Folge 31: Auf dem Weg zu Open Economics

The Future is Open Science – Folge 31: Auf dem Weg zu Open Economics

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Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Prof. Dr. Marianne Saam
Professorin für Digitale Wirtschaftswissenschaft, Universität Hamburg und Leitung Programmbereich Open Economics, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

[00:00:03] Marianne Saam:
Und mir kommt jetzt immer mehr der Gedanke, dass bei Open so ein bisschen die Frage im Raum steht, wie können wir Teile von der Diskussion, die in so engen Communities schon funktionieren, wie können wir die öffnen auf eine größere Community? Ja. Mein Kritikpunkt an dem Ganzen ist immer die Frage der Aufmerksamkeit. Also, menschliche Aufmerksamkeit ist begrenzt.

[00:00:29] Marianne Saam:
Ja, also meine Wahrnehmung ist, Open Science in den Wirtschaftswissenschaften kommt aus der Nische und aus dem Informellen heraus.

[00:00:39] Marianne Saam:
Abel Brodeur war am Anfang selber überrascht, welchen Erfolg das hat. Diese Idee, solche Hackathons eben zu organisieren. Also ein- bis zweitägige Events, wo Leute zusammen programmieren, aber eben nicht irgendwelche, sag ich mal, Softwareprobleme lösen, sondern versuchen, Papers zu replizieren. Und auch das ist ja auch, das wird ja dort nicht just for Fun gemacht, sondern das ist ja auch Teil so einer Meta Science-Forschungsperspektive.

[00:01:13] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich treffe mich hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb, die sich aus vielfältigen Perspektiven mit dem Thema Open Science beschäftigen. Heute haben wir eine Wirtschaftswissenschaftlerin hier zu Gast, die uns Einblicke in ihre Praxis gibt. Sie ist Professorin für Digitale Wirtschaftswissenschaft an der Universität Hamburg und sie leitet in der ZBW den Programmbereich Open Economics. Sie ist also im besten Sinne eine Brückenbauerin. Es geht zum einen um die Brücken zwischen Forschung und Forschungsinfrastrukturen, es geht aber zum anderen auch um Brücken zwischen Open Science Proponent:innen und Wirtschaftsforschenden, die sich über Transparenz, Offenheit, Replizierbarkeit der Forschung und andere Themen in diesem Kontext noch bislang keine so großen Gedanken gemacht haben. Herzlich willkommen, Professor Dr. Marianne Saam!

[00:02:15] Marianne Saam:
Ja, hallo. Ich freue mich, dass wir das heute machen.

[00:02:18] Doreen Siegfried:
Sehr schön. Du bist Expertin für digitale Wirtschaftswissenschaft. Was waren so deine Anfänge mit dem Digitalen und insbesondere mit digitaler Forschung?

[00:02:30] Marianne Saam:
Ja, die Anfänge waren eigentlich zwei verschiedene ursprünglich. Also meine Anfänge mit dem Digitalen und meine Anfänge mit der digitalen Forschung, das war zumindest für mich bewusst, waren das erst mal zwei verschiedene Sachen. Meine Anfänge mit dem Digitalen liegen in meinem Interesse an Wirtschaftswachstum und zunehmendem Wohlstand in der Gesellschaft. Was ist eigentlich materieller Wohlstand? Wie sind wir insbesondere in den reichen Ländern zu dem Wohlstand gekommen, den wir heute haben? Und welches Potenzial hatten und haben nun die digitalen Technologien, um diesen Wohlstand auszubauen, nachhaltiger zu machen, besser zu verteilen oder vielleicht auch nichts von alledem? Das ist so ein Forschungsinteresse von mir. Jetzt die digitale Forschung, das lief dann parallel. Ich bin 1995 an die Uni gekommen, zunächst mal als Studentin, und tatsächlich hatte ich mein erstes E-Mail-Account an der Uni. Also, ich hatte vorher nie E-Mail, nie Internet, das fiel historisch so zusammen. Und ich habe dann studiert, wohl mit einem Computer, ich weiß gar nicht mehr wie der aussah. Also jedenfalls nicht wie unsere heutigen Laptops. Und ich habe da wohl die eine oder andere Seminararbeit auf diesem Computer geschrieben. Aber ansonsten habe ich noch weitgehend auf Papier gelernt, gelesen, ausgedruckt, in der Bibliothek fotokopiert, ausgeliehen und auch meine Promotion habe ich noch so begonnen. Also, ich habe tatsächlich noch telefoniert mit jemandem und der hat mir dann zugesagt, Discussion Paper per Post zu schicken.

[00:04:09] Doreen Siegfried:
Ah, okay.

[00:04:10] Marianne Saam:
Ja. Und das fiel dann aber schon in die Jahre, wo sich das sehr rasch wandelte. Also, das war, glaube ich, schon so eine aussterbende Praktik zu dem Moment, wo ich diese Discussion Paper – ich weiß sogar noch, welche das sind – mit der Post bekam. Und dann war ich natürlich privat, wie viele jungen Leute damals, schon selbstverständlich im Internet unterwegs und dann ist mir das gar nicht so aufgefallen, dass ich innerhalb kurzer Zeit eigentlich dieses Papier nicht mehr benötigt habe, sondern auf ganz viele Forschungspapiere digital zugreifen konnte. Das, das war einfach so da, da habe ich mir gar nicht weiter Gedanken gemacht und das hat dann natürlich digital funktioniert. Ja, das andere ist eben, dass ich für meine Forschung, also ich habe erstmal mehr theoretische Forschung gemacht, tatsächlich mit Papier und Bleistift. So funktioniert auch meine theoretische Forschung heute noch. Und dann habe ich aber angefangen, auch Modelle zu simulieren und dann auch mehr und mehr ökonometrisch zu arbeiten. Und dazu brauchte man natürlich damals wie heute so rudimentäre Programmierkenntnisse. Da habe ich tatsächlich aus dem Diplomstudium auch nur sehr wenig mitgebracht. Also, ich hatte da nur ein ganz klein bisschen EViews, ganz klein bisschen STATA gelernt, aber ansonsten habe ich mir das so on the Job dann in meiner Promotion und später in meiner Postdoc Phase angeeignet.

[00:05:33] Doreen Siegfried:
Selber auch beigebracht. Mehr oder weniger oder?

