Folge 34: Warum Open Science zählt
The Future is Open Science – Folge 34: Warum Open Science zählt
Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Ronny Röwert
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Hamburg, iTBH Institut für Technische Bildung und Hochschuldidaktik
[00:00:00] Intro
[00:00:03] Ronny Röwert:
Wenn wir über Open Science dann reden wir über den Kern der Forschungskultur und dann reden wir über Forschungskultur. Und das Allermeiste dort ist selten formell institutionalisiert, würde ich sagen. Wir haben so Begriffe wie Doktorvater, Doktormutter, die sagen ja schon einiges.
[00:00:20] Ronny Röwert:
Also, wir werden zu dem geformt, quasi über dem, was wir nachahmen. Und ich glaube, da müssen wir ran. Sonst wird die beste Strategie eben zum Frühstück gegessen.
[00:00:33] Ronny Röwert:
In den Förderorganisationen da wird sich noch was ändern und das sollten wir aber nicht der Selbstverständlichkeit überlassen. Und dass wir sagen: Das macht ja einfach Sinn, das ist so plausibel Open Science. Das wird schon von alleine kommen. Ich glaube, da können wir ein bisschen mehr Ungeduld walten lassen, wenn wir schon jetzt seit den 2000er Jahren warten, dass sich das doch automatisch verankert. Ich glaube, automatisch passiert nichts.
[00:00:59] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich treffe mich hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb, die Ihnen verraten, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Heute reden wir über persönliche Motive, Anreize und Einflussfaktoren für die Verankerung von Open Science-Praktiken. Also kurz, es geht um die Frage, warum arbeiten Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen offen und transparent? Was treibt Forschende an, Open Science zu betreiben, und was wiegt am Ende schwerer? Sind es die karrieristischen Motive oder sind es altruistische Hintergründe? Und zu Gast habe ich dafür heute mir einen Wissenschaftsforscher eingeladen, der genau diese Fragen in seinem Promotionsprojekt, was jetzt wirklich kurz vor der Vollendung steht, an der TU Hamburg untersucht hat. Herzlich willkommen, Ronny Röwert!
[00:01:02] Ronny Röwert:
Hallo, schön, hier zu sein!
[00:01:59] Doreen Siegfried:
Wie definieren Sie denn persönlich Open Science? Vielleicht fangen wir damit mal an. Und warum haben Sie genau dieses Thema für Ihre Doktorarbeit ausgesucht?
[00:01:13] Ronny Röwert:
Ja, es gibt ja unzählige Definitionsversuche von Open Science, fast mehr Open Science-Definitionen als tatsächlich Projekte, die das vielleicht umsetzen, würde ich mal ein bisschen zugespitzt sagen. Ich würde eine Definition wählen, die gleich so ein bisschen den möglichen Gegenwind entkräftet. Und zwar würden viele sagen, „Ja, Wissenschaft war schon immer offen. Also, Ideen wurden ausgetauscht, weiterentwickelt und wirklich geschlossen war das nie.“ Ja, das stimmt. Ich denke nur, dass spätestens seitdem es Internettechnologien gibt, also seit den 90er und 2000er Jahren, sich das massiv ändert, wie wir es wirklich schaffen können, Wissenschaft offen und transparent zu gestalten. Und deswegen finde ich ganz interessant, wie die UNESCO es definiert. Die sagt nämlich, der Begriff Open Science bündelt Praktiken, also sehr konkrete Forschungsmethoden und Forschungsergebnisse, die mit den Instrumenten des digitalen Zeitalters transparent und zugänglich gemacht werden können. Und ich finde, vor allen Dingen würde ich unterstreichen, „Instrumente des digitalen Zeitalters“. Und das gibt Möglichkeiten und auch Hebel, die wir wahrscheinlich so in der Geschichte der Wissenschaft so noch nie gekannt haben. Und das ist gleichzeitig auch das, was mich motiviert. Also ich finde das total spannend, wenn immer sich Wissenschaftspraxis und Bildungspraxis im Zuge dieses, was wir immer so schön groß nennen: „Digitale Transformation“, wie sich das wendet, verändert, vielleicht aber auch gleichbleibt. Und da habe ich mir dann eins der virulentesten Themen eben vorgenommen, wirklich Open Science in dem Sinne, wie wir es auch immer konkreter verstehen. Also Open Access, Open Data, Open Source, all die konkreten Praktiken, die die UNESCO ja auch benennt. Mal zu schauen, was passiert denn da und so ein kleines Stück weit hinter den Vorhang zu gucken, was konkret in der Wissenschaft sich verändert, vielleicht aber auch stabil bleibt.
[00:03:56] Doreen Siegfried:
Ja, spannend. Jetzt hatte ich Sie ja anmoderiert mit den Worten: „Sie sind sozusagen kurz vor Fertigung der Doktorarbeit“. Was haben Sie denn herausgefunden? Was ist es denn, was Wissenschaftler:innen motiviert, ihre Arbeit als Open Science zu betreiben?
[00:04:12] Ronny Röwert:
Ja, also vor allen Dingen ist es für mich spannend, das Warum zu erfragen. Also wenn man jetzt die großen Statements und Policy-Dokumente anguckt zu Open Science, dann werden ja ganz große Ideen geäußert und auch Gründe. Quasi Wissenschaft wird damit effizienter, zugänglicher, es öffnet sich zur Gesellschaft. Das sind alles gute, legitime und auch plausible Gründe. Dennoch sehen wir ja auch, dass es so ein leicht verzögertes Verankern in der Praxis tatsächlich ist. In manchen Disziplinen wie Informatik, Physik, die sind vielleicht schon relativ weit. Aber es gibt auch viele geisteswissenschaftliche und weitere Disziplinen, die noch ein bisschen fremdeln mit diesen ganzen Konzepten. Vielleicht weil sie auch sagen, das ist so was Technologisches, das hat ja gar nichts mit uns zu tun. Und mich interessiert vor allen Dingen… Also, es gibt genug Forschung, warum man es nicht macht. Dazu gibt’s genug Untersuchungen, Befragungen. Mich interessiert, warum man es macht. Und da habe ich mir vor allen Dingen diejenigen rausgesucht, die das relativ lang und in einem sehr extensiven Umfang machen und eben dort Preisträgerinnen und Preisträger aus dem deutschen Wissenschaftssystem befragt. Und gefragt, was treibt die an? Wofür, warum brennen sie so für das Thema, dass sie am Ende sogar einen Preis dafür bekommen? Und war ganz überrascht, wie viele Gründe es tatsächlich gibt. Also neben diesen ganzen bekannten allgemeinen Gründen, die man so kennt, also es sind Steuergelder, es ist steuerfinanziert, es muss global zugänglich sein, auch für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit weniger Ressourcen. Das sind alles Gründe, die auch genannt werden. Aber insgesamt habe ich tatsächlich rausgefunden, dass es vierzehn Motive gibt.
[00:05:51] Doreen Siegfried:
Vierzehn ja?
[00:05:51] Ronny Röwert:
Die so quer über diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das besonders pionierhaft machen, verbreitet sind. Das sind diese bekannten Gründe, wie ganz persönliche Gründe, Zitationsvorteile, ich möchte damit eine andere Form von Anerkennung, Wertschätzung für meine Arbeit haben. Gründe, stärker, die für die Community, für die Peers relevant sind. Also, es soll nachgenutzt werden, ich möchte effizient arbeiten, ich möchte neue Kooperationen schließen. Und im Grunde ist das Spannende, dass man gar nicht so die einzelnen Personen, sag ich jetzt mal die pionierhaften Wissenschaftler:innen, auf einzelne Gründe festmachen kann, sondern alle haben immer mindestens drei oder vier Gründe. Das sind altruistische Gründe und karrieristische Gründe, so wie Sie das am Anfang gesagt haben. Also man kann nicht sagen hier, das sind die Weltverbesserer, das sind die, die das ideologisch machen und deswegen machen die es. Und dann gibt es vielleicht andere, die das rein egoistisch getrieben machen, die für die es total plausibel Sinn macht. Sondern es ist immer Gemeinsamkeit zwischen ganz persönlichen Gründen und so gesellschaftlichen, ja vielleicht auch ein paar selbstlosen Gründen. Es geht das eine nicht ohne das andere. Und ich bin da ganz offen reingegangen. Es ist nicht so, dass ich davon ausging, dass es weder noch ist, sondern ich bin überrascht, wie viele Gründe es gibt. Ich konnte dabei aber auch ein paar Gründe finden, die so noch gar nicht in der Literatur besprochen sind, zum Beispiel dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einer Pionierendengemeinschaft, also mal Anti Mainstream zu sein, wie es eine Wissenschaftlerin sagt. Vielleicht auch sowas wie Sinn, Wirkungsorientierung zu haben. Also, wenn ich schon so viel Zeit und häufig in der Wissenschaft ja auch Freizeit dafür verschwende, dann muss es wirklich absolut Sinn machen und da sagen eben viele, dafür muss es auch offen sein. Und ja, also im Endeffekt, die Antwort ist mal wieder, wie so häufig, es ist sehr komplex. Es sind viele Gründe. Und vielleicht müssen wir das auch stärker anerkennen, wenn wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützen möchten, Open Science zu verankern.
