Folge 25: The Science of Open Science

The Future is Open Science – Folge 25: The Science of Open Science

Audio

Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Dr. Theresa Velden
Leitung Forschungscluster Open Science und Gruppe „Fachspezifische Formen von Open Science“, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung

[00:00:03] Doreen Siegfried:
Willkommen bei “The Future is Open Science”, dem Podcast der ZBW. Hier verraten Ihnen interessante Menschen aus dem Wissenschaftsbetrieb, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir tauchen ein, in die Tiefen der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und verraten Ihnen handfeste Tipps und Tricks zu Open Science in der Praxis. Ich bin Doreen Siegfried und freue mich sehr, Host dieses Podcast zu sein.

[00:00:33] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Wir wollen heute über die Forschung zum Thema offene Forschung sprechen. The Science of Open Science, sozusagen. Daher habe ich mir eine Gästin eingeladen, die nicht nur sehr gut vernetzt ist, sie leitet auch seit einigen Jahren die Nachwuchsgruppe „Fachspezifische Formen von Open Science“ am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Herzlich willkommen, Dr. Theresa Velden.

[00:01:06] Theresa Velden:
Danke.

[00:01:08] Doreen Siegfried:
Sie leiten zusammen mit ihrem Kollegen Clemens Blümel das Forschungscluster Open Science am DZHW. Vielleicht können wir, bevor wir aufs Inhaltliche gehen, kurz skizzieren, wie viele Leute aus wie vielen Disziplinen ungefähr befassen sich am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung mit dem Thema Open Science?

[00:01:32] Theresa Velden:
Ja, also das ist gar nicht so einfach zu sagen, da das Thema Open Science ja sehr vielschichtig ist, also sowohl Dimensionen hat, die die Hochschulforschung betreffen und die Hochschulen als auch die Wissenschaftsforschung. Wir haben uns eben organisiert in diesem Forschungscluster, damit alle, die mit dem Thema sich für das Thema interessieren oder da Berührungspunkte in ihrer Arbeit sehen, sich stärker miteinander vernetzen. Dort sind etwa zehn Mitarbeiter:innen aktiv.

[00:02:03] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und können Sie jetzt schon sagen, also ich meine, die Arbeit ist sicherlich noch nicht beendet, wie Offenheit in den unterschiedlichen Fachdisziplinen verstanden und umgesetzt wird?

[00:02:15] Theresa Velden:
Na ja, Offenheit wird sicher sehr unterschiedlich verstanden. Wobei ich jetzt, was die Disziplinen angeht, davon ausgehe, dass wir uns beziehen auf die, die dann Open Science machen und leben. Sowie die, die es erforschen. Also je nach Gegenstand der Forschung und der verwendeten Forschungsmethoden sowie den benötigten Ressourcen und Infrastrukturen für Forschung gibt es natürlich sehr unterschiedliche Ansatzpunkte dafür, wie Offenheit erreicht werden kann und wo es auch Entwicklungspotenziale gibt und größere Offenheit für die Forschung zu verwirklichen. So sind partizipative Forschungsansätze sicherlich eher in der anwendungsorientierten Forschung relevant und zum Beispiel offene Datenbanken, Forschungsdatenbanken eher in der empirisch orientierten Forschung usw. Was uns aber in der Wissenschaftsforschung bisher fehlt, ist ein systematischer empirischer Überblick über diese Varianz in den wissenschaftlichen Feldern sowie auch Erklärungsansätze dafür, wie sich dann Unterschiede und Varianz erklären lassen, wenn bereits existierende Leuchttürme der Offenheit, wie also zum Beispiel die Gensequenz-Datenbanken gefeiert werden oder auch in der Astrophysik, Hochenergiephysik, sehr gut etablierte Preprint Server, dann ist das oft mit der Erwartung, dass das doch Erfolgsmodelle sein könnten, die über die gesamte Wissenschaft eingeführt werden könnten und besonders effektiv sein würden. Dabei wird dann aber übersehen, wie sehr sich Forschungsaktivitäten, Gegenstände der Forschung und die Handlungsbedingungen, die dadurch entstehen, für die Wissenschaftler, doch unterscheiden und dann den offenen Austausch fördern oder auch hemmen können. Die Vielfalt der Forschungsbedingungen in der Wissenschaft ist zwar auf der einen Seite sehr offensichtlich, wenn man nur in die Wissenschaft guckt, in die unterschiedlichen Felder. Aber auf der anderen Seite auf theoretischer Ebene eigentlich noch zu wenig systematisch verstanden und erfasst. Also die formale Einteilung von Wissenschaftlern zum Beispiel in Fachdisziplinen reicht oft gar nicht aus, die sehr grundlegenden Unterschiede in den Forschungspraktiken zu erfassen. Und es ist eben nicht gesagt, dass eine spezifische Art der Offenheit, die in einem Gebiet, in einem Forschungskontext gut funktioniert, in einem anderen überhaupt sinnvoll ist und auch mit einem vertretbaren Ressourceneinsatz wirksam die wissenschaftliche Praxis verbessern kann. Und weiter zu beachten sind natürlich auch negative, nicht intendierte Effekte, wenn eine bestimmte Form der Offenheit gewählt wird oder gar aufgezwungen wird, einem wissenschaftlichen Bereich.