[00:05:36] Marianne Saam:
Ja. Selber beigebracht, ins Büro nebenan gelaufen, wie es geht. Auch – und das ist jetzt rückblickend auch so eine Brücke zu dem Open Science, wie ich das heute mache – natürlich auch Code von anderen Leuten bekommen. Teilweise auch über E-Mail-Korrespondenz. „Du, ich finde Dein Paper interessant. Könntest du mir Deinen Code schicken?“ Und dann natürlich auch darüber was gelernt, indem ich dann erst mal geschaut habe, wie ist denn das programmiert und was will ich denn machen? Ist das vielleicht so ähnlich? Kann ich vielleicht copy paste ein bisschen was davon nehmen? Ja, so war das.

[00:06:08] Doreen Siegfried:
Ja, okay, und wenn du sozusagen zur Tür nebenan gegangen bist, zu deinen Kolleginnen und Kollegen, war das schwierig, dass die ihre Sachen geteilt haben, dass sie den Code rausgerückt haben, oder war das sozusagen gar kein Problem?

[00:06:24] Marianne Saam:
Also, das war vor allem in meiner Postdoc-Phase am ZEW, was ja auch ein Leibniz-Institut ist, in Mannheim. Dort war das überhaupt nicht schwierig. Ich glaube, das ist auch für Institutionen durchaus nicht untypisch. Aber das ist auch das, was es eben ausmacht, dann in einer Institution zu sein. Dass die Häufigkeit, mit der ich da wohin gehen kann, ist eine ganz andere als die Art und Weise, mit der ich jemandem, den ich gar nicht kenne, eine E-Mail schicken kann. Also das kann ich zwar auch, aber da wären die Responseraten schon zumindest damals sehr unterschiedlich gewesen und natürlich auch selbstverständlich auch die Bereitschaft, unterschiedlich dann vielleicht zu helfen, wenn das nicht gleich funktioniert. Und da hatten wir einfach am ZEW und haben das da, glaube ich, bis heute, und eine sehr gute Zusammenarbeit. Und das ist aber auch, glaube ich, was, was ein gutes wissenschaftliches Umfeld ausmacht. Und was dann aber auch ein Stück weit dieses in einer Institution unterscheidet von in einer wesentlich loseren Community zu sein.

[00:07:29] Doreen Siegfried:
Wo hast du denn in deiner Forschungslaufbahn ein Defizit erlebt? An Offenheit und Zugänglichkeit von Forschung? Hast du das überhaupt erlebt?

[00:07:40] Marianne Saam:
Ja, also, ich habe das wahrscheinlich nicht so unter diesem abstrakten Oberbegriff der Offenheit gefasst. Ich habe mehrfach auch Schwierigkeiten gehabt, Dinge zu replizieren. Das waren ja zwei, drei, vier Gelegenheiten, wo das für meine eigene Forschung wichtig war, wo die mir auch freundlicherweise den Code bereit geschickt hatten. Aber wo beim besten Willen bei mir das nicht so funktioniert hat, wie sie das ja behauptet haben, dass das funktioniert. Das ist das eine. Dann habe ich aber auch selber gemerkt, dass meine Programmierskills nun auch nicht so berauschend waren, dass ich insbesondere in der Phase, wo ich zwischen sehr vielen Projekten hin und her geswitcht bin, dass ich dann, wenn ich mal ein paar Wochen nicht an dem einen Projekt war, sondern an dem anderen, dass ich mich da erst mal wieder durchwurschteln musste, was die Co-Autorinnen und Co-Autoren und ich da überhaupt gemacht hatten. Und das ist also damals habe ich nicht gedacht, „Oh Mensch, Open Science da bist du ja erst bei zwei von fünf“. Ich hatte gar nicht diesen Begriff von Open Science. Aber wenn ich jetzt zurückschaue, dann war das natürlich ein Defizit auch an entsprechenden Praktiken und Skills, sowohl bei mir als auch bei anderen.

[00:08:57] Doreen Siegfried:
Und hast du dann sozusagen dieses nicht replizieren können. Also, ich kenne das aus anderen Gesprächen. Es gibt ja auch irgendwie so diesen „Student’s Guide to Open Science“ von der Charlotte Pennington, die auch schreiben „Okay, wenn man noch ganz jung ist, ganz frisch anfängt und irgendwas nicht repliziert bekommt, dann ist ja die logische Konsequenz, ich selber kann es nicht oder ich krieg‘s halt einfach nicht hin.“ Also, man stellt eher sich selbst in Frage, als dass man tatsächlich die Replizierbarkeit des Papers in Frage stellt. War das bei dir ähnlich oder war das relativ klar, dass das, dass es an dem liegt, was du vor Dir auf dem Schreibtisch hattest?

[00:09:38] Marianne Saam:
Also, zum Glück hatte ich, glaube ich, da nicht so die Zweifel an mir selber, je nachdem, wo das Problem lag. Also, war ich mir nicht ganz klar, ist das eigentlich als wissenschaftliche Praktik noch okay oder nicht? Ja, zum Beispiel bei nichtlinearen Schätzmethoden, da kann es sein, das ist auch kein Fehler. Das ist einfach so, dass die ein anderes Ergebnis liefern, je nachdem, welche Startwerte man da reinsteckt. Und man muss Startwerte reinstecken, geht gar nicht anders. Ja. Und dann, im allerschlechtesten Fall, sind sie dann noch nicht robust gegenüber der Software oder der Hardware. Auch das ist ja nicht ein Fehler der Autoren. Jeder hat halt irgendeine Software und irgendeine Hardware. Und gerade bei so mangelnder Robustheit von Ergebnissen, da habe ich dann, war ich auch innerlich am Suchen, zumal ja kein Ergebnis die perfekte Robustheit hat. Also das ist auch vielleicht so ein, sag ich mal, Anfängerfehler, den man, aus meiner Sicht, nicht machen sollte. Jetzt mal alles, was nicht robust ist, irgendwie erst mal laut anzuprangern und zu sagen, oh, das ist aber gar kein Open Science und da haben … Ergebnisse sind an irgendeinem Punkt in der Regel dann nicht mehr robust. Aber was natürlich nicht passieren sollte, ist, dass, sag ich mal, irgendeine relativ lineare Geschichte auf meinem Computer nicht durchläuft und andere Ergebnisse ausspuckt und dann jemand anders aber sagt, „nee, nee, alles kein Problem.“ Auch die Art, oder sagen wir mal, Datenaufbereitung ist ein großes Thema, die Daten, man bekommt die Daten von dort her, wo sie eingesammelt werden, nie in der Form, in der man sie dann hinterher für die eigene Forschung verwendet. Und da ist natürlich sind Datenaufbereitungsschritte nötig, und da ist natürlich eine Grauzone zwischen notwendiger Datenaufbereitung und vielleicht die Daten ein bisschen mehr so aufzubereiten, wie das so dem eigenen Mindset, was man gerne da rauskommen sehen würde, entspricht. Am ZEW hatten wir einen Kollegen, falls er das hört, schöne Größe, über den hat unsere Vorgesetzte mal gesagt: „Der XY bereinigt die Daten so lange, bis keine mehr da sind.“ Ja, also der wollte, glaube ich, auch immer oder bis heute, besonders gründlich, besonders ehrlich sein, dass man da nicht irgendwelche komischen Daten hat, die nicht aussagekräftig sind. Und das ist auch aus meiner Sicht, ja, das ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft, wie ich das so mache, dass ich zum einen nicht also, dass ich zum einen effektiv arbeite, dass ich nicht so lange grüble und bereinige und hin und her schiebe, bis ich überhaupt gar kein Paper geschrieben habe. Dass ich zum anderen selbstkritisch bin und nicht hier und da irgendwie fünfe gerade sein lassen, nur weil das dann alles noch ein bisschen schöner aussieht. Und wie ich dann vor allem transparent bin und aber auch wieder mit der Transparenz mich auf das Wesentliche beschränke und nicht von irgendwie drei Wochen Datenarbeit dann den Anspruch habe, jeden Schritt und jede einzelne Überlegung zu berichten, denn das möchte ja gar niemand lesen. Ja.