[00:07:48] Doreen Siegfried:
Okay. Also das heißt, es gibt jetzt unter den Wissenschaftler:innen, die Sie befragt haben, Sie haben gesagt, das sind Preisträger, das heißt, die haben so Open Science Awards bekommen?
[00:07:57] Ronny Röwert:
Genau.
[00:07:58] Doreen Siegfried:
Okay. Und unter diesen gibt es jetzt keine, wenn ich Sie richtig verstanden habe, so Cluster, dass man sagt: okay, es gibt einmal die Leute, die machen das nur, weil es die eigene Karriere puscht und dann gibt’s nochmal ein anderes Cluster. Die machen das, weil sie eine Weltverbesserereinstellung haben, sondern das ist immer ein Set aus unterschiedlichsten Motiven, ich sag mal so, aus beiden Töpfen etwas.
[00:08:20] Ronny Röwert:
Genau. Also, ich bin tatsächlich reingegangen in mein Promotionsvorhaben und dachte sehr sicher, es gibt Typen. Also selbst unter diesen ähnlichen, ähnlich zu charakterisierenden Wissenschaftler:innen, die zumindest einen Preis dafür bekommen haben, gibt es dennoch Typen, die Egoistin oder den Weltverbesserer. Aber, und ich hing auch lang an dieser Idee, ich habe wirklich so lange geclustert und zusammengruppiert und anders gruppiert. Aber im Endeffekt war es dann irgendwann der Tag, wo ich gesagt habe, nein, die gibt es nicht. Es ist tatsächlich genau das Gegenteil. Das Kernergebnis für mich ist, dass es keine Typen gibt. Dass alle das gemeinsam vereinbaren, niemand selbst. Also, es gibt zum Beispiel selbst die Wissenschaftlerin, die sagt, „Ich mache das wirklich, damit Wissenschaft besser wird. Ich habe da gar keine persönlichen Aktien drin, das zu tun.“ Selbst bei dieser Wissenschaftlerin findet man relativ stichhaltige persönliche Gründe, das zu tun. Das sind Zitationsvorteile, das ist vielleicht in der Qualifikationsphase dann auch auf dem Weg zur Professur noch mal so ein kleines Bonbon auf die Forschungspraxis raufzulegen. Und wiederum ein anderes Extrem, ein Wissenschaftler aus der Physik, der sagte, „Sie brauchen mich hier gar nicht groß fragen. Ich kann das Ihnen ganz einfach sagen. Ich bin total egoistisch getrieben.“ Je länger das Gespräch ging, desto mehr kam tatsächlich allgemeine Überzeugung, wie das Wissenschaftssystem, die Gesellschaft auszusehen hat und welchen Anteil man darin hat. Also quasi selbstlose Gründe. Und genau diese zwei Extreme, die gleichzeitig aber auch das andere Extrem vereinen, das ist so das Kernergebnis, und das müssen wir auch einpreisen, wenn wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, glaube ich, da ansprechen wollen und mitnehmen wollen. Dann müssen wir ein bisschen divers, vielseitig auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren und können nicht nur ein, zwei gesellschaftliche Gründe anführen, das jetzt umzusetzen, weil es im Alltag schon eine harte Aufgabe ist, tatsächlich all diesen Ansprüchen von Open Science gerecht zu werden.
[00:10:09] Doreen Siegfried:
Ja, da können wir vielleicht nochmal darauf zu sprechen kommen. Ich würde mich noch mal über Ihre Ergebnisse werfen wollen. Also, wie erklären Sie sich dann diese Befunde?
[00:10:16] Ronny Röwert:
Ich glaube, was alle sagen und auch betonen, ist der enorme Aufwand. Also, klar sind das jetzt Personen, die mit umfassenden Ausmaß Open Science umgesetzt haben. Das ist klar, dass es für die auch eine große Ressourcenfrage ist. Aber alle betonen, selbst wenn sie es unter nicht so pionierhaften Bedingungen machen würden, es ist ein enormer Aufwand. Manche nennen das, das ist ein extra steiler Berg, es sind die extra 20 Prozent der Meile, die sie zu gehen haben, oder eben sie nennen das Openess in der Freizeit. Also das muss man einpreisen und auf Dauer und auch bei so einem ernsten Thema, wie in der eigenen Disziplin Ergebnisse zu produzieren. Wenn es so viel Aufwand ist, dann müssen da mehrere Gründe dafürsprechen. Bisschen zugespitzt würde ich sagen, es reicht nicht, irgendeinen Grund wie bessere Effizienz im Wissenschaftssystem in irgendein Policy Statement oder auf irgendeiner Keynote am Tag der Forschung zu hören und am nächsten Tag alles umzustellen, umzuwerfen. Das glaube ich nicht. Also, alle betonen den Aufwand, machen es aber dennoch, nennen wir aber auch ganz viele Gründe, warum sie es tatsächlich machen. Und das ist so für mich auch der Schlüssel zum Verständnis, warum es so komplex ist, warum so viele Motive wirksam sind.
[00:11:31] Doreen Siegfried:
Okay. Und gibt es dann Unterschiede in den Motivationen, vielleicht so in den Disziplinen oder in den Karrierestufen?
[00:11:41] Ronny Röwert:
Naja, ich habe es mir ja leicht gemacht. Und dass es da so eine Streuung über die Disziplinen gibt, habe ich ja quasi… Ich habe ja die Fallauswahl über die Preisträger:innen gemacht. Und da gab es ja eine Jury. Und die haben schon darauf geachtet, dass es in Bezug auf Gender, Karrierestufen, Disziplin eine schöne Streuung gibt, auch wenn es ein überschaubares Sample war. Und man sieht eigentlich auch hier wenig Muster. Was man am ehesten sagen kann, ist, dass die, die besonders sich so einer Pionier:innengemeinschaft zugehörig fühlen, also mal so ein bisschen alternativ in einer alternativen Ecke der eigenen Forschungscommunity sich zu verorten, dass die schon sehr konsistent das umsetzen. Also sehr darauf bestehen, in allen Projekten mit allen, gerade wenn man kooperativ forscht, ist das ja auch ein Aushandlungsprozess, wie oft man das macht. Also je Pionier:innenhafter man sich selber fühlt, desto überzeugter ist man doch und setzt es auch so um. Und das andere ist mit einem Karrierefortschritt, also der stärkste Treiber über das gesamte Sample ist die Nachnutzung. Also die eigenen Methoden, Ergebnisse tatsächlich so aufzubereiten, dass andere damit leichter weiterarbeiten können. Und das spürt und merkt man schon noch eher, wenn man tatsächlich länger im Wissenschaftssystem ist. Also, manche Gründe sind vielleicht noch nicht gleich nachzuvollziehen, wenn man vielleicht im ersten, zweiten Jahr der Qualifikationsphase ist. Die muss man mal erlebt haben, die muss man vielleicht auch mal in einer eigenen Forschungspraxis erlebt haben. Aber ansonsten, wie es sich äußert, wie Open Access, Open Data, Open Source in den jeweiligen Disziplinen konkret sich darstellt, das unterscheidet sich natürlich massiv. Aber es gibt da jetzt keine so starken Muster, dass ich sage, die Informatiker:innen sind besonders dadurch getrieben. Also auch da war es wieder, dass ich irgendwann mich verabschieden musste von diesem Typ A, Typ B und ansehen, anerkennen musste, dass genau das das Ergebnis ist, dass es so vielschichtig ist.
[00:13:39] Doreen Siegfried:
Das heißt, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, die Leute, die sich verstehen als Avantgarde, als junge Pionier:innen der Wissenschaft und so weiter, das waren jetzt nicht nur die jungen, die ganz jungen Nachwuchswissenschaftler:innen, sondern das hat sich gestreut, auch über verschiedenste Altersstufen?