[00:05:07] Doreen Siegfried:
Wenn Sie jetzt sagen, Sie beschäftigen sich mit diesen fachspezifischen Formen, welche Formen gucken Sie sich denn an? Also ich stelle mir das so vor, wie so einen Regler, wo es verschieden hohe Balken gibt. Und wie Sie ja sagten, die einen teilen ganz viele Daten, die anderen machen ganz viel Partizipation. Aber wenn man das in Summe dann hinterher addiert, kann man ja vielleicht auch einen Wert rauskriegen. Also welche Formen stehen bei Ihnen so im Fokus?

[00:05:37] Theresa Velden:
Also jetzt in der Forschung der Nachwuchsgruppe “Fachspezifische Formen von Open Science“, die ich leite, befassen wir uns ganz gezielt mit der Weitergabe von Forschungsdaten und anderen Ressourcen, die im Forschungsprozess entstehen, innerhalb der Wissenschaft. Also unser Fokus ist jetzt nicht auf Fragen der Partizipation, die wie gesagt, eher für anwendungs- oder gesellschaftsnahe Forschungsbereiche relevant sind und auch nicht auf Open Peer Review und was es alles da an Themen gibt, sondern uns geht es um die Weitergabe von wissenschaftlichen Ressourcen oder wir nennen es epistemische Ressourcen, also Dinge wie Forschungsdaten, Computercode oder auch materielle Exemplare, sample specimens, die innerhalb der Wissenschaft weitergegeben werden können. Zu untersuchen, wie das sich diese Weitergabepraktiken sich unterscheiden.

[00:06:38] Doreen Siegfried:
Und wie machen Sie das? Wie lässt sich so was quantifizieren, um es dann am Ende irgendwie zu vergleichen?

