Folge 23: Geschäfte mit der Wissenschaft
The Future is Open Science – Folge 23: Geschäfte mit der Wissenschaft
Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Thorsten Meyer
Bibliotheksdirektor, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
[00:00:03] Doreen Siegfried:
Willkommen bei “The Future is Open Science”, dem Podcast der ZBW. Hier verraten Ihnen interessante Menschen aus dem Wissenschaftsbetrieb, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir tauchen ein, in die Tiefen der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und verraten Ihnen handfeste Tipps und Tricks zu Open Science in der Praxis. Ich bin Doreen Siegfried und freue mich sehr, Host dieses Podcast zu sein.
[00:00:33] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Und wir haben heute hier eine Premiere, denn wir zeichnen unseren Podcast live auf beim ersten Kieler „Science Festival“. Das heißt, nicht nur ich habe die Ehre, hier Fragen zu stellen, sondern auch Sie, liebes Publikum. Wir wollen heute reden über Machtstrukturen und Abhängigkeiten im Wissenschaftsbetrieb, über Geld und Gewinnmargen. Daher habe ich mir hier einen Gast eingeladen, der sich im Maschinenraum der Wissenschaft bestens auskennt. Er ist Bibliotheksdirektor der ZBW und steckt sozusagen gerade knietief in einem großen Transformationsprojekt. Herzlich willkommen, Thorsten Meyer!
[00:01:20] Thorsten Meyer:
Hallo.
[00:01:21] Doreen Siegfried:
Damit die Welt von Forschungsergebnissen erfährt, ist es ja so, dass Wissenschaftler:innen schon seit dem 17. Jahrhundert in Fachmagazinen publizieren. Und diese Fachmagazine gehören privatwirtschaftlichen Verlagen und Verlagskonzernen. Welche Rolle spielen jetzt diese Verlagskonzerne wie beispielsweise Elsevier, Springer Nature oder Wiley heute für die Wissenschaft?
[00:01:45] Thorsten Meyer:
Diese drei Großen, gleich mal die Big Three, wie man sie so schön nennt, machen oder haben so circa 53 % des Zeitschriftenmarktes für sich eingenommen. Und wenn man jetzt so ein bisschen die Genese sieht, es heißt immer publish or perish für die meisten Fachdisziplinen. Wird man zitiert, wird man wahrgenommen. Zitiert wird man aber nur, wenn man halt in wichtigen Zeitschriften publiziert. Welche Zeitschriften wichtig sind, ergibt sich wieder daraus, wie häufig aus diesen Zeitschriften heraus wieder die Forschungsergebnisse zitiert werden. Und jetzt, wenn wir das in den Wirtschaftswissenschaften sehen, da findet der Diskurs eigentlich gar nicht in den Zeitschriften statt, sondern in Diskussionspapieren auf Konferenzen. Aber zitiert wird dann trotzdem nachher in den endgültigen Publikationen, als Aufsatz in einer Fachzeitschrift, und die wird dann entsprechend zitiert. Deswegen müssen die dann erstmal veröffentlicht werden.
[00:02:48] Doreen Siegfried:
Okay. Und wie sehen denn sozusagen deren Geschäftsmodelle aus?
[00:02:55] Thorsten Meyer:
Wenn wir auch da 17. Jahrhundert zurückgehen, früher in der analogen Welt wurden halt Zeitschriften gedruckt, gemacht. Die Artikel wurden dort schön gebunden und dann entsprechend verschickt. Die Forschenden haben schon immer einen Großteil der gesamten Arbeit gemacht. Sie haben zum einen die Artikel geschrieben. Sie haben dann aber auch die Artikel begutachtet untereinander, das sogenannte Peer Review-Verfahren. Die Forschenden sind auch in den Editorial Boards, die halt so die inhaltliche Ausgestaltung der Zeitschriften steuern und machen. Und das haben die schon immer gemacht, das machen die auch heutzutage, wo es in der digitalen Welt halt viel einfacher geht, solch eine Zeitschrift, ich nenne das, ich sage, ich übertreibe mal ein bisschen: ein paar PDFs zusammenführen. Die Forschenden, die veröffentlichen wollen, kriegen eh schon ein Layout vorgegeben, das heißt, da muss man nur noch mal drüber gucken. Dann wird das inhaltlich bewertet und dann wird das veröffentlicht. Jetzt ist es auch, früher war die Zeitschrift dann im Magazin einer Bibliothek, in der Regel. Man konnte sie ausleihen vor Ort, man konnte sich auch Artikel zuschicken lassen per Fernleihe. Heutzutage könnte man viel besser drauf zugreifen. Aber jetzt ist natürlich auch im Geschäftsmodell mit drin, dass man auch steuern kann, wer wann wie zugreifen kann.