[00:13:57] Ronny Röwert:
Genau. Das ist Querbeet, quer über Disziplinen, über Karrierestufe, auch was man sonst noch für Eckdaten anlegt. Aber es ist eben so, dass man dann merkt, dass es längerfristig noch konsistenter tatsächlich zu Open Science führt. Wenn man sich da auch quasi so eine Zusatzidentität gibt. Also, ich bin nicht nur Biologin oder Geschichtswissenschaftler, sondern ich bin Geschichtswissenschaftler im Bereich und auch noch im Bereich Open Science sehr, sehr pionierhaft. Das verstärkt natürlich auch noch mal den eigenen Anspruch, das so umzusetzen. Spätestens wenn man einen Preis dafür bekommen hat, würde man wahrscheinlich danach nicht mehr die Daten oder auch die Publikationen hinter Bezahlschranken oder irgendwo anders versteckt halten. Also es sind verstärkende Effekte.
[00:14:43] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und gibt es denn Unterschiede zwischen, ja, zwischen der intrinsischen und der extrinsischen Motivation von Forscher:innen, Open Science zu betreiben?
[00:14:53] Ronny Röwert:
Auch da ist genau das nochmal, was ich, was ich schon so ein bisschen angerissen habe, dass es eher ein weder noch ist. Also, die klassische Motivationstheorie sagt, es gibt entweder intrinsisch oder extrinsisch und das Extrinsische verdrängt meist die intrinsische Motivation. Und in der Wissenschaft, das haben unfassbar viele Studien aus der Wissenschaftsforschung gesagt, ist es noch viel schlimmer. Weil dort man umso mehr intrinsisch motiviert ist. Also, man schafft das Wissenschaftssystem nur so lange zu bestehen, wenn man besonders aus sich heraus motiviert ist, für ein Thema brennt, mit begeisterten Kolleginnen und Kollegen zusammen forscht, dass ist stärker als in anderen Organisationsformen oder Berufsfeldern. Und da sagt man, dass jegliche extrinsische Motivation von Seiten der Hochschulleitung oder Fakultät, wo auch immer Anreize extern gesetzt werden, das Intrinsische massiv verdrängen. Ich kann das überraschenderweise gar nicht so sagen für den Bereich Open Science, vermutlich aber auch, weil das gilt, was ich gesagt habe, dass es so aufwendig ist, so ein hoher Anspruch ist, dass man immer beides braucht. Also ich sehe hier jetzt unter den Befragten keinen Verdrängungseffekt, dass wann immer, was extrinsisch dazukommt, das wäre zum Beispiel das Fördergeldgeber, wie die DFG, das einfordern, dass im Berufungsverfahren das gefordert wird. Also alles, was extrinsisch dazukommt, verstärkt eher die Motivation, als dass es jetzt diese intrinsische Motivation, wie eben diese Sinnorientierung oder sich profilieren zu wollen, sinnhaft zu forschen, das bleibt stabil. Also ein kleines bisschen auch Widerlegen von klassischer Motivationsforschung, zumindest, wenn wir über unser Thema Open Science sprechen.
[00:16:43] Doreen Siegfried:
Und wie ist das denn mit Open Science-Award? Das sind ja eigentlich so klassische extrinsische Anerkennungen wie eine Prämie oder eine Medaille oder was auch immer. Würden Sie denn sagen, jetzt, nachdem, was Sie so geforscht haben die letzten Jahre, „Leute, lasst das mal mit diesen Awards. Das ist ein Killer.“?
[00:17:02] Ronny Röwert:
Es gibt auch eine Menge vergleichbarer Untersuchungen. Wie was motiviert Lehrpreisträger:innen? Bis hin zu Merton, der in den Ende der 50er Jahre schon Nobelpreisträger:innen befragt und gesagt hat, was hat euch motiviert? Und auch da hat man gefunden, niemand macht es ausschließlich für die Awards, also niemand wird Nobelpreisträgerin und Nobelpreisträger, um das zu machen, sondern man will einfach spitze in der Forschung sein und dann kommt es zu diesem Matthäus-Effekt, den er gleichzeitig rausgefunden hat. Bei den Lehrpreisen ist es ähnlich. Niemand macht so gute Lehre, um am Ende einen Lehrpreis zu bekommen, aber es verstärkt schon das Thema. Also, es macht Sichtbarkeit, so wie es für die akademische Lehre Sichtbarkeit gibt, sagen hier auch die befragten Wissenschaftler:innen. Es ist schon eine enorme Wertschätzung für das Thema. Und man fühlt sich vorher vielleicht manchmal in der falschen Ecke, oder man wird vielleicht auch komisch von Kolleginnen und Kollegen beäugt. Gerade in Fächern, die da noch nicht so weit sind im Bereich Open Science. Also zum Beispiel konkret jetzt eine Literaturwissenschaftlerin, wo Praktiken außerhalb von Open Access… Also wenn es auch da um Daten und auch Software Codes geht, ist das noch eine Nische. Und man fühlt sich dann nicht mehr so stark in der Nische. Und das ist wahrscheinlich ein Effekt, den man auch unterstützen würde. Von daher würde ich sagen, man kann jetzt nicht durch mit Awards davon ausgehen, dass im nächsten Jahr alle ihre Forschungskultur umstellen. Aber es ist schon enorm wichtig, um das Thema sichtbar zu machen, auch repräsentativ einige auszuzeichnen und damit eher das Thema auszuzeichnen. Also von daher würde ich das nur unterstreichen und auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen, wie aufwendig, das hatte ich ja schon betont, wie aufwendig das ist, dann entsprechend wenigstens einen kleinen Preis dafür zu haben, wenn nicht immer alle Kolleginnen und Kollegen in der Fachgesellschaft jubeln, wenn man da besonders pionierhaft tätig ist.
[00:18:54] Doreen Siegfried:
Ja, ja. Okay. Aber bleiben wir nochmal bei diesem Thema pionierhaftes Dasein oder Arbeiten. Das heißt, wenn jetzt tatsächlich die Wissenschaftsgovernance dieses Thema Open Science immer mehr auf ihre Themen schreibt, wie es ja aktuell auch der Fall ist, schon seit einiger Zeit. Das ist jetzt aber wiederum nicht so ein Gegentreiber für die Leute, die sagen, ich möchte jenseits des Mainstreams agieren. Also die Frage ist, wenn Open Science mehr und mehr zum Mainstream wird, was macht das mit den Open Science-Pionieren? Fühlen sie sich bestätigt oder sagen sie: „Okay, jetzt muss ich irgendwas Anderes finden, womit ich mich sozusagen hervortun kann“?
[00:19:33] Ronny Röwert:
Ja, das ist spannend, weil genau diese Frage, diese Nachfrage hatte ich vor allen Dingen diejenigen mal damit konfrontiert, die sagten von sich, ich möchte so Anti Mainstream in dieser pionierhaften Rolle sein. Da haben die gesagt, da mache ich mir keine Sorgen. Dann finde ich ein anderes, eine andere Nische im Bereich Open Science. Also dass einer der befragten Wissenschaftler hat gesagt, „Naja, wenn jetzt Metallica war früher quasi alles andere als Mainstream, und wenn das jetzt heutzutage bei Rewe an der Fleischer, an der Fleischtheke läuft, dann gibt es neue Themen, quasi. Dann gibt es immer noch diese Musikrichtung und ich suche mir dann neue Bands“. Und das fand ich eigentlich eine ganz schöne Metapher. Und übertragen auf Open Science sind es gleichzeitig auch diejenigen, die nicht völlig kritikfrei sich in dem Feld bewegen, sondern sie teilweise dann auch entsprechende Tools, Plattformen weiterentwickeln sich kritisch zu diesen Gebühren, die im Bereich Open Access zunehmend verlangt werden, sich da äußern. Alternative, vielleicht auch stärker wissenschaftsinterne getriebene, Publikationsmodelle vorantreiben. Also, sie werden wiederum im Feld Open Science selbst noch pionierhafter und machen sich deshalb keine Sorge, dass sie irgendwann zu langweilig werden.
[00:20:53] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und haben Sie vielleicht ein paar Beispiele für uns, für bestimmte Erfahrungen? Oder können sie vielleicht ein paar Anekdoten teilen, die die Motive eines Forscher oder einer Forscherin für die Verwendung von Open Science besonders gut veranschaulichen? Sie haben ja schon so ein paar genannt, aber haben Sie vielleicht noch ein paar mit?