[00:12:57] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Du hast gerade schon die Grauzonen angesprochen. Wie sieht es denn aus in deinem Umfeld mit sogenannten fragwürdigen Forschungspraktiken, also P-Hacking, HARking, Salami Slicing, was es da sonst so alles gibt. Sind sich die Leute darüber bewusst, dass das eigentlich eher Grauzone ist oder wie wird da in der Praxis mit umgegangen? Wie ist da deine Erfahrung?

[00:13:26] Marianne Saam:
Also, so ein grundlegendes Bewusstsein ist auf jeden Fall da. Ehrlich gesagt, wenn es anders wäre, dann könnte ich das hier auch nicht in diesem Podcast sagen. Also, wenn ich jetzt überwiegend von Leuten umgeben werde, wäre, wo ich denke, das klappt wirklich gar nicht. Also dann, das könnte ich hier gar nicht sagen, wenn das so wäre, aber es ist auch nicht so. Hingegen die Einzelbegriffe, also zum Beispiel also P-Hacking, okay, dass weiß ich, was das ist. Aber bei den anderen beiden Begriffen, da müsste ich auch noch mal würde wieder anschauen, was ist eigentlich so die Abgrenzung davon. Und das ist das eine. Aber die viel größere Frage, und da ist aus meiner Sicht noch gar keine Antwort da, ist, was machen wir denn jetzt damit? Es ist also, die Problematiken nachzuweisen, da gibt es ja auch statistische Verfahren, mit denen man so P-Hacking und so aus einer Menge von Publikationen dann rausfiltern kann und so. Das ist, ich glaube, das Bewusstsein ist da. Aber was machen wir denn jetzt nun? Also da bin ich so ein bisschen allergisch gegen so eine naive, irgendwie Open Science-Euphorie, „Oh, jetzt haben wir endlich all diese Missstände und jetzt, jetzt wird mal hier endlich aufgeräumt und jetzt werden wir mal allen Leuten erklären, wie man das richtig macht.“ Denn, ich sehe also, für einen Teil der Frage gibt es einfache Lösungen, aber für einen Teil der Frage sehe ich auch keine einfache Lösung.

[00:14:48] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also, was ich häufig beobachte ist, dass Leute zunehmend ihre Sachen präregistrieren, um tatsächlich dem Vorwurf aus dem Weg zu gehen, sie hätten die Hypothesen erst gefunden, nachdem sie eigentlich schon eine ganze Weile ihre Daten gesichtet haben. Also, HARking ist ja sozusagen dieses Hypothesenfinden, nachdem ich eigentlich schon ganz genau weiß, was kann das Material theoretisch hergeben. Würdest du sagen, dass Präregistrierungen zunehmen? Werden die langsam Mainstream in den Wirtschaftswissenschaften?

[00:15:20] Marianne Saam:
Also, eine Zunahme sehe ich da sicherlich. Ich glaube, das ist jetzt auch nicht ein persönliches Empfinden, sondern dass ist mehr so der Eindruck aus meinen Recherchen jetzt auch hier an der ZBW. Also, dass ich mich auch mehr eingearbeitet habe in die Literatur, den Diskurs zu Open Science. Ich denke, das sehen wir in meinem… Ich sehe es vor allem in der experimentellen Forschung. Ich arbeite nur selber überhaupt nicht experimentell. Ich find’s auch nicht überall geeignet, denn dieses Explorative, also es kommt, hängt sehr von der Datenart und vom Forschungsthema ab. Jetzt arbeite ich mich auch gerade zunehmend ein in Textanalysemethoden und dieses interdisziplinäre Text Asset Data-Lehrbuch, was ich jetzt auch selber ja ein bisschen durchackere, weil das für mich jetzt auch wirklich in der Intensität noch mal eine neue Wendung ist in meiner Forschungstätigkeit, das empfiehlt gerade, dieses explorative und zirkuläre Vorgehen von Forschung auch anzuerkennen. Und nicht zu sagen, wir haben erst immer die Hypothese und dann haben wir die Daten und so, das geht so linear. Sondern gerade bei diesen Textdaten, die ja sehr vielschichtig, sehr amorph sind, da ist das häufig so, dass ich überhaupt erst mal gucken muss, was ist denn da. Und dass es auch ganz normal ist, das zu verwerfen. Ich möchte mal ein Beispiel nennen aus meiner eigenen interdisziplinären Forschung. Hier mit dem Kollegen Ralf Krestel an der ZBW explorieren wir unsere eigenen Suchdaten aus der Suchmaschine EconBiz, und wir hatten mal eine Hypothese, was für eine Art Unterscheidung wir da wohl vornehmen können zwischen Suchtypen. Und wir haben das dann relativ quick and dirty mal ausprobiert. Erstmal manuell, mein Doktorand und ich, ob denn so eine Unterscheidung funktioniert. Und dann haben wir festgestellt, unsere Klassifikationen liegen komplett auseinander, diese Unterscheidung macht überhaupt keinen Sinn, und haben das wieder verworfen. Das war aber noch nicht auf dem Level einer vollständigen Forschungsarbeit. Das hätte überhaupt keinen Sinn gemacht. Der Aufwand wäre völlig unnütz gewesen, diese Idee erst irgendwo prä zu registrieren und hinterher dann zu kommunizieren, das hat nicht geklappt. Das interessiert überhaupt keinen. Wir waren noch in so einer frühen… Und das ist halt nicht die Ausnahme, sondern das ist die Regel in zumindest solcher Forschung. Wenn ich natürlich irgendwo ein Experiment mache, dann finde ich es schon stringent es zu präregistrieren, weil diese Experimente, die sind auf eine Forschungsfrage hin zugeschnitten. Da gibt’s vielleicht ein paar mögliche Varianten. Aber du kannst nicht mit Daten aus einem Labor oder als Experiment mit Probandinnen und Probanden kannst du nicht zig verschiedene Dinge generieren, sondern die sind eben, die Experimente finden statt zur Beantwortung dieser einen Frage. Ich glaube also, ich denke jetzt tatsächlich in der Form gerade zum ersten Mal darüber nach. Aber ich würde sagen, Präregistrierung macht dann Sinn, wenn Datenerhebung sehr kostspielig ist, zum einen. Und dann auch, wenn die Datenerhebung auf die Forschungsfrage von Anfang an sehr stark zugeschnitten sein muss, weil dann ist es auch nicht sehr plausibel, im Nachhinein da noch eine andere Forschungsfrage dran zu klatschen. Während jetzt unsere EconBiz-Forschung ist erstmal sehr explorativ und da sind irgendwie ein Dutzend verschiedene Forschungsfragen im Raum und es würde überhaupt keinen Sinn machen, die zu präregistrieren. Und einige andere Forschungen, die ich bisher gemacht habe, würde ich ähnlich sehen. Das müsste ich mal einzeln durchschauen. Also, es gibt manche, da würde ich sagen, ja, Präregistrierung hätte rückblickend Sinn gemacht und es gibt welche, da würde ich sagen, das passt einfach nicht dazu.