[00:06:44] Theresa Velden:
Na ja, zunächst mal gehen wir da auch qualitativ heran, um eben zu verstehen, worin die Verschiedenartigkeit auch der Weitergabepraktiken überhaupt besteht, worin die Funktion der Weitergabe besteht für die wissenschaftlichen Gebiete. Da gibt es sehr unterschiedliche Typen sozusagen. Also es gibt die Weitergabe im Kontext von Publikationen, da sind dann so Schlagworte wie Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen usw., die da eine Rolle spielen. Aber es gibt auch andere Formen der Weitergabe, wo es eben eher darum geht, in Forschungsdaten zum Beispiel, die lokal erhoben werden, zu aggregieren innerhalb einer Community, um dann damit, das ist zum Beispiel in der Ökologie oft der Fall, dass dort Daten aus Beobachtungen, Feldbeobachtungen usw. zusammengetragen werden. Und damit sich dann zum Beispiel makroökologische Modelle rechnen lassen. Und wenn wir jetzt wieder in einen anderen Bereich gehen, zum Beispiel Astronomie oder Astrophysik, haben wir sehr teure Forschungsinfrastrukturen, zum Beispiel Satellitenmissionen, wo also sehr zentral Forschungsdaten in der Wissenschaft produziert werden, die dann verteilt von der Community genutzt werden. Und dann wieder in anderen Bereichen, Wirtschaftswissenschaften oder auch sozialwissenschaftlichen Fächern, haben wir zum Teil Datensammlungen, die ja auch außerhalb der Wissenschaft geschehen, dann aber der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Und das sind ganz unterschiedliche Dynamiken, ganz unterschiedliche Datenökonomien, wenn man es so nennen möchte, wo sich sowohl die Produktion unterscheidet, als dann auch die Nutzung. Und das ist für uns erst mal qualitativ sozusagen auseinander zu halten. Und das ist bei vielen quantitativen Studien, die es im Moment so Survey basiert in dem Bereich gibt, zum Open Data, zum Teilen, noch gar nicht so systematisch reflektiert. Also da wird recht allgemein gefragt: „Teilen Sie Ihre Daten?“ – Also natürlich in der einen oder anderen Form noch genauer gefragt, aber letztendlich welche Funktion dieses Datenteilen hat und welche Art von Daten das eigentlich sind, wie die produziert worden sind, wo die eigentlich herkommen, wird da nicht unterschieden. Zum einen, und zum anderen werden oft eben sehr grobe Facheinteilungen gewählt, eben nach Disziplinen: die Physik, die Chemie und die Sozialwissenschaften. Und die sind eigentlich noch viel zu grob, um diese unterschiedlichen Datenökonomien, die ich gerade angedeutet habe, zu erfassen. Das heißt, wenn wir im Moment uns so quantitative Studien ansehen, gerade wenn die fachvergleichend arbeiten, sind die eigentlich noch sehr wenig aussagekräftig, weil da einfach sehr unterschiedliche Praktiken unter einem Label zusammengefasst werden. Also wenn wir uns allein das Label Physik zum Beispiel angucken, da haben wir es zum einen zu tun mit Unterfächern oder Bereichen, wo in Lokal also einzelne Arbeitsgruppen ihre Labors betreiben und dort mit Lasern oder ähnlichen Experimenten der Atom- und Molekülphysik Daten erzeugen, die aber auch keinen großen Nachnutzungswert haben. Die sind also ganz speziell auf bestimmte experimentelle Fragestellungen hin erzeugt worden und sind dann aber eigentlich auch in ihrem Nachnutzungswert sehr reduziert. Dann die Astronomie, wo wir eben große Surveys oder Satellitenmissionen haben, die sehr, sehr große Datenmengen produzieren, die vielfältige Auswertungsmöglichkeiten haben. Dann haben wir die theoretisch arbeitenden Physiker oder auch Leute, die Computersimulationen machen, auf ganz andere Art der Datenerzeugung und dann kommt auch wieder Code zum Beispiel rein, als ein denkbares Produkt, das man teilen kann. Also da also schon allein in der Physik sehen Sie, gibt es eine große Vielfalt, die wir im Moment bei diesen quantitativen Studien überhaupt nicht differenzieren. Und damit eigentlich auch die Weitergaberaten, die dann quantitativ erhoben werden, eigentlich wenig Aussagekraft haben.

[00:10:55] Doreen Siegfried:
Die sind dann auch nicht vergleichbar, das stimmt. Das ist total spannend. Wenn Sie jetzt sagen, es gibt so unterschiedliche Datenökonomien, was sind denn so die typischsten Fälle, die vorkommen? Also sind es tatsächlich Datenerhebungen, wo wirklich ein ganzes Forschungsteam Daten erhebt, so wie Sie jetzt gerade vorgestellt haben für die Astrophysik, wo man dann weiß, okay, da muss jetzt die Community die nächsten zehn Jahre mit arbeiten oder wird eher mit so singulären Datensätzen für ein konkretes Projekt gearbeitet? Was kommt so am häufigsten vor?

[00:11:32] Doreen Siegfried:
Oder was ist so ganz typisch? Mal so gefragt.

[00:11:36] Theresa Velden:
[lacht] Das kommt ganz darauf an, wo Sie hingucken. Das kann ich Ihnen jetzt so empirisch gar nicht abschließend sagen. Sondern genau das wäre jetzt für uns auch der nächste Schritt, eben durch Erhebung, die diese Arten spezifischer unterscheiden, festzustellen, in welchen Fachbereichen eigentlich welche Datenökonomien dominant sind oder relevant sind. Wir gehen davon aus, je nach Einteilung, wie groß man auch ein Fach oder eine Disziplin fasst, gibt es dann natürlich dann mehrere relevante Datenökonomien.

[00:12:12] Doreen Siegfried:
Ja, auf jeden Fall spannend. Gibt es, untersuchen Sie denn auch Effekte von diesem Teilen, dass Sie sagen, okay, wenn bestimmte Sachen geteilt werden, jetzt mit der Community, mit den Peers, hat das wiederum Wirkung auf die Ersterheber, auf die Originaldaten, Beschaffer?

