröffentlichen. Wir haben institutsbezogene Publikationsstrategien, die alle das Thema Open Access thematisieren und auch zum Teil sehr starke, deutliche Richtungen angeben, wo es hingehen soll. Viele Institutionen haben institutionelle Repositorien, die sehr gut funktionieren, technisch sehr gut gewartet sind und das Thema stark unterstützen. Also, wir sind mittendrin im Wandel, meines Erachtens. Es geht alles ein bisschen zu langsam, da sind wir uns einig, aber eigentlich sind wir in einer ganz ordentlichen Situation, um es jetzt ganz kurz zu fassen.

[00:29:29] Doreen Siegfried:
Okay. Dann sprechen wir jetzt nochmal über einen entscheidenden Punkt in dieser ganzen Open-Access-Debatte, über die sogenannten Autorengebühren. Die ja manchmal so ein bisschen das Zünglein an der Waage sind, nach meiner Beobachtung. Also, welchen Impact haben nach Euren Forschungsergebnissen diese APCs? Also, es gibt ja, also, es gibt Institutionen, die können sich das leisten. Es gibt die Hochschulen für angewandte Wissenschaft / Fachhochschulen, die können sich das eher nicht leisten. Es gibt Rabatte, es gibt Freistellungen und verschiedene Arten auch von finanzieller Unterstützung für die Wissenschaftler:innen. Wie stark ist dieser Hebel der Unterstützung tatsächlich für eine Open-Access-Transformation?

[00:30:14] Philipp Mayr:
Sehr, sehr groß, würde ich sagen. Wenn man sich das Portfolio von Nature, Springer Nature anguckt, ist der Großteil der Journals sind Hybrid-Journals, die nach wie vor mit den APCs sehr stark arbeiten. Da kommen die klassischen Effekte. Dann gibt es die Institutionen, die haben sehr viel Geld, die können das einfach mal so eben bezahlen, und dann gibt’s eben Länder oder Wissenschaftsinstitutionen, die mit diesen APCs, die ja in die Tausende gehen, große Probleme haben. Was wir in unserer Studie von Momeni und Kollegen festgestellt haben, ist, dass erstaunlicherweise nur eine sehr kleine Gruppe, nämlich die sehr, sehr armen Länder, über die APC-Waver, also die Freisetzung der APCs über den Verlag und über die Affiliation des Corresponding Office, dass die stark partizipieren und profitieren. Weil sie, wenn sie ein akzeptiertes Paper in einem dieser Journals haben, über die APC-Policy reinkommen. Länder, die jetzt nicht Drittweltländer sind, die aber auch schwache Wissenschaftssysteme haben, partizipieren nicht in gleichermaßen, sogar relativ schlecht. Die haben dann also reduzierte APC fees, die immer noch zu hoch sind, und die werden ausgesprochen schlecht angenommen.

[00:31:41] Doreen Siegfried:
Okay.

[00:31:41] Philipp Mayr:
So kann man die aktuelle Situation jetzt anhand von einem sehr großen Verlag und diesem Portfolio beschreiben. Die APCs sind ein entscheidender Faktor, und über in Deutschland, wenn wir jetzt von Deutschland sprechen… Mit dem DEAL-Vertrag, der jetzt in die zweite Generation geht, also bis 2028 gültig ist, ist für das für Springer Wiley, für dieses Konsortium, natürlich für Forscher mit deutscher Affiliation, natürlich die Situation sehr gut in diesem Portfolio, weil alles per default abgegolten ist über den DEAL-Vertrag. Das gilt nicht für andere Länder und ist ein Problem in sich. Aber für Deutschland kann man sagen, das sieht jetzt ganz gut aus.

[00:32:27] Doreen Siegfried:
Okay, das heißt, wenn ich den globalen Süden unterstützen will, dann muss ich schon komplett alles übernehmen an APCs und das System Rabatt oder Ermäßigung funktioniert nicht.

[00:32:40] Philipp Mayr:
Nicht wirklich. Also, das können wir am Beispiel von Springer Nature ganz klar sagen, dass Länder wie Iran oder Indien, die nicht in diese Kategorie der ganz armen Länder fallen, richtigerweise, überhaupt nicht partizipieren. Sondern, die wählen dann. also, die können nichts Anderes wählen, als den Closed-Access-Artikel in dem Hybrid-Journal. Und damit wird die Forschung weniger sichtbar, weil, das wissen wir einfach: was frei verfügbar ist, einfach mehr gelesen wird und damit eine stärkere Sichtbarkeit hat.