[00:19:23] Doreen Siegfried:
Ja, interessant. Also, ich kenne auch das Beispiel, dass Leute tatsächlich, wie du sagtest, wenn tatsächlich eine größere Feldphase ins Haus steht und sie wissen, jetzt mache ich wirklich mit viel Aufwand, was ja in der Regel gleichbedeutend ist mit, es kostet sehr viel Geld, ich mache eine Präregistrierung und lasse die auch tatsächlich kommentieren von meinen Peers, von meiner Community, um dann gegebenenfalls sogar noch mal Feedback einzuholen. Finde ich finde ich auch eine ganz interessante Methode, sozusagen von so einem Pre-Peer Review quasi. Aber was mich noch interessieren würde, würdest du von dir sagen, du hast Open Science-Praktiken erlernt, und wenn ja, wodurch? Was waren so deine besten Methoden, tatsächlich die unterschiedlichen Praktiken zu erlernen?

[00:20:21] Marianne Saam:
Also, sehr viele verschiedene Praktiken habe ich, ehrlich gesagt, nicht erlernt, bevor ich hierher kam. Und das ist ja nun meine halbe Karriere schon gewesen, bis so ungefähr bis an die ZBW. Was ich tatsächlich mal gelernt habe: Ich habe in einem Drittmittelprojekt ein Papier geschrieben, zu viert. Einer davon war ein junger Doktorand und der hatte tatsächlich einen Kurs damals schon besucht im Doktoranden-Programm, wie man replizierbar programmiert. Und der hat das dann alles für unser Projekt so umgesetzt. Und dann habe ich das von dem gelernt. Und das finde ich auch, nach wie vor einen wertvollen Skill. Ich weiß nicht, ob ich es immer eins zu eins so umgesetzt habe. Es hängt auch ein bisschen ab von den Co-Autorinnen, Co-Autoren, die man dann hat. Auch die Frage, ist man selber die Person, die so federführend den Code in der Hand hat oder macht das wer anders? Aber das ist, würde ich sagen, der eine Skill, den ich gelernt habe. Ansonsten fällt mir, auch, wenn das vielleicht so ein bisschen negativ klingt, fällt mir jetzt spontan keiner ein, den ich erlernt hätte, bevor ich an die ZBW kam. Aber es mag auch sein, dass ich das rückblickend gesehen, eben manche Dinge, die ich gelernt habe, unter Open Science gefasst werden könnten, obwohl ich das damals gar nicht so gesehen habe.

[00:21:47] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Der Begriff ist natürlich immer noch ziemlich offen und weit. Manche würden sagen, etwas schwammig. Was zählt jetzt da drunter, was zählt da nicht darunter? Aber wenn du jetzt sozusagen mit der Perspektive von jetzt deinem jüngeren, sagen wir mal 25 -jährigen Ich etwas zurufen könntest, hättest du da, hättest du damals irgendwas anders gemacht mit dem Wissen von jetzt? Also noch früher das Coden gelernt oder noch früher irgendwas gemacht?

[00:22:20] Marianne Saam:
Ja, wahrscheinlich das Coden früher gelernt und auch die Art der Archivierung über die Jahre und die Jahrzehnte hinweg von Anfang an da stringent durchgeführt. Mir kommt jetzt eigentlich erst in unserem Gespräch noch mal hier auch in dem Sinn, welchen großen Beitrag so ein Institut, was gut funktioniert… Ja, das ist ja ein außeruniversitäres Institut, ist auch in der Regel viel enger organisiert als so eine Fakultät an der Uni. Das hat schon einen großen Beitrag geleistet, indem zum Beispiel alle Drittmittelprojekte irgendwie ordentlich archiviert werden mussten. Also, ich könnte mir vorstellen, dass, wenn ich heute nachfrage nach dem Projekt XY, ich selber habe das gar nicht mehr, ich hab das nicht alles mitgenommen, das war mir irgendwie zu viel. Die Paper waren ja dann auch veröffentlicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Kolleginnen und Kollegen das dann auch wieder auffinden können, und das ist schon auch sozusagen ein Teil von Open Science.

[00:23:16] Doreen Siegfried:
Absolut, ja.