[00:12:38] Theresa Velden:
Ja, im Moment weniger in unserem aktuellen Forschungsprogramm. Also da kann man dann nur gucken, was es schon gibt zu dieser Frage. Also ein interessantes Forschungsergebnis von Kollegen in den USA, ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist, da geht es um die Genetik. Die haben also eine survey-basierte Studie gemacht, die im Abstand von etwas mehr als zehn Jahren in Amerika unter den Forschern in den Life Sciences, also die vom National Institute of Health finanziert sind, die befragt zu ihrer Bereitstellung und Nachnutzung von Gen- oder anderen Forschungsdaten, aber vor allem Gendaten. Und festgestellt, dass innerhalb dieser zehn Jahre verstärkt öffentliche Plattformen genutzt wurden, um Daten bereitzustellen und eben auch danach zu nutzen, aber gleichzeitig, dass dann auf die Erzeuger den eigentlich eher negativen Effekt hatte, dass sie seltener angefragt wurden…

[00:13:39] Doreen Siegfried:
Aha.

[00:13:39] Theresa Velden:
… nach Daten. Und sie, die Erzeuger, dann auch sagten, dass dadurch für sie Kollaborationsmöglichkeiten verloren gegangen sind. Das heißt in dem Sinne, dass diese öffentlichen Plattformen den persönlichen Kontakt zwischen Forschern reduzieren, reduzieren sie auch die Diskussion über mögliche Auswertungsmöglichkeiten dieser Daten und Kollaborationen, die in der Vergangenheit dabei auch entstanden sind. Also insofern muss man sich eben bei solchen neuen Formen genau überlegen, welche Effekte das hat und wie man da eventuell dann auch gegensteuern kann.

[00:14:15] Doreen Siegfried:
Ja, auf jeden Fall. Ja, das ist ja für viele Forschende gerade interessant, da mit Sekundärdatennutzer:innen dann halt auch ins Gespräch zu kommen, weil die ja ein ähnliches Forschungsinteresse natürlich haben. Wie stehen Sie zu der Frage, dass neue Forschungs- und Innovationsindikatoren entwickelt werden? Ist das für Sie ein Thema, gucken Sie sich das an?

[00:14:39] Theresa Velden:
Ja, also in dem Sinne, wenn wir Indikatoren entwickeln, eben wie wir auch gerade besprochen haben, zum Beispiel Quantifizierung von solchen Weitergaberaten  in einer Form, dass sie aussagekräftig sind, dann ist das sicher sinnvoll für die Forschung. Wenn es eher geht um Indikatoren als generalisierende Steuerungsinstrumente, die also eingesetzt werden, um jetzt einen verstärkten Grad der Offenheit zu messen und gegebenenfalls auch Leistungen dann von Institutionen oder einzelnen Wissenschaftlern zu messen, wäre ich sehr vorsichtig. Denn wann, wo und in welcher Form Offenheit, die dann gemessen wird, auch wirklich sinnvoll ist, ist eben je nach Forschungskontext sehr verschieden. Und wenn solche Indikatoren zu einfach gestrickt sind und nicht durch diese qualitative Kontextinformation, um welchen Forschungsbereich geht es hier eigentlich und welchen Wert hat dann die Weitergabe zum Beispiel von Forschungsdaten hier, dann können auch völlig falsche Anreize gesetzt werden. Ich würde da noch mal verweisen auf das Leiden Manifest zum Einsatz von Forschungsindikatoren zur Evaluierung von Forschung, das 2015 von Expert:innen auf diesem Gebiet veröffentlicht worden ist, wo sie zehn Grundsätze zum Einsatz von solchen quantitativen Forschungsindikatoren formulieren. Und einer davon lautet eben, quantitative Indikatoren ausschließlich zur Unterstützung qualitativer Bewertungen einzusetzen. Und ein weiterer sagt, es geht darum oder es ist wichtig, beim Einsatz solcher quantitativen Indikatoren eigentlich vorab festzustellen, um was für ein Forschungsprogramm geht es eigentlich, was für eine Mission hat diese Institution oder welches Forschungsprogramm hat auch der Forscher, um dann gezielt Indikatoren auszuwählen und einzusetzen, die für diese Fragestellung dann auch aussagekräftig sind. Also zu simplizistische, quantitative Indikatoren, die dann irgendwie nur festhalten: „Ich habe meine Daten geteilt“ und dann muss jeder, um diesem Anspruch gerecht zu werden, eben Ressourcen und Zeitreihen verwenden, selbst wenn es nicht zielführend ist, das wäre, glaube ich, dann eine Fehlentwicklung.

[00:17:04] Doreen Siegfried:
Wenn Sie jetzt sozusagen mit Ihrer multidisziplinär aufgestellten Forschungsgruppe das Thema betreuen, können Sie sagen, welche Fachdisziplinen befassen sich hauptsächlich wissenschaftlich mit dem Thema Open Science?