[00:21:10] Ronny Röwert:
Ja, also, wenn man jetzt so den Haupttreiber, wenn man das überhaupt benennen kann, nimmt, also die Nachnutzung. Das soll einfach wirklich nicht umsonst irgendwo abgelegt werden, was man an Forschungsmethoden eingesetzt hat, dann fand ich eine Metapher ganz interessant von einem Psychologen, der sagt, „Im Endeffekt ist es, er will auf keinen Fall wie die Großmutter am Lagerfeuer sitzen und Geschichten erzählen und niemand interessiert sich dafür und niemand hört zu.“ Also so ein Streben nach Resonanz, also das sind alles Personen, würde ich schon sagen, ohne dass ich jetzt psychologisch rein auf die Personen gucke. Aber ich würde es schon so interpretieren, dass sie ein besonderes Bedürfnis haben, dass sie das nicht die Publikation ablegen, und dann ist sie abgelegt und sie können sie in ihrer Publikationsliste aufnehmen. Sondern da muss mehr draus geschehen. Sie wollen auch in Interaktion gehen. Sie freuen sich, wenn es über Open Peer Review Formate nochmal besondere Begutachtung bekommt, statt die zwei Standardreviews, die man für eine akademische Fachpublikation bekommt. Also, das ist schon enorm, tatsächlich. Das fand ich eigentlich ganz eindrucksvoll.
[00:22:16] Doreen Siegfried:
Jetzt haben Sie gerade schon gesagt, irgendwie, dass die Nachnutzung ist der stärkste Treiber. Was ist denn so auf den weiteren Plätzen? Also, was sind denn so die Top Drei oder die Top Fünf Treiber?
[00:22:28] Ronny Röwert:
Also, Top eins ist auf jeden Fall die Nachnutzung. Das ist so eine Mischung aus einem ganz persönlichen Vorteil, den man haben möchte, wenn natürlich mit Nachnutzung auch. Und das wäre quasi das zweite Motiv, konkret Zitationsvorteile zu erlangen. Das sieht man ganz stark, was mich dann auch überrascht hat. So als drittes, also quer über diese pionierhaften, avantgardartigen Wissenschaftler:innen ist das öffentliche Interesse, habe ich das genannt. Das heißt zum Beispiel, dass Steuergelder, dass man den Anspruch hat, dass, wenn das öffentliche Mittel sind, öffentliche Steuergelder, öffentlich finanzierte Forschungsprojekte, dass man der Gesellschaft gerecht wird und das nicht hinter Bezahlschranken oder nicht verfügbaren Plattformen die Forschung lagert. Das fand ich tatsächlich sehr stark. Und dann kommen schon so weiche Dinge wie diese Wirkungs- und Sinnorientierung, dass alle sagen, ich mach doch mir nicht diese Mühe, gerade wenn man sich Karrierewege in der Wissenschaft anguckt, dann ist das ja auch kein, kein leichter Gang. Ich mache mir diese Mühe doch nicht, um am Ende einfach eine oder einer unter vielen zu sein. Ich muss doch den Ansprüchen gerecht werden und, genau, wollen sich deshalb auch in dieser pionierhaften Rolle so verorten.
[00:23:41] Doreen Siegfried:
Okay, aber das heißt, wenn wir die jetzt versuchen, nochmal zu beschreiben, die Motive. Sie haben jetzt gesagt, Nachnutzung, das ist sozusagen das oberste. Da wäre jetzt die Frage: Nachnutzung für die Gesellschaft, für andere Wissenschaftler:innen oder auch Nachnutzung so ein bisschen für das zukünftige Ich. Also ist Nachnutzung jetzt, wenn Sie es jetzt sozusagen definieren müssten, eher eine altruistische Motivation oder eher ein karrieristischer Hintergrund?
[00:24:07] Ronny Röwert:
Es ist…
[00:24:09] Doreen Siegfried:
Es ist beides, oder?
[00:24:10] Ronny Röwert:
Wenn man es dann visualisiert… In meiner Promotion sind auch… Es ist auf der Grenze zwischen dem individuellen Motiv und dem Motiv stärker, was für die eigene Fachdisziplin ist, also für die Motiv für die Wissenschaft. Es geht schon darum, dass Publikationen leichter, auch gerade jetzt in der Informatik, reproduzierbar sind, dass qualitative, quantitative Daten vielleicht dazu nachzuvollziehen sind. Das sind Gründe, die persönlich natürlich wirksam sind. Aber man denkt schon an dies überschaubare Forschungsfeld, in dem man tätig sind. Man hat wahrscheinlich auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Fachdisziplin vor Augen, die am ehesten Mal auf den eigenen Datensatz gucken und dort gucken und den auf mögliche Fehler oder Weiterentwicklungspotenziale prüfen. Oder eben auch ein Kollege, der stark im Bereich, was wir jetzt KI nennen, und eben große Datenmengen zur Verfügung stellt und sich eben freut, wenn Industrieunternehmen den Nutzen für ihre Anwendung… Und er kennt natürlich auch die Industriepartner. Also, es ist nicht, es ist nicht abstrakt, wenn man über Nachnutzung spricht und dass irgendeine anonyme Nutzerin, ein anonyme Nutzer im Internet mal auf die Daten geht. Man kennt sich ja in dem entsprechenden Forschungsfeld. Von daher ist es so eine Mischung aus „Ich tue schon etwas Gutes für meine Disziplin, vielleicht auch manchmal für die Gesellschaft. Ich merke das aber sehr persönlich auch an meiner Vita, in meinen Forschungsprojekten, auch über neue, vielleicht Formen der Zusammenarbeit, dass da etwas passiert mit dem, was ich gemacht habe.“ Das muss aber gar nicht im enormen Ausmaß sein. Also, es kann schon sein, dass zwei bis dreimal der Datensatz für Folgeforschung verwendet wird. Und das schafft dann diese enorme Zufriedenheit und Wirksamkeit und motiviert dann einen auch in dem nächsten Projekt zu beanspruchen, dass die Daten und alles Weitere offen zugänglich ist.
[00:25:59] Doreen Siegfried:
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe in der Vergangenheit schon oft mit Wirtschaftsforschenden gesprochen für unser Open Science- Magazin, und was da beispielsweise ganz oft genannt wird, ist zum einen, dass man selbst irgendwie bestimmte Daten braucht und die aber nicht findet, weil niemand sie teilt und dann mit viel, viel, viel, viel Mühe diese Daten erhebt. Und dann tatsächlich meinte mal jemand, „Ich möchte bitte das Ende dieser Kette sein von Leuten, die dieses Maß, was er da untersucht hat, nochmal und nochmal und nochmal erheben, sondern ich bin jetzt sozusagen derjenige, der es teilt, und dann können alle nach mir die Sachen nachnutzen und sparen Zeit.“ Und was auch viele nennen ist, wenn jemand meine Daten nachnutzt, arbeitet diese Person ja an einem ähnlichen Thema und dann habe ich aber sowas von einem super tollen Gesprächspartner, mit dem ich mich dann tatsächlich über diese Sachen austauschen kann, und das ist inspirierend und spannend und sehr erfrischend. Und da sind wir dann wieder bei Resonanz. Gibt es denn irgendwie auch, haben sie auch Faktoren identifiziert, die die Motivation von Forscher:innen für Open Science hemmen könnten?