[00:23:18] Marianne Saam:
Eine weitere Sache ist, das, was du vorher gesagt hattest, dieses Peer Review. Das haben wir eben im Institut praktiziert, dass Fragebögen natürlich intensivst gegenseitig lektoriert wurden von Befragungen, die wir gemacht haben, auch um die Qualität halt sicherzustellen. Das waren ja häufig Drittmittelprojekte auch Auftragsforschung für die Wirtschaftspolitik. Und mir kommt jetzt immer mehr der Gedanke, dass bei Open Science so ein bisschen die Frage im Raum steht, wie können wir Teile von der Diskussion, die in so engen Communities schon funktionieren, wie können wir die öffnen auf eine größere Community? Mein Kritikpunkt an dem Ganzen ist immer die Frage der Aufmerksamkeit. Also, menschliche Aufmerksamkeit ist begrenzt. Und natürlich die digitalen Tools können uns entlasten, dass die für uns, wenn wir das von Anfang an richtig bedienen, dass wir auch da Zeitersparnis haben. Und das ist beim Coden wirklich sehr offensichtlich. Aber bei der Frage: Na ja, wer würde denn alles meinen Fragebogen kommentieren? Ist das schon weniger offensichtlich. Wer sollte denn das tun und warum? Und innerhalb so eines Instituts, wo man zusammen sozusagen arbeitet und zusammen Dinge erreichen möchte, da ist das, wenn das gut funktioniert, auch ein ganz wichtiges Asset, dass das eben intern funktioniert. Aber wenn ich das extern suche, wer sollte das machen? Warum? Und die eine Institution, die wir haben, die so was machen soll, ist das Peer Review bei den begutachteten Journals. Eine andere Institution sind vielleicht die Vorträge auf Konferenzen und Workshops. Da gehört es auch, ist es eine gewünschte und weit verbreitete Praktik, dass man dann Feedback gibt. Und ich denke an Workshops und Konferenzen als Praktik, gibt’s auch nicht so viel Kritik. An Peer Review – institutionalisierte Peer Review – gibt es viel Kritik. Aber was bleibt, auch, wenn man diese Dinge anders organisieren wollte, ist eben die Organisation von knapper Aufmerksamkeit. Und bei diesen ganzen digitalen Möglichkeiten sehe ich auch so ein bisschen die Gefahr, dass man irgendwie Zahlenfriedhöfe schafft. Das ist auch ein Wort von meinem vorvorigen Arbeitgeber, der ZEW, dem ZEW. Die ZBW, das ZEW. Ich versuche, das schon anderthalb Jahre.

[00:25:46] Doreen Siegfried:
ZEW, MfG, ZBW, genau.

[00:25:50] Marianne Saam:
Ja, und dort haben wir das Wort zwar in einem anderen Kontext verwendet, aber mir gefällt das so, weil das irgendwie symbolisiert, dass man ganz viel Informationen dann irgendwo hat und die liegt dann einfach nur da. Und einerseits an irgendeinem Punkt brauchen wir das, ist ja auch unsere Aufgabe als Bibliothek. Ja, wir müssen die Ergebnisse öffentlicher Finanzierung, öffentlich finanzierter Forschung archivieren. Wohl wissend, dass nicht alles davon gleichermaßen wieder gelesen wird. Und genauso müssen wir auch mit Open Science, wir müssen Daten und Code archivieren, wohl wissend, dass nicht alles davon wieder benutzt wird. Aber wenn Open Science auch so sein soll, dass eben mehrere Leute sich mit dem Gleichen beschäftigen und mehrere Leute das Gleiche angucken, dann bleibt die Frage der Kanalisierung dieser Aufmerksamkeit. Also wo habe ich denn Zeit, nochmal einen Fragebogen anzugucken, der präregistriert ist oder Code nachzunutzen, den jemand anders publiziert hat?

[00:26:52] Doreen Siegfried:
Na ja. Also ich meine, das ist natürlich eine Frage, es reicht nicht, das alles auf den Tisch zu werfen. Ich muss natürlich irgendwie auch Kommunikationsstrukturen mit organisieren. Oder die Leute, die so an einem ähnlichen Thema arbeiten, finden sich selbst. Ist die Frage, ob die sich von alleine finden oder ob jemand sozusagen die Personen zusammenführt. Was ja auf jeden Fall hilfreich ist, wenn Leute irgendwie selber sich daran machen, bestimmte Sachen aufzubereiten, was ja auch mit sehr viel Mühe verbunden ist, wenn diese Leute dann vielleicht die Möglichkeit haben, zu erkennen, „Ah okay, das haben vor mir schon zwei andere gemacht und mit denen trete ich dann vielleicht in den Austausch oder gucke mir direkt deren Daten an“. Das macht alles natürlich ein bisschen einfacher, wenn die Sachen zugänglich sind.

[00:27:42] Doreen Siegfried:
Was mich noch interessieren würde: Wie schätzt du denn die gegenwärtige Entwicklung im Wissenschaftsbetrieb ein, also insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften? Wo gibt es denn positive Entwicklungen und wer sind so in deinen Augen die großen Treiber, um dieses ganze Thema Replizierbarkeit, Open Data, Open Access, Open Science sozusagen unter dem großen Dach zu pushen, voranzutreiben?

[00:28:08] Marianne Saam:
Ja, also meine Wahrnehmung ist, Open Science in den Wirtschaftswissenschaften kommt aus der Nische und aus dem Informellen heraus. Ich glaube, als informelle Praktik war es schon weiterverbreitet, als vielleicht erscheint. Aber so dieses sich Open Science auf die Fahne schreiben, das war lange eine Nischenangelegenheit. Und ich glaube, das kommt aus der Nische jetzt momentan heraus. Das ist auch wirklich ein spannender Moment, um selber da einzusteigen, eben in den letzten knapp zwei Jahren. Und das sind zum einen die Journals von den großen Fachgesellschaften, die da Vorreiter sind, das Data Editor Office bei der American Economic Association mit Lars Vilhuber. Es gibt einen Data Editor bei der Canadian Association. Die Royal Economic Society hat auch einen. Die AEA hat da eine gewisse Führerschaft, auch mit den Ressourcen, die da reingesteckt werden. Also was diese Offices jeweils leisten können, das hängt eben auch an den Ressourcen, die dort bereitgestellt werden, aber die arbeiten auch sehr stark zusammen und das ist eben, das ist eben nicht mehr eine Nischenangelegenheit. Auch die Policies, die dann letztendlich gelten, das wurde ja auch von Kollegen hier an der ZBW dokumentiert, in Fachartikeln, wie diese Policies bei den Journals sich über die Jahre verändert haben. Hin von „Na ja, wäre ganz schön, wenn du deinen Code und deine Daten bereitstellst, wenn wir das Paper akzeptiert haben“ zu „Wenn dein Paper akzeptiert werden soll, dann müssen Bedingungen abc erfüllt sein und wenn die nicht erfüllt sind, wird das Paper nicht akzeptiert.“ Selbst wenn du vielleicht super Referee Reviews hast. Das ist schon ein großer Wandel, aus meiner Sicht. Dann der andere große Schritt sind die Initiativen aus rund um das Institute for Replication von Abel Brodeur aus Kanada. Das ist ja ein virtuelles Institut, eine Plattform, auf der sich viele zusammengetan haben, um zu überlegen, wie können wir Replikation organisieren, insbesondere von den Dingen, auch von den Papern, die nicht von vornherein schon repliziert wurden oder reproduziert wurden, bevor sie akzeptiert werden beim Journal. Und dann gibt es ja diese, diese Hackathons. Die heißen, hilfst mir nochmal auf die Sprünge…

[00:30:51] Doreen Siegfried:
Du meinst die Replikation Games von Abel?