[00:17:23] Theresa Velden:
Das ist, glaube ich, relativ. Also kommt drauf an, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet. Also zum einen natürlich die Wissenschaftsforschung, wobei das auch da vielleicht eher ein Randthema ist, würde ich sagen.

[00:17:44] Doreen Siegfried:
Ach okay.

[00:17:45] Theresa Velden:
[lacht] Es gibt einzelne Wissenschaftler, die sich damit befassen, natürlich. Aber wichtige Beiträge kommen auch dann oft von Leuten im Inland oder Ausland, die dann auch den Fokus oder das Thema Open Science wieder verlassen. Also dass es jetzt kontinuierliche Forschungsprogramme gibt, das sehe ich eher selten. Gerade bei der eher grundlagenorientierten Wissenschaft. Es ist klar, dass Einrichtungen, die institutionell sozusagen einen Serviceauftrag haben, zum Beispiel Forschungsdateninfrastrukturen aufzubauen, da auch mit einer größeren Kontinuität dem Thema widmen. Aber das sind dann immer sehr anwendungsorientierte Perspektiven, die da untersucht werden. Also von den Disziplinen natürlich Informations-, Bibliothekswissenschaften, auch die Policy- und Innovationsforschung. Business Studies haben sich auch damit befasst. Da wird zum Teil auch die Verbindung dann zu Open Innovation untersucht, zum Beispiel. Also es gibt eine Doktorandin in Hannover, die sich angeguckt hat, wie ist das eigentlich mit der rechtlichen Situation …

[00:19:05] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:19:05] Theresa Velden:
Wem gehören die Daten eigentlich und wie nehmen die Wissenschaftler das wahr. Erst mal davon ausgehend, es sind eigentlich ihre und die Verfügungsgewalt liegt bei ihnen, was juristisch gesehen gar nicht zwingend der Fall ist. Also es gibt eine Bandbreite an Fächern, die sich da damit befassen, aber wie gesagt, so als etabliertes Forschungsprogramm, ich, wenn ich Arbeiten lese und Studien, wo ich denke, hier das ist wirklich substanziell und interessant und dann mal gucke, was macht derjenige denn jetzt im Moment, dann ist der unter Umständen schon wieder weiter zu einem anderen Thema gewandert.

[00:19:44] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Das heißt, das sind dann sozusagen Wissenschaftler:innen, die punktuell sich mal mit diesem Thema befassen?

[00:19:51] Theresa Velden:
Also Open Science ist in dem Sinne kein Forschungsgebiet.

[00:19:53] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:19:54] Theresa Velden:
Es ist ein Thema, dem sich dann unterschiedliche Wissenschaftler aus unterschiedlichen Gebieten dann annehmen, aber mit unterschiedlicher Persistenz sozusagen.

[00:20:06] Doreen Siegfried:
Ja. Und beobachten Sie dennoch eine Art von Vernetzung? Oder ist es tatsächlich so, dass die Personen einzeln für sich einen Ausschnitt aus diesem großen Themenfeld Open Science erforschen?

[00:20:19] Theresa Velden:
Aufgrund der Bandbreite ist es schon eher fragmentiert einerseits. Andererseits gibt es natürlich Netzwerke, die sich immer unter bestimmten Aspekten zusammenfinden. Also zum Beispiel in Berlin ist, glaube ich, inzwischen etabliert, diese Konferenz Open Science, die von der Leibniz Gemeinschaft [lacht], also das werden Sie wahrscheinlich wissen, regelmäßig mit dem Thema befasst und die sicher die Vernetzung in dem Bereich fördert. Es gibt, angestoßen von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Wien, eine Konferenz, die jetzt in das dritte oder vierte Jahr geht, wo dann Open Science und Open Innovation miteinander verbunden werden. Also von daher gibt es gewisse Vernetzungstendenzen, aber die sind doch immer noch eher partiell, würde ich sagen. Also diese Netzwerke überlappen sich auch nicht unbedingt sehr stark.

[00:21:17] Doreen Siegfried:
Also die Open Science-Konferenz, die Sie gerade erwähnt haben, die wird ja von der ZBW organisiert [lacht]. Also insofern kenne ich die ziemlich genau seit fast zehn Jahren. Dann nochmal zurück zu der Arbeit Ihrer Nachwuchsgruppe „Fachspezifische Form von Open Science“. Was wissen wir dann jetzt schon, also über das Teilen von Forschungsergebnissen? Sie hatten ja schon gesagt, es gibt diese unterschiedlichen Datenökonomien. Was können wir noch sagen, was wissen wir noch zu dem?