[00:27:08] Ronny Röwert:
Ja, da haben alle sehr ähnliche Gründe genannt. Zum einen, das ist ja kein großes Geheimnis, ist es quasi die ganze Karrierefrage. Wie sind Karrierewege in der Wissenschaft, eine große Diskussion. Also ist es jetzt nur über quantitativen Output gemessen, und wenn ich dann vielleicht etwas eher auch Qualitatives mache, wie das meine Forschung nicht nur zu lange Publikationslisten führt, sondern zusätzlich auch noch Methoden und weiteres bereithält. Dann gibt es so, jetzt kann man tatsächlich Typen bilden. Da gibt es so drei Typen innerhalb des Samples. Die einen sagen, das wird wahrscheinlich meiner Karriere schaden. Diese extra Zeit könnte ich ja, diese 20 Prozent könnte ich ja in 20 Prozent mehr Publikationen stecken. Es gibt manche, die sagen, ich weiß es gar nicht, ich bin gespannt. Und es gibt auch manche wenige, die sagen: Na ja, es gibt so viele Nachwuchswissenschaftler:innen in meinem Feld, vielleicht in der Berufungskommission gibt es dann doch die Personen, die sagen: Naja, publiziert haben die alle, internationale Erfahrungen… All diese ganzen Kriterien sind vorhanden, aber dass diese Person besonders mit einem offenen Anspruch Forschung betreibt, das könnte vielleicht einen Ausschlag geben, um auf Listenplatz eins gesetzt zu werden. Also diese Karrierelogiken prägen das enorm. Manche behaupten dann eben, es bremst es. Dann gibt’s Rahmenbedingungen, wenn es jetzt zunehmend auch einfach teurer wird, konkret sowas wie Open Access zu veröffentlichen. Es gibt diese Artikel Processing Charges, das heißt Gebühren, die vor allem gegenüber Verlagen bezahlt werden müssen. Und auch da, wenn man nicht in einer privilegierten Rolle ist, wird es schwieriger. Oder eben konkret jetzt die Literaturwissenschaftlerin in meinem Fall, mit Verlagen diese Verhandlungen führt und die Verlage vielleicht ein bisschen hartnäckiger als früher sind, weil sich Geschäftsmodelle ändern. Und dann gibt es ganz auch nachvollziehbare Gründe. Das sind forschungsethische Fragen, dass, wenn ich sensible Daten erhebe, ich mal nicht alles gleich offen zur Verfügung stellen kann, Fragen des Datenschutzes und auch manche Kolleginnen und Kollegen, die stärker mit der Industrie zusammen forschen und da vielleicht auch eine gewisse Skepsis von außen ran getragen wird und man natürlich da auch sensibel sein muss. Ich glaube, das letzte sind auch legitime Gründe und diejenigen haben ja trotzdem auch einen Preis dafür bekommen, auch wenn sie darauf Rücksicht genommen haben. Sind aber gleichzeitig motiviert, diese Standards und Normen, die durch Datenschutz und forschungsethische Aspekte in die Rolle kommen, mal vielleicht so an die Grenzen dessen zu gehen, wie weit man da gehen kann. Es sind gleichzeitig Personen, die das dann auch eben austesten.
[00:29:45] Doreen Siegfried:
Bisschen ausreizen. ja spannend, okay. Und haben Sie eine Korrelation gefunden zwischen der Motivation zur Durchführung von Open Science und der Qualität oder auch der Quantität der produzierten Forschung?
[00:29:58] Ronny Röwert:
Ja, das… Ich habe Interviews geführt. Es hätte mich natürlich gereizt, und ich bin auch schon mit Kolleg:innen und Kollegen im Gespräch, ob man nicht nochmal stärker nochmal hingehen müsste. Also, es gibt ja auch so eine Art ethnographischen Zugang in die Wissenschaftsforschung, dass man wirklich zu den Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern hingeht und so ein bisschen mehr im Alltag sich anschaut, was bedeutet das jetzt wirklich, am Schreibtisch, im Labor, in den konkreten Projekten? Und mal schaut, was in welcher Konsistenz findet man das? Weil natürlich ist es auch viel sozialerwünschtes Antwortverhalten erst recht, wenn man noch einen Preis dafür bekommen hat, dass man das, was man qualitativ, quantitativ macht, besonders groß darstellt. Da würde ich eher vorsichtig sein und über das Ausmaß der Kolleginnen und Kollegen urteilen. Das einzige, was ich sagen kann, ist diese Konsistenz, also über viele Jahre in allen Projekten, das auch einzufordern. Also, die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten ja niemals allein, sondern auch natürlich mit Kolleginnen und Kollegen. Und dieses konsistente Einfordern, diese Hartnäckigkeit, das sieht man dann schon nur bei denjenigen, die die Vorteile auch schon mal selber gespürt haben, also vielleicht mit höheren Karrierestufen, vielleicht noch eine andere Verhandlungsposition und eben diesen Anti Mainstream, ja -Charakteren, die sich da in so einer pionierhaften Rolle fühlen. Da gehe ich mal stark davon aus, dass sie diese Hartnäckigkeit, also auch so eine Qualität der Forschung haben.
[00:31:23] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ich meine, wer hartnäckig ist beim Thema Open Science Umsetzung, ist auch in anderen Fällen hartnäckig. Ja.
[00:31:29] Ronny Röwert:
Das stimmt.
[00:31:29] Doreen Siegfried:
Ja okay. Nun haben Sie ja schon gesagt, Wissenschaftler:innen arbeiten ja nicht alleine am Schreibtisch und haben von morgens bis abends Zeit. Da gibt es ja noch ganz viele soziale und institutionelle Faktoren, die letztlich auch die Motivation eines Forschers oder einer Forscherin vielleicht beeinträchtigen, beeinflussen, hemmen, wie auch immer. Sie haben in Ihrem Vortrag auf der zehnten Open Science Conference gesagt: „Research culture eats Open Science strategy for breakfast“. Wie meinen Sie das?
[00:32:03] Ronny Röwert:
Da wollte ich ein bisschen zugespitzt in Anlehnung an Mintzberg darauf eingehen, dass die schönsten Strategien, die schönsten Pamphlete, die schönsten Verlautbarungen wahrscheinlich nichts nützen, weil es enorm etwas… Wenn wir über Open Science dann reden, über den Kern der Forschungskultur, und dann reden wir über Forschungskultur. Und das Allermeiste dort ist selten formell institutionalisiert, würde ich sagen. Wir haben so Begriffe wie Doktorvater, Doktormutter, die sagen ja schon einiges. Das heißt, die ganze Sozialisation, wie ich mich gebe, wie ich mich im Alltag bewege, wie ich über meine eigene Forschung spreche, wie ich taktisch agiere, das sind alles ungeschriebene Gesetze, in der Regel. Und wenn wir da ran wollen, dass sich wirklich Forschungskultur zu etwas ändert, was Herr Tochtermann, glaube ich, sowas wie die Normalisierung von Open Science genannt hatte, da müssen wir an den Kern der Sozialisation. Da müssen wir vielleicht auch ganz früh bei Nachwuchsforschenden anfangen und da, wo sie das erste Mal mit Forschung in Kontakt kommen, den ersten Datensatz produzieren, vieles, was sie implizit machen, über was sie sonst auch nicht reden würden. Dann müssen wir da ran. Und das ist natürlich ein hartes Brett. Und ich glaube, da müssen wir dann auch andere Felder angehen, wie in Fachgesellschaften mehr Lobbyarbeit machen. Wir müssen an die Graduiertenkollegs ran, wir müssen in die Nachwuchsgruppen genau dort, wo man geformt wird zur Wissenschaftlerin und Wissenschaftler. Es gibt eine andere Wissenschaftsforscherin, Stefanie Engler, die sagt, nicht wir werden zur Wissenschaftlerin, sondern wir werden zu dem gemacht. Also wir werden zu dem geformt, quasi über dem, was wir nachahmen und ich glaube, da müssen wir ran. Sonst wird die beste Strategie eben zum Frühstück gegessen.
[00:33:51] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und haben Sie dann eine konkrete Idee, was jetzt beispielsweise ein Graduiertenkolleg anders machen kann? Weil die Leute, die tatsächlich in ein Graduiertenkolleg aufgenommen werden, die sind ja durch schon mal so eine Filtergeschichte durchgegangen, sonst wären sie ja gar nicht aufgenommen worden. Das heißt, sie sind ja auf jeden Fall schon auf dem guten Weg der Sozialisation hin zu einem Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin. Wo kann man da tatsächlich noch Kultur ändern?