[00:30:52] Marianne Saam:
Ja, Replication Games. Ja, ja, genau. Das ist ja was, was jetzt erst so im letzten Jahr entstanden ist und ich hatte selber jetzt noch nicht die Gelegenheit, dabei zu sein. Aber ich habe von einigen gehört, die dabei sind. Und ich hatte auch den Eindruck, Abel Brodeur war am Anfang selber überrascht, welchen Erfolg das hat, diese Idee, solche Hackathons eben zu organisieren, also ein- bis zweitägige Events, wo Leute zusammen programmieren, aber eben nicht irgendwelche, sag ich mal, Softwareprobleme lösen, sondern versuchen, Papers zu replizieren. Und auch das ist ja auch, das wird ja dort nicht just for fun gemacht, sondern das ist ja auch Teil so einer Meta Science-Forschungsperspektive, wo eben Replizierbarkeit selber dann Gegenstand der Forschung wird. Und das ist so ein ganz interessantes Moment, was wir da jetzt erleben. Und ich glaube, dass Reproduzierbarkeit auf dem guten Weg ist, in den Wirtschaftswissenschaften soweit sichergestellt zu werden, wie das eben möglich und sinnvoll ist. Das mag noch ein paar Jahre, vielleicht auch ein Jahrzehnt dauern. Aber ich glaube, das ist auf dem Weg. Hingegen all so diese softeren Dinge, was eben P-Hacking, HARking und so weiter, das ist, glaube ich, noch offener, welchen Wandel die eben genannten Initiativen da herbeiführen werden.

[00:32:25] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Also vielleicht mal für unsere Zuhörer:innen. Wir packen mal den Link zum Institut for Replication in die Shownotes. Da können Sie mal sehen, welche Fülle auch an Replication Games es wirklich international gibt, wo wirklich hunderte Leute hin pilgern und da anscheinend auch ihren Spaß haben, wie es scheint. Also, es ist nicht nur dröges auszählen von irgendwelchen Sachen, scheint mir. Würdest du sagen, es gibt sowas wie internationale oder nationale Trends, die sich vielleicht gegebenenfalls ablesen lassen?

[00:33:00] Marianne Saam:
Ja, also international. Ich meine die VWL ist keine national aufgestellte Wissenschaft und ich glaube, die nationale Sphäre ist dann eher die, in der die internationalen Trends eben aufgegriffen werden und umgesetzt werden. Was wahrscheinlich doch eher national organisiert ist, ist die wirtschaftspolitische Beratung, insbesondere eben zu nationalen Themen. Also, momentan sehe ich vor allem eben den Trend, den wir eben besprochen haben. Darüber hinaus… Also was wir als Forschende in der Praxis vielleicht nicht immer so im Blick haben, ist diese Open Access-Transformation. Also da passiert… Das ist eben ein Thema der Infrastruktur, was sehr wichtig ist. Und zwar nicht nur wegen Zugang. Also mit Zugang, würde ich sagen, habe ich in meiner ganzen Karriere keine Probleme gehabt. Also die ein, zwei, drei Paper, die nun beim besten Willen nicht zugänglich waren, gut, das war dann sozusagen deren Pech, wenn die nicht zitiert wurden. Konnte ich auch nichts dafür. Es gibt so viele Paper, da findet man dann … Und auch, sag ich mal, Top Paper, die schwer zugänglich waren. Da kann man schnell mal eben jemand fragen per E-Mail, der woanders sitzt und dann hat man das. Also, für mich war es, sagen wir mal, außer zu der Zeit, wo ich wirklich noch in der Bibliothek kopiert habe, danach war Zugang für mich kein Problem. Aber was uns als Ökonominnen und Ökonomen natürlich auch umtreibt, ist, was das Ganze dann kostet und auch, ob eben übermäßige Profite von den Verlagen abgeschöpft werden. Ja, da sind wir ja als Wirtschaftswissenschaft diejenigen, die das besonders interessiert, mehr als jetzt vielleicht die Biologen oder die Altphilologen oder so. Und da spielt die Wissenschaftspolitik und die Infrastruktur, die Rolle der Infrastruktur wie der ZBW, spielen da ganz entscheidend rein. Aber das kommt nicht so im Tagesgeschäft der einzelnen Forschenden an, eher vielleicht auf der Ebene der Institutsleitung oder so.

[00:35:09] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ich hatte dich hier angekündigt oder anmoderiert als die Brückenbauerin in mehrfachem Sinne. Hast du eine Vision oder eine Vorstellung oder was möchtest du als Brückenbauerin gerne in diesen Rollen gerne erreichen? Also nehmen wir vielleicht erstmal vielleicht die Brücke, vielleicht muss man das auch für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer erklären, was eigentlich sozusagen eine Professur an der ZBW bedeutet. Das sind immer gemeinsame Professuren mit einer Forschungseinrichtung, in dem Fall jetzt hier von Marianne Saam mit der Universität Hamburg. Das heißt, du hast einen Schreibtischstuhl in beiden Einrichtungen. Und wie…

[00:35:53] Marianne Saam:
Darf ich da kurz einhaken?

[00:35:55] Doreen Siegfried:
Ja, natürlich.

[00:35:56] Marianne Saam:
Ich habe tatsächlich auf den zweiten Schreibtischstuhl verzichtet. Der ist sozusagen eher digital, wenn man so will. Aber ich bin in beiden Einrichtungen, die ja auch sehr nahe beieinander liegen, und ja, aber ganz ohne Schreibtischstuhl.

[00:36:13] [beide lachen]

[00:36:13] Doreen Siegfried:
Ganze ohne Schreibtischstuhl. Okay. Aber was macht eine Professorin, eine Expertin auch für Digital Change und Open Economics und digitale Wirtschaftswissenschaft? Wie verbindest du, wie verbindest du sozusagen diese beiden Berufe und auch deine Kenntnis als Wirtschaftsforscherin in diesen beiden Rollen?