[00:33:12] Kristin Biesenbender:
Ja, überhaupt, das Thema APCs zeigt ja immer so ein bisschen… weist ein bisschen in die Richtung der Kehrseite, auch von Open Access. Denn all das, was ja mit Open Access einhergeht, dass es erst mal wirklich eine freie Verfügbarkeit weltweit von Open-Access-Publikationen geben sollte, bedeutet halt auf der anderen Seite, wer finanziert das eigentlich? Und was hat das auch für Folgen für das Wissenschaftssystem, wenn Verlage daraus auch neue Geschäftsmodelle entwickeln? Und ich freue mich sehr, dass wir im September beginnen mit einem neuen Forschungsprojekt, finanziert von der Volkswagenstiftung, was sich auch genau mit diesem Thema auch auseinandersetzen möchte. Also, wir alle kennen das Phänomen der Predatory Journals, die ja auch bei Open-Access-Verlagen erscheinen, die eben diese APCs nehmen. Daneben gibt es aber auch einen großen Graubereich, auch wo man einfach gar nicht weiß: Leidet die wissenschaftliche Qualität darunter? Wenn wir jetzt beispielsweise Open-Access-Verlage nehmen, die diese APC Gebühren einnehmen, gleichzeitig dann irgendwie ihr Portfolio unglaublich ausweiten, ihr Output sehr groß erhöhen dadurch, dass sie sehr viele Special Issues herausgeben oder neue Zeitschriften herausgeben oder die Volumina der Zeitschriften erhöhen oder so, dann gibt es halt für die Forschenden, die unter Publikationsdruck stehen und ein großes Interesse daran haben, ihre Forschung zu publizieren in Journals, ist das natürlich ganz hervorragend. Die Frage ist aber doch auf der anderen Seite, wie da dann die Strukturen und das Qualitätssicherungssystem, von dem wir gesagt haben, das hat während der Corona-Krise jetzt den Stresstest bestanden, ob das eigentlich in der Zukunft dann auch noch so gilt, wenn tatsächlich eine Flut von Peer Reviews eingefordert werden von diesen Verlagen und man ja auch schon hört und auch aus eigener Erfahrung weiß, dass da auch Geld fließt, dann plötzlich für die Peer Reviews. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein. Aber wenn das sozusagen in diese eine Richtung eingeht, ich möchte ein Peer Review von dir über Nacht haben und dafür kriegst du jetzt 500 Dollar, oder auf der anderen Seite darfst du dann in einem der nächsten Journal deinen Artikel umsonst veröffentlichen. Wenn da solche Geschäftsmodelle daraus entstehen, dann ist das schon eine Frage, was das mit der Qualität dieser Journal-Artikel macht. Und die Frage für dieses Forschungsprojekt ist dann auch, was bedeutet das für die Bewertungssysteme in unserem Wissenschaftssystem, wenn das über publizieren und die daraus entstandenen Zitationen geht? Was bedeutet das eigentlich, wenn sich dadurch durch diese APCs und die neuen Finanzierungsmodelle doch vieles verändern wird in den nächsten Jahren? Das ist… Ja, das müssen wir dringend kritisch begleiten und beobachten.

[00:35:34] Doreen Siegfried:
Das heißt, du hast jetzt gerade ein neues Projekt erwähnt. Vielleicht magst du noch für unsere Zuhörer:innen sagen, wie es heißt, dann können wir das gut in die Shownotes packen.

[00:35:43] Kristin Biesenbender:
Ja, „Repercussions of Open Access Effects“. Das geht um… Genau, über ROARA in Kooperation mit der Stefanie Haustein von der Universität in Ottawa und Niels Taubert in der Universität Bielefeld. Also, das startet im September, und genau. Freue ich mich sehr drauf.

[00:36:00] Doreen Siegfried:
Vielleicht generell für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Ihr habt ja beide jetzt schon Literaturhinweise erwähnt und es gibt darüber hinaus auch noch vieles mehr, was in diesem OASE-Kontext entstanden ist. Also, wir packen eine Literaturliste und so die wichtigsten Facts und Figures auch in die Shownotes.  Letzte Frage an Euch beide. Welche konkreten Tipps habt Ihr vielleicht für Forschende, Bibliotheken und auch für die Wissenschaftspolitik, wenn es tatsächlich um eine nachhaltige Open-Access-Transformation geht? Weil das ist ja letztlich das, was wir wollen, und Ihr habt euch ja auch so ein bisschen mit dem Thema beschäftigt.