[00:04:15] Doreen Siegfried:
Okay.
[00:04:16] Thorsten Meyer:
Das heißt, man kann auch steuern, wie viele Leute gleichzeitig drauf zugreifen können etc.
[00:04:23] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und wie viel Geld muss da sozusagen, also wer muss da das Geld in die Hand nehmen und von welchen Summen sprechen wir da, um letztlich Forschungsergebnisse zu lesen oder auch um zu publizieren?
[00:04:36] Thorsten Meyer:
Ich habe vom Peer Review gesprochen. Also zunächst einmal der überwiegende Teil der Forschenden ist mit öffentlichen Geldern finanziert, überall auf der Welt, das sind Steuergelder. Die forschen, die haben Ergebnisse, die Ergebnisse kommen in die Zeitschriften. Und dieses Peer Review-Verfahren zum Beispiel umfasste 2020 weltweit so circa 100 Millionen Arbeitsstunden der Forschenden. Und man hat das mal für die USA ganz vorsichtig versucht auszurechnen, was das dann für einen materiellen Wert hat. Das sind so 1,5 Milliarden US Dollar. 1,5 Milliarden US Dollar Steuergeld…
[00:05:18] Doreen Siegfried:
Wahnsinn.
[00:05:19] Thorsten Meyer:
…in die Privatwirtschaft gepumpt. Quasi durch Forschung. Nur um die von der eigenen Community geschriebenen Artikel zu begutachten.
[00:05:29] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Krass. Und kannst du auch was sagen über Gewinnmargen?
[00:05:35] Thorsten Meyer:
Ja. Das ist nämlich, wie gesagt, ein Großteil der gesamten Arbeit, um solch eine Zeitschrift, um die Artikel, um die Forschungsergebnisse dann auch verfügbar zu machen, erfolgt über die Forschenden. Dann müssen wir vielleicht noch die andere Seite sehen, wenn diese Zeitschriften veröffentlicht sind. Ich habe schon erzählt im Magazin, dann kann man damit als Bibliothek eigentlich machen, viel mehr machen, das kann der Verlag gar nicht überprüfen. In der digitalen Welt kriegt man auch gar nicht mehr unbedingt eine einzelne Zeitschrift gekauft, um überhaupt diese Zeitschrift lesen zu können, weil dann macht man lieber gleich ganze Pakete und dann muss man halt ein Paket für die Wirtschaftswissenschaften kaufen. Und man braucht eigentlich nur drei von denen, jetzt mal so als Beispiel, man braucht nur drei von den zehn Zeitschriften, kauft aber, muss aber alle zehn kaufen, damit die Nutzenden, auch die Forschenden, wieder aus der eigenen Einrichtung auf die Zeitschriften zugreifen können und diese Artikel lesen können. Und wenn wir mal von Gewinnmargen sprechen, Elsevier hatte 2021 eine Umsatzrendite von circa 35 %. Die liegt immer so bei knappe 40, ein bisschen drunter oder auch so zwischen 33 und 38 %, manchmal bis 40. Mal so im Vergleich, Amazon hatte 2021 ein neues, einen neuen Höchstwert, historischen Höchstwert in der Umsatzrendite. Und zwar 7 %. Amazon!
[00:07:02] Doreen Siegfried:
Ja, okay.
[00:07:03] Thorsten Meyer:
So, das heißt, damit kann man ganz viel Geld mit machen, mit der steuerfinanzierten Forschung.
[00:07:09] Doreen Siegfried:
Okay. Und du hast ja gesagt, Geschäftsmodelle sind da flexibel. Wie haben die sich denn in den letzten Jahren so verändert?
[00:07:18] Thorsten Meyer:
Zum einen ist es halt in der digitalen Welt nochmal einfacher, Zugang zu beschränken, so dass man halt noch mehr einnehmen kann für den Zugang. Zum anderen hat man sich, hat man dann auch einfach generelle Preissteigerungen.