[00:21:51] Theresa Velden:
Na ja, also eins der Ergebnisse, das sich immer wieder auch in Surveys gezeigt hat, ist, dass die Einstellung der Wissenschaftler insgesamt und Wissenschaftler:innen in der Tendenz sehr positiv ist, dass sie das natürlich begrüßen. Aber wenn es dann um die eigene Praxis geht, gibt es auch immer wieder diesen Gap, also, dass man dann weniger teilt, als man, also die Prozentsätze derer, die tatsächlich dann ihre Daten zum Beispiel teilen, sind dann deutlich geringer als die, die im Allgemeinen das begrüßen. Wobei ich denke, dass sich dieser Unterschied oder diese Diskrepanz eben zum Teil auch durch diese spezifischen Forschungspraktiken, über die ich eben geredet hatte, auch erklären lässt. Also für einen Informatiker oder eine Mathematikerin, die mag zwar sagen, „Ich finde das eine gute Entwicklung und ich denke auch, Forschungsdaten sollten im Allgemeinen öffentlich zugänglich sein, kann das aber selber ja auch gar nicht unbedingt umsetzen.“ Genau. Ja, es gibt andere Forschungsergebnisse, also, dass es etwas mit Konkurrenzdynamiken zum Beispiel zu tun hat, die sich auch wieder in den Feldern unterscheiden. Kommerzialisierungsgrad kann eine Rolle spielen. Und des Weiteren dann eben Normen, die sich in den wissenschaftlichen Gemeinschaften ausgebildet haben. Wobei unser Forschungsansatz ist eben genau zu gucken, wo kommen diese Normen denn her. Die fallen ja nicht vom Himmel. Sondern die haben ja vermutlich auch etwas damit zu tun, für wie produktiv oder machbar das Teilen dann von Forschungsdaten gehalten wird.

[00:23:39] Doreen Siegfried:
Und wo kommen die Normen her?

[00:23:42] Theresa Velden:
Na ja, genau aus den Forschungspraktiken selber letztendlich. Also, wenn ich in einem experimentellen Feld feststelle, dass die dort erzeugten Atom- oder Molekülspektren nur begrenzt geteilt werden, dann hat das vermutlich auch etwas damit zu tun, dass sie eben kein Input, kein sinnvoller Input in darauf aufbauende Forschung sind. Während das in anderen Fächern, zum Beispiel Ökologie und Feldbeobachtung ganz anders aussieht. Also die Normen, wäre also meine Forschungshypothese, leiten sich ganz stark ab aus der Funktion, die das Teilen für die Forschung auch hat.

[00:24:30] Doreen Siegfried:
Ja, okay, verstehe. Das heißt, das sind dann letztlich auch die Faktoren oder was würden Sie sagen, wie kann man diese Normen aufbrechen? Welche Faktoren müssten geändert werden, damit sich diese Normen vielleicht oder die Praktiken, besser gesagt, verändern, dass Leute vielleicht doch eher Daten, Code usw. teilen, weil sie auch gerade das Thema Kommerzialisierung und Konkurrenz usw. ansprachen. Also, wie könnte man da was verändern?

[00:25:09] Theresa Velden:
Ja, ich weiß gar nicht, wie viel wir verändern müssen, als einfach schauen, wie man Wissenschaftler optimal unterstützen kann, durch Infrastruktur bereitstellen, dort wo sie fehlt, aber sie jetzt nicht [lacht] erzeugen in Bereichen oder da rein investieren, wo das eben auch gar nicht unbedingt produktiv ist. Also, mir geht es eigentlich zunächst mal darum, die Praktiken besser zu verstehen und einordnen zu können, um dann gezielter investieren zu können und festzustellen, okay, hier ist ein Bereich, wo Bildung, Fortbildung, Bereitstellung von Infrastruktur eben hilfreich und produktiv ist. Oder auch eine Berücksichtigung der notwendigen Ressourcen in Projektanträgen. Also, dass von vornherein mitgedacht wird, dass die Aufbereitung von Daten oder die Bereitstellung von Code natürlich sehr arbeitsintensiv ist und ressourcenintensiv ist und dass das von vornherein mit eingeplant werden muss, aber eben auch nicht immer und in jedem Fall also.

[00:26:23] Doreen Siegfried:
Ja, okay, ich sehe schon, man muss es sehr punktuell betrachten. Nichtsdestotrotz würde mich natürlich interessieren, wo sehen Sie denn, also Sie haben gerade schon gesagt, okay, bei der Beantragung, beim Ausformulieren von Drittmittelanträgen beispielsweise. Wo sehen Sie denn große Bedarfe von Wissenschaftler:innen unterschiedlichster Disziplinen?