[00:34:18] Ronny Röwert:
Ich glaube auch zunehmend, dass Open Science dort adressiert ist, wenn es um auch gute wissenschaftliche Praxis und so was geht. Auf Basis zu dem, über das ich jetzt vor allen Dingen sprechen kann. Meine Ergebnisse würden eher sagen, wir sollten viel mehr statt, ja, irgendwelche Policy Papers oder die Hochschulleitung hat eine Open Policy geschrieben oder bei uns das Wissenschaftsministerium spricht sich für Open Science aus. Ich glaube, das sind nicht die Gründe, wo sich viel verändert. Ich glaube, wir müssen ein realistisches Bild zeichnen. Wir müssen auch über Aufwände, Ressourcen reden, um Open Science zu betreiben. Wir können nicht das komplette Rad von Open Science aufmalen, und alle möglichen Forschungsmethoden und Ergebnisse und Datensätze müsst ihr von einem Schlag auf den anderen öffentlich stellen. Das kann auch schnell überfrachtend wirken. Sondern vielleicht pragmatischer damit umgehen, was in der Fachdisziplin in der jeweiligen Qualifikationsphase entsprechend Sinn macht. Also realistischer. Und vielleicht kann meine Komplexität, wie viele Motive es gibt, ja helfen, dass man eben nicht davon ausgeht, dass man auf der ersten Folie sagt, Mensch, das hilft der Gesellschaft, also tu das bitte auch, sondern realistisches Bild verhindern. Und dort würde ich auch noch stärker auf die Vorbildfunktion von Dekaninnen, Dekanen, von Forschungsgruppenleitungen setzen, das auch selber umzusetzen. Setzt natürlich voraus, dass sie es selber erst mal machen. Aber ich glaube, so ein gegenseitiger sozialer Druck würde dort helfen. Anstatt dass nur die externe Referentin, die eingeladen ist, über die neuen DFG-Leitlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis, kurz einen Vortrag dazu hält. Ich glaube, da müsste es dann eher müssten es Peers sein, da müssten die Postdocs, die mit gutem Beispiel im Bereich Open Science vorangehen, zu den Predocs dazukommen und eben sagen, „Ich habe das gemacht, es ist aufwendig. Ich hatte den und den Nutzen davon. Und in meiner Disziplin, also auch eurer Disziplin, bedeutet dies konkret das und das, und macht das nicht alles in einem Projekt, sondern vielleicht Schritt und Schritt arbeitet ihr euch an das Thema ran“. Also Realismus und Vorbildcharakter, da können wir noch besser werden.
[00:36:29] Doreen Siegfried:
Das heißt, ich meine, in jedem Wissenschaftler und in jeder Wissenschaftlerin steckt ja Entdeckergeist und Pioniergeist und auch Hartnäckigkeit, sonst würde man das nicht durchstehen, sonst würde man das gar nicht schaffen, alleine bis zum Doktortitel. Das heißt, eigentlich könnte man ja fast denken, man muss sozusagen diesen Pionier im Wissenschaftler einfach nur wach küssen oder herausschälen oder empowern oder wie auch immer. Wäre das so der Gedanke, den Sie haben?
[00:37:00] Ronny Röwert:
Ja. Das trifft es ganz gut. Statt so, wie wir es bisher vor allen Dingen machen, subtil das Wissenschaftsfeld wirken zu lassen, und das Wissenschaftsfeld ist das Kräftemessen um die längsten Publikationslisten, um möglichst tolle internationale Auslandserfahrungen, um die erste Keynote auf irgendeiner Tagung. Ich glaube, da werden vor allem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geprägt. Ich glaube, wir müssen viel stärker dazu übergehen, auch diese Faktoren wie Open Science dort reinzubringen und auch prominenter reinzubringen. Bis hin zu … Auch das ist ja nicht nur abstrakt. Einer der interviewten Wissenschaftler sagt, das muss in Kriterien in Berufungsverfahren rein und dergleichen. Also, da sind auch gewisse Kämpfe dann zu führen, was bisher auch in unseren Metriken in der Wissenschaft eine Rolle spielt und was sich verändern müsste. Da tut sich ja in etwa etwas und ich würde das nur unterstreichen, dass es in diese Richtung weitergehen soll.
[00:37:56] Doreen Siegfried:
Ja. Also vielleicht kleiner Exkurs für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer an dieses Thema Metriken. Da gibt’s auch eine Podcastfolge mit Claudia Labisch zu CoARA zu der Koalition zur Reformierung der Forschungsbewertung. Vielleicht kleiner Werbeblock, da mal kurz reinhören. Aber die beiden Themen – zurück zu Ihnen: dieses Thema Open Science-Bewegung, was ja schon ein bisschen älter ist und diese internationale, oder europäische ist es ja erstmal, Reformbewegung zur Transformation oder zur Reformation der Forschungsbewertung, die stützen sich ja eigentlich gegenseitig.
[00:38:39] Ronny Röwert:
Genau.
[00:38:39] Doreen Siegfried:
Okay, das heißt, da sind Sie optimistisch, dass da eventuell was passiert. Weil es geht ja, zahlt alles am Ende auf das Thema Forschungskultur ja ein.
[00:38:47] Ronny Röwert:
Ja. Also, die interviewten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwähnten schon mehrfach so, dass sie die Hoffnung haben, dass da eine neue Generation auch heranwächst, die Dinge anders macht, die irgendwann dann auch, und ein bisschen Geduld muss man haben, an den Schalthebeln, bei der Besetzung neuer Positionen und auch beim Ausformulieren von dann doch auch Strategien und Anforderungen. In den Förderorganisationen da wird sich noch was ändern und das sollten wir aber nicht der Selbstverständlichkeit überlassen. Und dass wir sagen, das macht ja einfach Sinn, das ist so plausibel, Open Science, das wird schon von alleine kommen. Ich glaube, da können wir ein bisschen mehr Ungeduld walten lassen, wenn wir schon jetzt seit den 2000er Jahren warten, dass sich das doch automatisch verankert. Ich glaube, automatisch passiert nichts. Dazu sind Verlage, und auch das ja nach der katholischen Kirche die zweitälteste Institution sind die Universitäten. Das wäre zu behäbig. Ich glaube, so viel Zeit haben wir nicht, zu warten, dass sich da irgendetwas alleine transformiert.
[00:39:46] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Wenn Sie jetzt sagen, so viel Zeit haben wir nicht, zu warten. Diese Argumentation kennen wir ja auch aus anderen Kontexten. Braucht’s da sozusagen mehr Radikalität? Braucht es da die Open Science-Kleber, sag ich mal?
[00:39:58] Ronny Röwert:
Ja, gut. So ein 68er von Open Science. Ja, ich glaube schon, nur eben nicht dogmatisch. Also, ich glaube, dieses, ihr müsst doch jetzt! Es ist doch so logisch, macht das doch bitte! Es ist doch…Ich meine, die Datensätze sind doch viel leichter auf Plattformen untergebracht als in irgendwelchen versteckten virtuellen Plattformen. Nur das reicht eben nicht. Also es braucht eben die, die es aktiv machen, die es in der Praxis machen. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass in jeder Fachdisziplin es mittlerweile genau diejenigen gibt. Auch in jeder Teil Fachdisziplin an jeder Universität, inzwischen auch an immer mehr Fachhochschulen gibt es diese Personen. Und ich glaube tatsächlich diese pionierhaften Praktiker:innen, die das nicht einfach nur ideologisch, normativ fordern, sondern die es umsetzen, mit gutem Beispiel vorangehen, aber eben realistisch, und dass die nicht mehr als Sonderlinge behandelt werden, sondern man sie viel stärker auch von Seiten der Hochschulleitung oder auch in der Fakultät nutzt, um das Thema zu verankern.
[00:41:07] Doreen Siegfried:
Okay. Was würden Sie denn jetzt tatsächlich solchen Open Science-Avantgardisten raten, die, in Klammern bemerkt, sich ja manchmal selber gar nicht unbedingt als die großen Helden sehen. Also was würden Sie diesen Personen raten, tatsächlich, um vielleicht ihre Kolleg:innen zu inspirieren, auch mal bestimmte Praktiken aus dem Kontext Open Science auszuprobieren?