[00:07:36] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:07:37] Thorsten Meyer:
Man stellt von Printabos auf digitale Abos um, jetzt nochmal auf die Zeitschriften gesehen. Und dann kommt noch das neue Geschäftsmodell dazu. Das halt, oder kam dann dazu, dass die Autor:innen, wenn der Artikel frei verfügbar sein soll, in einer hybriden Zeitschrift, also da sind Artikel, wo man nicht einfach so drauf zugreifen kann und dann Artikel, die im Open Access zur Verfügung stehen. Dafür zahlt dann der Wissenschaftler, die Wissenschaftlerin extra Geld für. Es können 5.000 sein, das ist bei kleineren Verlagen auch mal nur 1.500, aber so bei den Großen ist das 4.000 und höher oder je nachdem. Und das ist nochmal eine zusätzliche Einnahmequelle. Das heißt, damit die Forscher, weil die Zeitschriften werden ja im Verkauf nicht günstiger dadurch, dass dort einzelne Artikel drin sind, auf die man so zugreifen kann. Die Preise für die Bibliotheken blieben immer gleich. Oder was heißt gleich? Man muss immer so, wenn man gut verhandelt und gemeinsam verhandelt, kriegt man so Preissteigerungen von 3 bis 5 % jährlich für die Digitalen, für den Zugang, nur für den Zugang. Aber sonst ist es eigentlich dann so bis zu 10 %, was man mehr bezahlen muss jedes Jahr.
[00:08:48] Doreen Siegfried:
Okay. Wie gehen denn aber Bibliotheken damit um? Also welche Auswirkungen hat das für Bibliotheken und damit ja dann quasi sozusagen auch für die Wissenschaft?
[00:08:57] Thorsten Meyer:
Das ist eine Reallokation von Mitteln. Es gibt an der Universität halt unterschiedlichste Fachdisziplinen. Und wenn wir jetzt mal – die großen drei sind sehr wichtig für die sogenannten STM-Fächer, also Science, Technology, Medicine – Naturwissenschaften, Technik und Medizin. Und die haben halt dann entsprechend fallen andere Zeitschriften, andere Informationen, andere Forschungsergebnisse hinten rüber, weil man sie nicht mehr kaufen kann. Das gab’s schon zur Papierzeit, aber jetzt ist das natürlich noch mal extremer.
[00:09:33] Doreen Siegfried:
Okay, aber das heißt ja denn für die Wissenschaft, dass letztlich sozusagen da auch nicht alles zur Verfügung steht, was es theoretisch gibt.
[00:09:40] Thorsten Meyer:
Aber wichtig ist ja, dass das wichtigste zur Verfügung steht, weil dort muss man publizieren, damit man wer ist. Und das ist das, was man braucht.
[00:09:49] Doreen Siegfried:
[lacht] Höre ich da etwas Ironie?
[00:09:50]
[beide lachen]
[00:09:52] Doreen Siegfried:
Die Verlagskonzerne, die durchdringen mit ihren Services ja auch den gesamten Forschungszyklus, also angefangen bei Fachzeitschriften, da haben wir gerade kurz drüber gesprochen und Datenbanken, aber auch bis hin zu Forschungsinformationssystemen, mit denen Hochschulen ja letztlich ihre ganze Forschung verwalten. Welche Auswirkungen hat denn das, also jetzt für die Wissenschaft als solche, dass Verlage sozusagen in immer mehr Bereiche ihre Füße, ihre Fühler reinstrecken?
[00:10:24] Thorsten Meyer:
Prinzipiell ist das ja erstmal bequem. Man muss ja gar nicht groß das System wechseln, um irgendwie was Anderes zu finden. Oder man hat alles an einem Ort, so wie Google. Prinzipiell ist Google bequem. Dann kommt es aber. Die Verlage haben ja nicht nur, man muss es halt kaufen und man hat es dann. Man kann vielleicht auch gar nicht so viel dran verändern, aber das braucht man vielleicht als einzelner Forscher, als einzelne Forscherin gar nicht. Aber so auch als Einrichtung ist es halt relativ bequem. Nur die Verlage haben jetzt quasi sich oder diese, die nennen sich mittlerweile Plattformanbieter. Sie haben sich jetzt quasi in den gesamten Forschungszyklus etabliert. Und jetzt zeigen sie Ihr wahres Gesicht. Nämlich fangen sie an, Daten zu sammeln und nicht nur die Artikel und die Forschungsdaten dazu. Also wenn man jetzt eine empirische Studie hat, die zugrundeliegenden Daten, sondern auch wie ein Wissenschaftler, der ja nun alles vielleicht auf der Plattform macht, dann halt seine, wo er überall reinguckt, wo er was er macht, wo er sich aufhält, wo er vielleicht dann auch natürlich genau analysiert, wie diese Person forscht, was sie veröffentlicht. Wenn wir jetzt mal so ein bisschen 1984 Orwell sehen [lacht]. Ja.