[00:36:40] Philipp Mayr:
Also ein Hinweis an alle Forschenden, insbesondere die Nachwuchsforscher: Sprecht oder sprechen Sie sehr früh mit dem Autorenkollektiv über mögliche Publikationsformate, die entsprechenden Journals, die Vor- und Nachteile des jeweiligen Journals. Und finden Sie einen Konsens früh im Publikationsprozess, wo die Reise für den entsprechenden Artikel hingeht. Und immer drüber nachdenken, macht ein Preprint Sinn? In der Regel macht es eigentlich immer Sinn, und es gibt immer Möglichkeiten und auch alle großen Verlage lassen die Manuskriptversion der Autoren immer als Preprint, unabhängig, ob das beim Verlag liegt oder auf dem Fachrepository, lassen sie immer zu. Deswegen früh sprechen und früh die Informationen und Ergebnisse zur Verfügung stellen. Versionierung ist in der Regel immer möglich. Man kann eine neue Version hochladen und kann das immer updaten. Das wird oft vergessen und oft so ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Aber es ist ein wichtiger Weg, Ergebnisse nach wie vor… ein wichtiger Weg, Ergebnisse zur Verfügung zu stellen, frei und ohne Kosten.

[00:37:49] Doreen Siegfried:
Ist ja vielleicht … Also, wenn ich da kurz noch was ergänzen darf. Mit den eigenen Co-Autor:innen zu sprechen, ist ja nicht nur, was den Text der Publikation betrifft, sicherlich hilfreich, sondern auch, was die Forschungsdaten betrifft, dass man sich gleich vorab überlegt, was wollen wir hier eigentlich an Daten, an Code und so weiter auch noch veröffentlichen.

[00:38:07] Philipp Mayr:
Absolut, absolut.

[00:38:08] Doreen Siegfried:
… dass man das auch gleich von vornherein irgendwie anständig dokumentiert und nachnutzbar macht und so weiter. Okay. Habt Ihr auch noch Tipps für die Bibliotheken, für die wissenschaftlichen Bibliotheken und für die Wissenschaftspolitik?

[00:38:19] Philipp Mayr:
Ja, kann ich auch einen allgemeinen Tipp geben. Für die Bibliotheken und wissenschaftspolitisch engagierten Kolleg:innen würde ich mir einen stärkeren Austausch und noch mehr Kontakt mit den eigentlichen Forschenden wünschen. Regelmäßiger miteinander sprechen, auch die aktuelle Forschungsliteratur zum Bereich Open Access. Also, es passiert relativ… passieren sehr viele Untersuchungen zu den DEAL-Effekten, zu Open-Access-Effekten. Da auf dem Laufenden zu bleiben, damit man die richtigen Ratgeber, die richtigen Ratschläge geben kann und ein Ratgeber sein kann, eben als Multiplikator. Das passiert, es passiert vielleicht noch ein bisschen zu wenig. Es gibt die Open-Access-Tage, die ein sehr, sehr gutes Forum sind, um sich auszutauschen, aber das ist ein laufender Prozess.

[00:39:09] Doreen Siegfried:
Okay. Dann danke ich Euch ganz herzlich. Wie gesagt, alles, was hier so erwähnt wurde, auch was eigentlich DEAL ist und DEAL zweite Generation und so weiter, sämtliche Literaturtipps und Link zum arXiv und so weiter. Wir packen das in die Shownotes, die werden dieses Mal wahrscheinlich besonders lang. Vielen Dank auch an Sie da draußen an den Kopfhörern. Es hat Ihnen hoffentlich gefallen. Lassen Sie uns gerne Feedback da, auch gerne Feedback, was, wo sie noch Verbesserungsvorschläge sehen oder wo Sie sich vielleicht auch mal Inhalte wünschen zu ganz anderen Themen. Sie erreichen uns über E-Mail, Mastodon, YouTube oder LinkedIn, und wir freuen uns natürlich auch, wenn Sie uns abonnieren. Und ich freue mich aufs nächste Mal.