[00:41:30] Ronny Röwert:
Ja, das ist interessant, dass Sie sagen, dass sie sich selber nicht so sehen. Also alle, was die alle auch gemeinsam hatten, die ich interviewt habe, die einen Preis dafür bekommen haben, dass sie am Anfang des Gesprächs quasi alle schüchtern gesagt haben, „Ich glaube, Sie interviewen die falsche Person. Also, es gibt sicher andere Kolleginnen und Kollegen, die Open Science noch viel intensiver machen. Ich habe vielleicht den Preis sogar versehentlich bekommen, weil ich mache eigentlich gar nicht so stark Open Science.“ Und im Endeffekt ist das ja auch ein Teil der Antwort, dass es unrealistisch ist, die komplette Forschungspraxis, die man selber hat, weil man ja auch selten ohne, also man ist ja auch in institutionellen Kontexten und muss ja die Spielregeln auch mitspielen, dieses komplette Offen, diese komplette Offenheit, die wird man bei niemandem finden. Das kann ich mir nicht vorstellen. Und ich glaube, dazu würde ich auch raten, wenn man Kolleginnen und Kollegen überzeugt, so konkret wie möglich schildern, wie man es macht, also die Literaturwissenschaftlerin, die die Verhandlungen mit den Verträgen offenlegt, die Beispiel-E-Mails dazu teilt, die sagt, wo es auch mal nicht geklappt hat, was sie daraus lernt für das nächste, für den nächsten Antrag für ein Forschungsprojekt. Also in dieser Konkretheit und auch in diesen Zwiespalt, den das manchmal auch im Alltag dann mit sich bringt. Das müssen wir stärker vermitteln und dieses realistische Bild plus wirklich nochmal diesen Forscher:innengeist wecken. Und vielleicht könnte eine Stütze sein, diese ganzen Motive, die es gibt, darüber mal ins Gespräch zu kommen. Was treibt dich an? Warum könntest du dir denn vorstellen, im nächsten Forschungsprojekt lieber doch noch mal sich um Open Access zu bemühen, statt nicht. Und mit diesen Motiven mal ins Gespräch zu kommen, anstatt das so ein bisschen klammheimlich, sagen alle, ach, das war jetzt Zufall, dass der Verlag mir diese Option gegeben hat. Also darüber ins Gespräch zu kommen und das auch zu akzeptieren, dass alle unterschiedliche Gründe haben. Ich bin sicher, es gibt genug Gründe, über die man sich unterhalten kann, also wirklich persönliche Gründe.
[00:43:31] Doreen Siegfried:
Ja okay. Glauben sie denn, dass ein stärkerer Fokus sozusagen auf die Vorteile von Open Science, also in beiden Welten, sowohl die altruistischen Gründe, die kennen wir alle, als auch die individuellen Vorteile, die man daraus hat. Dass dieser Fokus auf diese Vorteile in der akademischen Ausbildung vielleicht sogar schon dazu beitragen könnte, die Motivation für offene Forschung zu erhöhen? Also sprich, sollten Studierende, die gerade so anfangen oder die vielleicht am Ende ihres Studiums sind, mit dem Thema schon vertraut gemacht werden?
[00:44:05] Ronny Röwert:
Ich glaube, wenn man Studierenden das mal erklärt, wie das ist mit dem Wissenschaftssystem, das in der Regel ja öffentlich finanziert ist. Dann wird quasi die Forschung aus öffentlichen Mitteln veröffentlicht, seien es die Daten oder die Publikationen, und dann wird auch noch freiwillig begutachtet, auch mit Steuergeldern quasi finanziert. Und am Ende bezahlen manche vielleicht noch dafür, dass es irgendwie verfügbar ist als Publikation und die Studierenden müssen glücklich sein, an welcher Hochschule sie sind, um auf den wissenschaftlichen Beitrag, die Publikation zuzugreifen. Dann sind die erstmal geschockt und verstehen nicht, dass das Wissenschaftssystem tatsächlich so funktioniert. In ihrer Welt sind das ja alles…
[00:44:49] Doreen Siegfried:
Götter
[00:44:49] Ronny Röwert:
Götter und motiviert und das macht ja eigentlich gar keinen Sinn. Und ich glaube also, anekdotisch gesprochen, würde ich also habe ich diese Erfahrung auch selber gemacht, dass Studierende das erst mal merkwürdig finden. Und dann muss man aufpassen, nicht, dass sie denn sagen, wenn man sagt, naja, wenn du jetzt weitermachst nach dem Master und Wissenschaftler:in werden willst, dann machst du das doch sicher anders. Da würden alle sagen “Ja, nee. Sowas mache ich auf keinen Fall. Dazu gehe ich jetzt nicht in die sogenannte Forschung.“ Ich glaube, dass sie diesen Leitspruch ziemlich schnell vergessen, wenn sie tatsächlich überwältigt werden von, wie Wissenschaft dann wirklich funktioniert, und dem Hecheln nach dem besten CV. Ich glaube, man muss eben dort frühzeitig gleichzeitig vermitteln, wie eben das Wissenschaftssystem tickt, welche Spielregeln dabei sind und wie das auch zustande kommt, dass man dann mit dem besten Willen und Wissen und Gewissen, und niemand würde ja als Wissenschaftler:in absichtlich hinter einer Bezahlschranke veröffentlichen wollen. Also, da sind mir wenige Beispiele bekannt. Wie das trotzdem passiert, dass wir in diesem System quasi so ein bisschen auch feststecken, das müsste man mit vermitteln. Also nicht nur einfach sagen: So ist es jetzt. Das ist blöd. Macht es doch persönlich anders. Sondern auch ein bisschen aufklären, wie es systemisch im Wissenschaftssystem… was da los ist, und im besten Fall auch noch so ein paar versteckte Motive ran, warum man denn Dinge dann tatsächlich anders machen müsste.
[00:46:14] Doreen Siegfried:
Was natürlich, das merke ich aus dem Feld Wissenschaftskommunikation, immer so ein absoluter Balanceakt ist: auf der einen Seite, möchten viele Akteure aus dem Feld der Wissenschaftskommunikation erklären, wie toll Wissenschaft ist. Und man kann da frei forschen und mit internationalen Partnern und so weiter und alle haben weiße Kittel an und Latexhandschuhe. Das ist super und toll. Und auf der anderen Seite ist dann die Realität: wir haben prekäre Arbeitsverhältnisse. Wir haben einen wahnsinnigen Wettbewerbsdruck in der Wissenschaft. Wir haben diese ganzen fragwürdigen Forschungspraktiken, die ja in vielen Open Science Vorträgen erwähnt werden, wie P-Hacking, Salami Slicing, was weiß ich. Also, wie kriegt man Ihres Ermessens nach diesen Balanceakt hin, gerade wenn es um Studierende geht, denen zu sagen, so läuft der Wissenschaftsbetrieb, aber eigentlich müsste man den komplett reformieren, ohne dass die hinterher sagen, okay, ich werde doch lieber Zahnarzt oder, keine Ahnung, Handwerkerin. Verstehen Sie, was ich meine? Also dass man nicht gleich sozusagen Wissenschaft als ein absolutes Schreckensszenario darstellt, was es ja nun wirklich bei Leibe auch gar nicht ist, sondern sagt: „Okay, so funktioniert Wissenschaft, und es gibt Aspekte, die sind nicht so ganz so toll. Macht die mal bitte anders.“ Also wie kriegen wir das pädagogisch gut hin?
[00:47:36] Ronny Röwert:
Ja, weder noch. Also vielleicht ist dieses glorreiche, mystische Bild, was wir manchmal von Wissenschaft zeichnen, wenn wir vor allem natürlich stark auf das, auf die Ergebnisse und auf das, was in den Disziplinen passiert, darauf eingehen. Vielleicht ist das ein bisschen zu träumerisch, nur dieses Bild zu zeichnen. Wir sollten aber auch nicht nur von Personen, die, in Anführungsstrichen, ausgestiegen sind aus dem Wissenschaftssystem, das Schreckensszenario, sondern ich wäre da immer viel mehr für ein realistisches Bild. Und es gibt auch viele, auch zum Beispiel in meinem Sample interessanterweise, die studiert haben, dann in die Industrie gegangen sind, jetzt zum Beispiel stark im Bereich Informatik, dort feststellen, dass es teilweise noch viel geschlossener ist, es gar keine Spielräume gibt, wenn man bei großen Tech-Konzernen arbeitet. Da ist Open Source dann nicht mehr gang und gäbe. Die dann sagen, naja, im Informatikstudium haben wir doch immer alles geteilt und auf offenen Plattformen zur Verfügung gestellt, und die dann zurückkommen ins Wissenschaftssystem. Schon wissen, dass es dort auch nicht alles Gold ist, was glänzt, aber sie zumindest persönliche Wirksamkeit sich versprechen und denken, naja, ich kann ja, vielleicht kann ich nicht die Disziplin verändern. In der Informatik ist es auch nicht so schlimm, weil die schon relativ weit sind in dem Bereich. Aber ich kann zumindest in meinen Projekten in meinem Umfeld, an meinem Institut, an meinem Lehrstuhl, da kann ich tatsächlich das, was ich eben nicht nur inhaltlich denke, sondern auch, wie Wissenschaft gemacht werden soll, konkret verändern. Also vielleicht sollten wir mitgeben, dass es da noch viele, vorsichtig ausgedrückt, Optimierungspotenziale gibt. Man kann auch nicht alle sofort ändern, aber man hat schon eine hohe Wirksamkeit. Der andere Kollege, der in der Berufungskommission das Thema platziert. Also wir sind ja nicht, wir schaffen uns dieses System ja teilweise selbst. Also, es gibt natürlich politische Rahmenbedingungen, aber auch die sind veränderbar. Also ich glaube, wir müssten mehr auf diese Veränderungsmöglichkeiten hindeuten, ohne zu sagen, jetzt ist schon alles schön, wir brauchen ja nichts zu verändern. Also das wäre, glaube ich, sehr, sehr spannend. Und ich glaube, wir würden gar nicht so viele verschrecken, wenn wir ein realistisches Bild zeichnen, zumindest was Open Science betrifft. Was die Karrierebedingungen betrifft, das ist natürlich nochmal ein ganz anderes …
[00:49:34] Doreen Siegfried:
Ja. das ist ein anderes Thema, das stimmt.