[00:11:46] Doreen Siegfried:
Absolut. Ja. Okay, das heißt, du siehst da Gefahren?
[00:11:48] Thorsten Meyer:
Ich sehe da durchaus Gefahren, weil diese Daten halt nicht nur bei den Verlagen genutzt werden, um die Angebote zu optimieren. Das wäre ja vielleicht noch irgendwie nachvollziehbar. Nein, es ist ja noch viel mehr, denn die Verlage verkaufen diese Daten. Also es gibt ja Elsevier, man nennt sie immer Elsevier. Elsevier ist ein Teil von den großen Regs und die haben halt, Elsevier hat immer mehr zugekauft, unter anderem LexisNexis. Das ist ein Datenbankanbieter, ein Datenanbieter und der gehört schon seit 94 dazu. Und die nutzen die gleiche Software um Daten zu sammeln. Aber die verkaufen ihre gesammelten Daten für teuer Geld an das Innenministerium in den Vereinigten Staaten. Und so könnte man das ja dann auch in andere Staaten verkaufen. Es geht ja, muss man immer sehen, diese Anbieter sind kommerziell. Sie, das ist auch völlig normal, sie sind gewinnorientiert. Wäre auch komisch, wenn sie es nicht machen würden, sie würden das nie so sagen, aber natürlich sind sie Gewinn. Elsevier ist eine Aktiengesellschaft, die müssen ihren Shareholder Value erhöhen.
[00:13:00] Doreen Siegfried:
Also würdest du sozusagen sagen, der Vorteil ist Bequemlichkeit und es ist für die Wissenschaftler:innen super bequem und das wird sozusagen maximal ausgenutzt, menschliche Faulheit?
[00:13:12] Thorsten Meyer:
Es ist auch, sowas selber bauen ist halt schon schwierig, denn das ist eine Kraftanstrengung und es ist immer die Frage make or buy. Und prinzipiell wenn es funktioniert, ist es einfach, nur wir müssen diese Awareness schaffen, wenn ich das alles nutze, gebe ich auch alle meine Daten, alle meine Handlungen, ich bin völlig transparent. Ich bin transparent gegenüber dem Verlag. Andersherum natürlich nicht.
[00:13:42] Doreen Siegfried:
Ne. Okay.
00:13:43 Thorsten Meyer:
Und dann kommen wir nämlich in diese Problematik, was du eben fragtest bezüglich, welche Auswirkungen das haben kann. Die DFG hat vor kurzem schon sich genau mit dieser Frage beschäftigt und hat gesagt, die Wissenschaftsfreiheit ist eingeschränkt durch diese Daten. Weil, nehmen wir mal an, dort auch die Verlage geben Pressemitteilungen raus. So, und dann über was schreiben sie denn, bestimmt nicht über irgendwas, was vielleicht in der Wissenschaft gerade bahnbrechend ist, aber für eine Pressemitteilung gar nicht so interessant, sondern da kommen die interessanten Themen rein. Und wenn das dann in der Pressemitteilung verbreitet ist, dann ist das natürlich wird das ganz anders wahrgenommen, als wenn das vielleicht nur in einer kleinen Fachdisziplin irgendwie gelesen wird und rezipiert wird. Und das ist halt damit, damit steuert man ja schon die Forschung, weil wenn ich jetzt als neuer Forsch… muss ich ja, ich muss ja immer sehen, dass ich gelesen werde, zitiert werde, dass ich hoch komme in diesem publish or perish. Und gleichzeitig – und das ist diese, was ich Bequemlichkeit nenne, was, was wir ja auch im Alltag haben mit Amazon, mit Google usw., das ist halt bequem. Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft, als die angefangen haben, ihre Forschungsgelder nur unter der Bedingung zu zahlen, dass die Forschungsergebnisse im Open Access veröffentlicht werden, da wurde darüber diskutiert, ob das denn in die Wissenschaftsfreiheit eingreift, ob denn da die Wissenschaftsfreiheit noch gegeben ist. Hier werden alle Daten abgegeben, das ist egal.