[00:26:45] Theresa Velden:
Wo ich einen wichtigen Ansatz sehen würde ist eigentlich, dass man in jedem Bereich die Möglichkeit und auch die Ressourcen hat, zu reflektieren, die eigene Forschungspraxis und dann festzustellen, wo ist es für uns denn sinnvoll zu investieren. Und auch gut zu investieren, weil es hier Potenziale gibt, die noch nicht ausgeschöpft sind. Also weniger vorschreiben, irgendwelche Zielvorgaben, die von außen vorgegeben sind, als vielmehr den Wissenschaftlern den Freiraum und die Ressourcen zu geben, die eigene Forschungspraxis zu reflektieren und dann aus dem eigenen Forschungskontext heraus Ziele zu entwickeln und Zielvorstellungen. Und da ist mein Eindruck, dass für viele Wissenschaftler aufgrund der Projektstrukturen, die wir haben, der vielen Befristungen in dem Bereich, der großen Drittmittelabhängigkeit, also was zumindest für unseren Forschungsbereich gegeben ist, einfach auch dieser Freiraum etwas fehlt, längerfristig zu reflektieren und dann solche Veränderungen in Angriff zu nehmen.

[00:28:04] Doreen Siegfried:
Würden Sie denn sagen, da müssen sich die Communities, die fachspezifischen, also die Fächer selber drum kümmern, beispielsweise über die Fachgesellschaften? Weil sie sagen, die Wissenschaftler:innen selber haben gar nicht die Ressourcen und vielleicht auch gar nicht so den Blick auf die ganze Disziplin. Also wer müsste sich darum kümmern? Das ist ja dann eigentlich das Fach selbst, dass man sagt okay, wir müssen jetzt mal gucken, was unsere Wissenschaftler:innen brauchen. Und zwar nicht nur die einen in Berlin, sondern alle Subdisziplinen in ganz Deutschland.

[00:28:38] Theresa Velden:
Ja und darüber hinaus. Also wenn man sich zum Beispiel in der Ökologie die Daten, Forschungsdatenbanken anguckt oder die Vernetzung von Datensammlungen anguckt, das sind Initiativen, die sind genau auf Ebene von wissenschaftlichen Communities entstanden und entwickelt worden. In dem Fall zum Beispiel auf europäischer Ebene. Also das ist dann auch gar nicht mehr national begrenzt, sondern um eine kritische Masse von Wissenschaftlern zusammenzubekommen, in einem bestimmten Spezialgebiet, ist das dann auch ganz schnell international. Hier in Deutschland haben wir ja zum Beispiel die DFG, die mit ihrer nationalen Datenbankeninfrastruktur Forschungsdaten-Initiative genau auch diesen Ansatz fährt, wenn ich das richtig sehe, eben die wissenschaftlichen Communities da zu empowern, wenn man das so sagen kann,… [lacht]

[00:29:36] Doreen Siegfried:
Ja, ja, auf jeden Fall. Genau.

[00:29:38] Theresa Velden:
… Daten zur Verfügung zu stellen, dass die gemeinsam feststellen, wo sie da einen Bedarf haben und wie sie da sinnvoll Dateninfrastrukturen aufbauen.

[00:29:49] Doreen Siegfried:
Mich würde noch interessieren, welche Rolle in Ihrer Arbeit die wissenschaftspolitische Arbeit spielt?

[00:29:58] Theresa Velden:
In meiner Arbeit hat, also es ist eine Frage der Ressourcen, auch der Kontinuität… Wir sind also eine relativ kleine Nachwuchsgruppe, die multimethodisch vorgeht. Also wir haben jetzt ethnografische Studien und Interviewstudien gemacht, wollen in der nächsten Projektphase ein Survey designen. In der Zwischenzeit haben wir auch bibliometrische Studien gemacht, um die Fächer zu mappen, die wir untersuchen. In diesem Sinne bin ich sehr, sehr stark auch in die empirische Arbeit der Nachwuchsgruppe involviert. Das heißt, da ist nicht viel Freiraum noch darüber hinaus für Aktivitäten, zumal ich auch selber auf einer zeitlich befristeten Stelle bin. Es geht mir erst mal darum, mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen interessante Ergebnisse und solide wissenschaftliche Beiträge zu produzieren und diese zu kommunizieren über den engen Fachkreis auch hinaus, um damit dann Anwender auch zu informieren. Aber jetzt eine politische oder wissenschaftspolitische Beratungstätigkeit, die ist jetzt in meinem Stellenprofil so nicht vorgesehen.