[00:49:45] Ronny Röwert:
…Feld. Aber für Open Science, glaube ich, ist es motivierend für viele. Man sieht im Übrigen das gleiche auch für Personen, die sich besonders in der Lehre engagieren. Auch da hat man rausgefunden, das sind die, die mal draußen waren, die gesagt haben, ich guck mal kurz, wie es in der Industrie oder in den Unternehmen läuft, und dort ist Kund:innenorientierung ja gang und gäbe. Das heißt die kommen zurück in die Wissenschaft und sagen, na wenn, dann will ich es auch nach meinen Idealen gestalten und nicht nur die Semesterwochenstunden pro Forma abreißen. Und diesen Effekt, den würde ich mir auch viel mehr wünschen für im Bereich Open Science, dass man nicht nur mit fachlicher Passion dabei ist, sondern auch die Art und Weise, wie geforscht wird, stärker mit einem Ideal umsetzt.
[00:50:24] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Sie hatten ganz am Anfang gesagt – wir kommen so langsam ans Ende – Sie hatten am Anfang gesagt, okay, es gibt diese 14 Gründe und man muss letztlich in der Ansprache, wenn es darum geht, Open Science sozusagen zu etablieren, als gute wissenschaftliche Praxis etwas differenzierter vorgehen und eben diese unterschiedlichen Gründe in der Ansprache auch berücksichtigen. Was wären denn jetzt ihre Empfehlungen, wie tatsächlich das Bewusstsein und die Motivation für Open Science in der wissenschaftlichen Gemeinschaft insgesamt gesteigert werden könnte?
[00:50:57] Ronny Röwert:
Es gibt genug Bewegung in den entsprechenden Fachdisziplinen, also vor allen Dingen bei den Fachgesellschaften, wo sich darüber ausgetauscht wird, was bedeutet das denn jetzt für unsere Disziplin? Was ist auch realistisch gegeben den Bedingungen und auch quasi unseren Spezifika? Und wenn man jetzt diese Open Science-Preisträgerinnen nimmt, die selbst als pionierhafte Menschen für sich immer feststellen, es ist ein super großer Spagat-Akt. Also, ich bin bei weitem nicht so offen in meiner Forschung, wie ich denn quasi sollte. Für die insgesamt würde ich für dieses, für diese pionierhaften Personen feststellen, dass es quasi sie sind, pionierhaft darin, dass sie es immer mitdenken, aber nicht alltäglich umsetzen. Und über diese realistischen Grenzen, die in der Disziplin vielleicht auch unter den Förderbedingungen gegeben sind, welche realistischen Grenzen sind wir denn? Was können wir vielleicht auch von Kolleginnen und Kollegen erwarten? Dass es dazu mal einen Austausch quasi gibt. Weil sonst wird das Feld denjenigen überlassen, die gar nicht primär jetzt in der Wissenschaft sind. Das sind die Förderorganisationen oder entsprechend im Wissenschaftsministerium, die das versuchen zu deklinieren, ohne vielleicht dieses Verständnis für die Praxis entsprechend zu haben. Also, was ist die natürliche Grenze, die wir haben, zum Beispiel im Bereich Sportmedizin, wo es um persönliche Daten geht, die wir nicht einfach öffnen können? Was ist unsere natürliche Grenze und wie können wir diese Grenze ein Stück weit noch als Community vorantreiben? Was können wir aber auch von uns gegenseitig erwarten? Also in dem Fall, konkreten Beispiel gesundheitsbezogene Daten, können wir jetzt nicht sofort live auf irgendwelchen Plattformen quasi zur Verfügung stellen,
aber wir können gemeinsame Datenschutzstandards schaffen, die einem helfen und kommen dann als Disziplin weiter und können dann auch von Kolleginnen und Kollegen unter anderem im Berufungsverfahren dies und jenes erwarten. Ich glaube, dieser Diskurs könnte noch ein bisschen stärker geführt werden, auch wenn ich weiß, dass zum Beispiel in der Wirtschaftswissenschaft, Informatik, auch Teilen der Physik da schon sehr, sehr viel drum gerungen wird. Und im Endeffekt ist es ein Drumringen, glaube ich. Also auf der normativen Ebene, wenn alle sich die UNESCO-Papiere dazu durchlesen werden, würde sich noch kein Widerspruch äußern. Wenn es darum geht, im nächsten DFG geförderten Forschungsprojekt: was sind denn die Ansprüche mit Bezug auf Open Access, Open Data? Ich glaube, dann kommt es schon zu einer ernsthaften Diskussion.
[00:53:28] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Das heißt, man braucht auch ein bisschen Lust an der Auseinandersetzung in dem Feld. Okay. Letzte Frage, Herr Röwert. Welche Tipps haben sie für Nachwuchsforschende, die jetzt tatsächlich unseren Podcast hören und sagen, okay, es gibt Open Science, noch nie gehört. Wie kann ich das am besten umsetzen?
[00:53:47] Ronny Röwert:
Ich glaube, ich würde es zugespitzt sagen, sowas wie Mutausbrüche wagen. Nicht Wut-, sondern Mutausbrüche. Und ganz praktisch sich vielleicht einmal im Jahr einen Reminder machen und vielleicht mal zwei, drei Stunden mit sich selbst, vielleicht auch mit Kolleginnen und Kollegen in Klausur gehen. Inwiefern die eigenen Ansprüche … und vielleicht auch warum möchte ich das gerne noch dazunehmen? Wie man es in der eigenen Forschungspraxis quasi offener, transparenter gestaltet. Weil ich glaube tatsächlich, es gibt da so eine Wucht der Normalität, die einen so überwältigt. Und dann hechelt man nur dem nächsten Förderantrag hinterher oder schreibt die nächste Stipendienbewerbung und so weiter und vergisst tatsächlich welche, auch naheliegenden, Möglichkeiten es gibt. Tauscht sich einfach mal auch doch noch mal mehr mit dem Forschungsdatenrepositorium für die Fachdisziplin oder der eigenen Universitätsbibliothek aus, wie es denn tatsächlich möglich ist, Publikationen offen zugänglich zu machen. Und wenn man sich überlegt, na ja, man ist wahrscheinlich, wenn man gerade startet, 30 bis 40 Jahre in dem Feld, dann sind es 30 Reminder, die man quasi, 30 bis 40 Reminder, die man aufruft, auch nicht jede Woche, auch nicht jeden Monat. Ich glaube, einmal im Jahr ist ein guter Zeitraum, um sich darüber zu unterhalten. Und wenn man es in der Gemeinschaft macht und am nächsten institutseigenen Tag der Forschung vielleicht sagt, es ist ein Tag der offenen Forschung, dann macht man es vielleicht auch mit anderen zusammen. Das wäre so mein persönlicher Tipp. Wer es häufiger machen möchte, der oder dem möchte ich natürlich jetzt nicht nein sagen, aber mindestens einmal im Jahr.
[00:55:29] Doreen Siegfried:
Ja, okay, ja, super, vielen Dank. Das war sehr interessant. Vielen Dank auch an Sie an den Kopfhörern. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Wir lassen natürlich alle Tipps und die Publikationen und so weiter in den Shownotes für Sie. Da können sie reingucken. Lassen Sie uns auch gerne Feedback da. Was hat ihnen gut gefallen? Was hat ihnen nicht gut gefallen? Über die Social Media-Kanäle Twitter (X), Youtube oder LinkedIn. Abonnieren Sie uns fleißig auf iTunes oder auf Spotify oder überall dort, wo man ansonsten Podcasts hört, und ich freue mich auf unsere nächste Folge. Vielen Dank.