[00:15:24] Doreen Siegfried:
Okay. Also das heißt, wenn wir über Macht sprechen in der Wissenschaft sind es gar nicht so sehr die Profs, die jetzt ihre Doktoranden gängeln oder auch nicht gängeln und entscheiden, worüber geforscht wird, sondern man könnte quasi sagen: Verlagskonzerne sind auch eine Art Gatekeeper der Wissenschaft.
[00:15:46] Thorsten Meyer:
So kann man das, wenn es dann also, wenn sie es – ich will ihnen jetzt nicht unterstellen, dass sie es schon so tun -, aber das ist natürlich dann der nächste Schritt. Weil, was macht, was bringt Geld, welche Forschung bringt Geld?
[00:16:00] Doreen Siegfried:
Aber können sie denn darüber auch bestimmen, welche Themen, also können sie das lenken, an welchen Themen letztlich auch geforscht wird? Wie siehst du das?
[00:16:09] Thorsten Meyer:
Sie könnten das schon. Ich habe schon die Pressemitteilungen genannt. Aber auch wenn sie die gesamten Daten sammeln, dann, es ist ja völlig intransparent, wie jetzt, wenn ich jetzt in Scopus oder so eine Suche starte, wie da die Ergebnisse kommen. Für mich vermeintlich erst mal das richtige. Aber wenn man sich da mal ein bisschen mit beschäftigt… Das geht bei Amazon ja schon los, wenn man sich mal mit diesen Suchen beschäftigt, man kriegt ja eigentlich oder auch bei Google, man kriegt ja eigentlich immer nur das, was man vorher auch schon gesucht hat. In gewisser Weise.
[00:16:43] Doreen Siegfried:
Also man wird schön in seiner Blase gehalten.
[00:16:45] Thorsten Meyer:
Genau, man bleibt schön in seiner Blase. Und gerade Forschung ist mittlerweile so interdisziplinär, da ist die Blase zwar wichtig, aber halt nur ein Teil. Und wenn ich in einer Blase anfange, dann muss ich schon sehr gute Kontakte haben auf der kollegialen Ebene, dass ich in eine andere Blase komme. Wenn die Verlage halt ihre … die wollen Daten sammeln.
[00:17:05] Doreen Siegfried:
Dass ich überhaupt wahrnehme, dass es noch drei Blasen außer meiner gibt.
[00:17:08] Thorsten Meyer:
Genau, das ich das auch wahrnehme. Das sind halt die Gefahren. Genau.
[00:17:10] Doreen Siegfried:
Okay, wie kann sich denn jetzt sozusagen die Wissenschaft lösen aus diesem Einfluss der Verlage?
[00:17:18] Thorsten Meyer:
Ich habe ja schon gesagt, die Awareness, man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Angebote, diese Infrastruktur kommerzieller Natur ist. Das heißt, es geht darum, möglichst viel Gewinn zu machen für den Anbieter, nicht darum, dass die Wissenschaft möglichst gut arbeiten kann. Das hängt ein bisschen zusammen, aber natürlich auch Forschungsergebnisse sollen halt, sind – das ist die Gefahr – sind dann, also Forschung ist das eine. Aber auch diese Daten sind halt das neue Gold. Und es sind nicht die Forschungsdaten, die die Wissenschaftler publizieren oder die Wissenschaftlerinnen, sondern es ist das, was die Forschenden durch ihr Verhalten, durch ihre Aktivitäten auf diesen Plattformen halt an – kostenlos, auch wieder kostenlos – an den Verlag abgeben. Und damit macht er sein Geld. Wir müssen eigentlich oder wir müssen unsere digitale Souveränität zurückbekommen. Was verstehe ich in diesem Fall unter digitaler Souveränität? Wir müssen auf der einen Seite halt uns darüber bewusst sein, was wir eigentlich alles an Informationen an die Anbieter abgeben. Wir müssen uns bewusst sein, dass diese Zeitschriften ein es ist immer, es wird immer teurer, die Gewinnmargen bleiben gleich, die Forschungsgelder gehen aber zurück in solchen Krisen. Das ist ja auch immer interessant, egal, was auf der Welt passiert, die Umsatzrendite bleibt hoch. Andere müssen kämpfen, die Umsatzrendite bleibt hoch. Und das ist so etwas. Die sind krisenfest, weil sie immer irgendwas da noch finden, sind auch findig. Und wir müssen einfach… In der analogen Welt war das relativ einfach. Aber jetzt müssen wir einfach sehen, wenn man – ich würde gar nicht sagen, man darf nicht mit kommerziellen Anbietern zusammenarbeiten, weil da ist ja auch immer die Frage make or buy – sondern es geht darum, unter welchen Rahmenbedingungen machen wir das? Und das können wir auch nicht alleine. Das kann nicht eine Einrichtung alleine, sondern es muss gemeinsam gemacht werden. Es gibt mittlerweile und da kommen wir dann vielleicht auch wieder zu den Zeitschriften. Die werden in Open Access übertragen, transformiert, so dass zumindest der Zugang erst mal für alle frei ist. Auch da gibt es wieder Probleme, aber da gibt es auch Infrastrukturen, um überhaupt erst mal rauszufinden, welche Zeitschriften sind denn im Open Access und so weiter. Und da sind wir halt zum Beispiel auch, wir versuchen dann auch solche Infrastrukturen zu unterstützen. Und das ist etwas, was öffentlich gefördert ist, weil da macht man kein Geld mit, mit solchen Infrastrukturen. Aber das muss halt unterstützt werden, dass überhaupt erst mal Transparenz hergestellt wird.