[00:36:32] Marianne Saam:
Also, meine Art und Weise, die Rolle auszuüben, ist tatsächlich auch diese beiden Seiten immer so getrennt, aber ineinandergreifend, zu nennen. Die Idee ist ja eben, dass die ZBW auch direkt in ihrer Zielgruppe, eben der wirtschaftswissenschaftlichen Fachcommunity, vertreten ist, mit einer Professorin. Und dann hat sich ja die Frage, dann noch natürlich ohne mich, vor meiner Berufung gestellt, was macht die denn dann eigentlich diese Professur? Ja, macht die dann Arbeitsmarktökonomie oder macht die Wettbewerbsökonomie oder? Es gibt ja zig Felder. Und ich selber verstehe jetzt die Entscheidung, hier die digitale Ökonomie zu besetzen eben so, dass sich das insofern gut ergänzt. Ich erforsche den digitalen Wandel der Wirtschaft und beschäftige mich eben auch mit dem digitalen Wandel der Forschungspraktiken. Ja, und die Wissenschaft letztendlich ist ja auch eine Arbeit, die man macht. Und natürlich gibt es vielleicht auch Kolleginnen und Kollegen, die untersuchen dann ausschließlich, die machen im Prinzip Wissenschaftsökonomie, die untersuchen ausschließlich den Wandel der Wissenschaft. Das mache ich nicht und das finde ich eigentlich auch sinnvoll, weil ich das nicht so gut fände. Also, natürlich, zum einen finde ich es sinnvoll, weil ich jetzt diesen Job machen kann. Wissenschaftsökonomin von der Ausbildung her bin ich nicht, das hätte dann jemand anders machen müssen. Aber ich finde es auch deswegen sinnvoll, weil es mir nicht gut erscheint, wenn jetzt an der ZBW jemand wäre, der nur so Selbstbespiegelung der Wissenschaft macht. Sondern ich habe ein genuin wirtschaftliches Forschungsfeld weiterhin: Wirtschaftswachstum, Produktivität, Innovation. Das verorte ich auch mit der Mitarbeiterstelle an der Uni Hamburg. Das ist sicherlich auch interessant für die ZBW. Aber es ist keine Notwendigkeit für die ZBW, dass die ZBW eine Person hat, die sich mit Wirtschaftswachstum und Faktorsubstitution beschäftigt. Da hätte es auch andere denkbare Optionen gegeben. Was weiß ich, es hätte eine Person sein können, die sich mit E-Ccommerce beschäftigt oder oder anderen Dingen. So. Und mein zweites Standbein ist eben die Meta Science, dass ich digitale Transformation eben nicht nur in Unternehmen, Branchen, Ländern erforsche, sondern in dem Betrieb Wissenschaft. Und da geht es aber heutzutage weniger um die Frage: Ja, wie ist das denn, wenn das überhaupt digitalisiert wird? Das ist alles schon digital. Sondern da geht es mehr um die Frage eben, wie werden denn diese digitalen Möglichkeiten genutzt, um Informationen zu suchen, um Informationen auszuwerten? Und das ist so die Rolle in der Forschung. Jetzt die Brückenrolle, die geht natürlich weit über die Forschung heraus, da hinaus. Da wäre so ein bisschen die Frage, welchen Aspekt wir da jetzt beleuchten wollen?

[00:39:41] Doreen Siegfried:
Also, das ist ja eine große Chance, dass du jetzt ausgerechnet als Professorin für Wirtschaftswissenschaften, jetzt mal Spezialisierung hintenangestellt, ja in die Möglichkeit kommst oder in die Situation kommst, deinen Peers zu erklären, was eigentlich eine wissenschaftliche Informationsinfrastruktureinrichtung, was die macht, was die machen könnte, wo da Potenziale sind. Dieses Konstrukt auch zu erläutern und vielleicht diese Welten auch in gewisser Weise zu verbinden. Du hast ja beispielsweise letztes Jahr beim Verein für Socialpolitik auf der Jahrestagung erstmalig ein Panel organisiert mit hochrangigen Gästen. Es gab jetzt im April ein Open Science Symposium mit spannenden Gästen aus der Wirtschaftsforschung, wo tatsächlich Leute mal zusammengebracht wurden, die sich tatsächlich mal aus so einer Metaperspektive mit ihrem, mit ihrer eigenen Domäne beschäftigen. Was wäre, wenn das also, was wäre so deine ideale Vorstellung, sagen wir mal, so in zwei Jahren oder in drei Jahren, wenn du es schaffst, weiter erfolgreich tätig zu sein, wie würde das Ideal aussehen, das Ergebnis?

[00:41:09] Marianne Saam:
Ja, also, vielleicht vorneweg, was die Infrastruktur macht, das ist natürlich relativ breit gefächert und da sind jetzt Dinge dabei wie eben Literaturbereitstellung oder auch die Aktivitäten in den nationalen Forschungsdaten, Infrastrukturen, die eben vor allem, um die sich vor allem Klaus Tochtermann kümmert. Die haben wieder eine andere Gestalt als jetzt das, was ich da mit rundum Reproduzierbarkeit mache. Aber um jetzt mal bei dem Thema der Reproduzierbarkeit und der Replizierbarkeit zu bleiben, da habe ich den Eindruck, dass momentan so ein Ökosystem entsteht, was bisher nur teilweise institutionalisiert ist. Sowohl eben in Form von Organisationen, die für irgendwas zuständig sind, als auch von Praktiken, die sich institutionalisiert haben, und wo die Leute wissen und sagen, „Aha, wenn ich das Ziel habe, dann muss ich irgendwie abc machen“. Und ich finde … Also, mein Anspruch ist, dass wir als Infrastruktur dieses Ökosystem – ja,  ist auch so ein bisschen so ein Modewort Ökosystem. Aber nehmen wir es mal, dass wir das mitgestalten, ohne momentan eine vorgefertigte Agenda, so und so soll in fünf Jahren das Ökosystem sein. Ich glaube, dafür ist es jetzt noch zu früh. Aber mein Anspruch ist, dass wir gerade die vielen vereinzelten Leute, die vielleicht jetzt nicht irgendwo Data Editor sind, die aber Lust haben, da was zu machen, oder die, die beim Hackathon waren, beim Replication Game waren, und sagen „Das war jetzt eine super Erfahrung, hat super Spaß gemacht, aber damit soll das für mich nicht zu Ende sein.“ Dass, wenn die so die Frage im Kopf haben: Ich würde mich da gerne engagieren, ich würde mich da gerne vernetzen, austauschen, aber ich weiß nicht so richtig, mit wem? Dass wir für die die Anlaufstelle sind und die zusammenbringen und die wiederum, aber auch matchen mit denen, die schon sehr stark institutionalisiert sind und die, sagen wir mal, jetzt vermutlich nicht einen Mangel an Kontakten haben, aber die eben ihre, also das, was sie schon erarbeitet haben, auch weiterverbreiten und in die Diskussion bringen wollen. Wie zum Beispiel eben jetzt Lars Vilhuber von der American Economic Association. Und da sehe ich so eine Funktion und auch so einen Hut, den, glaube ich, nur wir aufhaben, weil wir sind, weder die, die die Institution, die jetzt schon ihre eigenen Erzeugnisse da sehr weit irgendwie reproduzierbar macht, noch sind wir die, sind wir, die Leute, die sagen, ich mache ein bisschen was, aber ich weiß noch nicht so richtig, wie das alles geht. Sondern wir können ein Ankerpunkt sein, um da Organisationen und Menschen zusammenzubringen. Und gleichzeitig finde ich aber das Spannende, dass dieses Ökosystem momentan sehr wenig hierarchisch organisiert ist. Ja, es mag neben dem Ankerpunkt ZBW, mag es da andere geben, und ich vermute, dass in zehn Jahren manches vielleicht nicht mehr irgendwie ganz so bunt und aktivistisch ist, obwohl ich das super fände, auch diesen Elan beizubehalten. Aber dass Dinge vielleicht auch dann institutionalisiert sind, zum Beispiel in der Form, dass man sagt, also jedes Paper in einem Journal, was halbwegs auf sich hält und was sich von der Datenart dazu eignet, das muss einen Stempel haben: „Ist reproduzierbar“ und wir haben jetzt auch geklärt, wer denn diesen Stempel draufsetzt. Ist das vielleicht die Institution, also die Uni oder das Forschungsinstitut? Ist das vielleicht eine externe Agentur? Machen das die Journals oder gibt es da irgend so ein gemischtes Ökosystem? Und ich sehe unsere Rolle eben als einen von mehreren, von vielen Shapern dieses Ökosystems, aber auch jemand, der den Hut sozusagen nicht mehr abgeben kann. Also, es gibt vielleicht Leute, die machen das jetzt, aber wir machen das auch noch in zehn oder 20 Jahren, halt je nach… Vielleicht nicht mehr exakt in derselben Art und Weise, aber wir haben eben eine dauerhafte Zuständigkeit hierfür auch.