[00:31:16] Doreen Siegfried:
Dann würde mich noch interessieren, wenn Sie sozusagen jetzt mit Ihrer Forschungsgruppe oder die einzelnen Personen Ihre Forschungsarbeit veröffentlichen, was sind das denn für Journals?

[00:31:26] Theresa Velden:
Das ist Informationswissenschaft, das ist dann Wissenschaftsforschungs-Journals vorwiegend, das ist perspektivisch auch Science Policy natürlich, weil man natürlich diesen Transfer auch leisten möchte in diesem Bereich und dann auch Bibliometrie, weil wir eben auch mit bibliometrischen Methoden arbeiten, um diese Fachabgrenzungen zu untersuchen für Fächervergleiche.

[00:32:00] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Dann habe ich noch eine Frage. Es gibt also in meiner Wahrnehmung ist so der neueste Trend Crowdsourced Research Projects. Also das heißt, Team Science, also das heißt, 30, 40 Leute werfen sich über ein Thema, was wirklich komplex und groß ist usw. Wenn jetzt, wenn Sie jetzt ein riesengroßes Team hätten und nicht nur eine Nachwuchsgruppe von zehn Personen, welches was würden Sie anders machen? Oder was würden Sie gerne als nächstes untersuchen wollen? Oder wo würden Sie tiefer graben wollen?

[00:32:37] Theresa Velden:
Ja, vielleicht bevor ich zu der Frage komme, also die Nachwuchsgruppe ist sehr viel kleiner. Das bin ich und eine Doktorandin. Der Forschungscluster, das ist eben eine Vernetzung von Kollegen in unserem Institut der dann etwa zehn Personen umfasst. [lacht]

[00:32:52] Doreen Siegfried:
[lacht] Okay, gut, dann haben wir das auch korrigiert.

[00:32:55] Theresa Velden:
Aber jetzt was so eine eher groß angelegte Projekt angeht oder Vernetzung von Wissenschaftlern, da fällt mir zunächst mal ein methodenorientiertes Thema ein, wo es um die Interpretation von Zitierungen geht im Kontext von epistemischen Praktiken. Also, traditionell werden Zitierungen in der Bibliometrie ja vor allem genutzt, um irgendwie Impact zu quantifizieren. Und was uns hier interessiert sind, ist die Verwendung von Zitationen, um eben auf methodische, empirische, theoretische und andere Wissensbeiträge zurückzugreifen oder zu verweisen. Und bei Zitationsanalysen war bisher eben immer nur die zitierte Publikation allgemein das Objekt und nicht so sehr der spezifische Wissensbeitrag aus der Publikation, der identifiziert werden könnte. Und mit modernen Methoden des Information Retrieval und eben auch dem zunehmenden Zugriff der Möglichkeit auf die Volltexte, um Zitationskontexte zu analysieren und dann wirklich die Bezüglichkeit einer Zitation auch identifizieren zu können, dazu würden wir gerne Methoden entwickeln. Und um diese Methoden aber zu entwickeln und zu validieren, muss man auch qualitativ in diese Zitationskontexte einsteigen und die klassifizieren. Und das über verschiedenste Wissenschaftsgebiete sachgemäß zu leisten braucht schon ein sehr multidisziplinäres Team, was sich eben dann auch mit Ökologie, Physik, Mathematik, Geisteswissenschaften oder Wirtschaftswissenschaften, also unterschiedlichsten Fächern, auskennt und das dann einordnen kann, ist das hier ein theoretischer Bezug, empirischer Bezug usw. Also das wäre ein Projekt, was ich sehr attraktiv fände und was uns bei den bibliometrischen Methoden, sozusagen des Mappings von Fachgebieten, also Fachgebiete abzugrenzen von anderen, aber auch ihre Bezüge zu anderen Fachgebieten zu erfassen, uns dort wesentlich weiterbringen würde. Wenn uns das gelänge.

[00:35:22] Doreen Siegfried:
Ja super. Okay. Dann habe ich alle meine Fragen gestellt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen.

[00:35:29] Theresa Velden:
Danke auch.

[00:35:29] Doreen Siegfried:
Und ich bedanke mich auch bei unseren Zuhörerinnen und Zuhörern. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Es gibt demnächst viel nachzulesen wahrscheinlich auf der Seite vom DZHW. Lassen Sie uns gerne Feedback da. Egal ob auf Twitter, LinkedIn oder per Email. Abonnieren Sie uns fleißig auf iTunes, Spotify, überall da, wo man Podcasts findet. Und ich freue mich aufs nächste Mal.