[00:45:40] Doreen Siegfried:
Ah, ja. Das ist spannend. Vielleicht noch mal ganz kurz letzte Frage. Nochmal deine Rolle zurück als Forscherin, auch als Betreuungsperson für Nachwuchsforschende. Was würdest du mit den Erfahrungen, die du jetzt gemacht hast, jungen Nachwuchsforschenden vielleicht raten, die, vielleicht gerade, so wie du es dargestellt hast, noch auf der Suche sind oder vielleicht mal mitgemacht haben, bei so einem Replication Game und sagen, jetzt möchte ich in das Thema einsteigen. Ich weiß aber gar nicht, wie das jetzt geht. Und wen kann ich denn da fragen? Also, hast du da ein paar Tipps für Junge?

[00:46:18] Marianne Saam:
Also, ich glaube ganz jetzt, sagen wir mal, jungen Doktorandinnen und Doktoranden, würde ich schon auch raten, erstmal zu schauen, mit der eigenen Forschungsarbeit voranzukommen. Also ich war immer auch idealistisch, also die Leute, die sich jetzt darüber hinaus noch engagieren wollen, die würde ich keinesfalls bremsen. Aber wenn jetzt jemand sagt, na ja, was könnte ich nur als allererstes machen, dann würde ich sagen, mit der eigenen Forschungsarbeit anfangen. Ja. Reproduzierbarkeit auch einfordern, selber umsetzen. Das ist manchmal natürlich auch eine Frage von Verhältnissen in Teams. Ich fand, das hat Joachim Gassen, jetzt beim Open Science Symposium auch sehr schön dargestellt. Das geht wirklich um Aushandeln von Arbeitspraktiken in Teams. Also wenn mein Co-Autor, wenn der Code irgendwie durcheinander ist, stelle ich mich dann hin und sage: Nee du, so möchte ich nicht arbeiten. Es gibt da gewisse Standards und das sind jetzt ist jetzt nicht so eine Geschmacksfrage, dass ich es lieber gerne in hellblau hätte, sondern ich möchte, dass wir reproduzierbar forschen. Also, ich glaube, das konsequent umzusetzen in der eigenen Forschung, das ist schon mal eine Aufgabe auch für junge Forschende. Und dann natürlich auch zu schauen, selbst wenn ich jetzt beim Replication Game war, habe ich schon die Skills, habe ich ein Angebot an meiner Hochschule? Kann da vielleicht was organisiert werden? Können wir vielleicht einen Gastdozenten, -dozentin einladen oder komme ich vielleicht zum Kurs von der ZBW? Ja und wenn dann jemand darüber hinaus noch was machen will, dann ist natürlich auch die Möglichkeit, das selber zu erforschen im Sinne von Meta Science, wenn man da begeistert ist. Und das ist, glaube ich, kein Nischenthema mehr. Und ja, ansonsten würde ich sagen, tatsächlich meldet euch bei uns, weil wir aus meiner Sicht jetzt im deutschsprachigen Raum die einzige – ich hoffe, ich sag jetzt nichts Falsches und es sagt nicht jemand hinterher, „oh Frau Siegfried, jetzt uns haben Sie da aber vergessen“ -,  aber ich sehe uns da als die einzige überregionale Anlaufstelle für dieses Thema momentan im deutschsprachigen Raum. Und dann, wir wollen ja auch weiter Zusammenkünfte organisieren, wo wir dann gemeinsam besprechen können, wie wir dieses Thema sozusagen in die Hochschulen, in die Institute noch stärker reintragen.

[00:48:38] Doreen Siegfried:
Ja, super. Ja, das ist doch auch ein wunderbares Schlusswort. Vielen, vielen Dank Marianne, vielen Dank auch an Sie an den Kopfhörern. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Lassen Sie uns gerne Feedback da. Sagen sie auch Bescheid, wenn Sie alles ganz anders sehen. Geben sie auch gerne kritische Rückmeldung, sei es via E-Mail, Twitter, YouTube, LinkedIn. Abonnieren sie uns fleißig auf iTunes oder Spotify oder wo auch immer sie gerne Podcasts hören und ich freue mich aufs nächste Mal.

[00:49:06] Marianne Saam:
Ja, vielen Dank Doreen, hat Spaß gemacht, wie immer. Und ich hoffe, das Hören macht auch Spaß.

[00:49:11] Doreen Siegfried:
Ja, alles klar, tschüss!