[00:20:01] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Das heißt, da muss man ja schon ausdauernd sein. Also wie viel Jahre Wartezeit oder Ausdauerzeit muss ich denn einplanen für so eine Transformation? Und wie erfolgsversprechend ist das?
[00:20:20] Thorsten Meyer:
Man muss eine sehr lange Zeit einplanen und man muss auch die Strukturen dafür schaffen. Also wenn ich mal als Beispiel die Allianz der Wissenschaftsorganisationen nehme, die haben 1997, 2007, Entschuldigung 2007, die Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ ins Leben gerufen, alle Forschungseinrichtungen letztlich zusammen, über 900: Max Planck, Helmholtz, Unis und so weiter. Und der erste Schritt war dann Lizenzen, also nationale Lizenzlösungen zu schaffen, dass einfach der Zugang verbessert wird für eine breitere Masse. Das kann man nicht mit den großen Dreien machen. Und aus dieser Schwerpunktinitiative heraus, aus der Allianz heraus, wurde dann das Projekt DEAL gestartet und das Projekt DEAL ist dann, verhandelt zentral für diese 900 beteiligten Einrichtungen mit Elsevier, Springer Nature und Wiley. Mit Springer Nature und Wiley gibt es mittlerweile Verträge, wo einfach nicht mehr für das Publizieren bezahlt wird, wenn man es im Open Access hat und für das Lesen, sondern beides zusammen. Quasi nur noch die Anzahl der Publikationen wird berechnet. Und da ist der Preis dann liegt der Preis auch nicht bei 4.000 €, sondern bei unter 3.000 €. Das ist immer noch hoch, aber man hat versucht, diesen Weg zu finden. Mit Elsevier gab es dann erst mal keinen Abschluss und da wurden die Verhandlungen abgebrochen. Und ein Großteil der Einrichtungen in Deutschland hat die Verträge mit Elsevier gekündigt und auch einige Forschende sind aus den Editorial Boards ausgetreten etc. Und da wird wieder verhandelt. Aber nur so geht es halt, dass man da die Verhandlungsmacht stärkt. Rahmenbedingungen wie bei wie zum Beispiel Datenschutz, welche Daten gebe ich ab? Das muss man halt auch gemeinsam, sollte man gemeinsam machen, weil alleine… Da ist die große Firma, die das macht.
[00:22:27] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Was ich mich frage, du hattest ja gesagt digitale Souveränität spielt eine große Rolle, man muss letztlich auch ein bisschen sensibilisiert werden dafür. Wenn ich jetzt als Wissenschaftler:in irgendwo tätig bin, wem gebe ich welche Daten preis oder wo hinterlasse ich einfach Datenspuren dadurch, dass ich ein bestimmtes Tool nutze und so weiter. Auf der einen Seite haben wir die wissenschaftlichen Akteure, die Bibliotheken, die Dienstleistungseinrichtungen unterschiedlichster Art, auf der anderen Seite die Verlage. Welche Rolle spielen denn wissenschaftliche Bibliotheken / Informationsinfrastruktureinrichtungen in dieser Gemengelage? Also es gibt ja recht viele davon, haben die eine gewisse Macht?
[00:23:10] Thorsten Meyer:
Sie spielt eine sehr wichtige Rolle meines Erachtens. Und da bin ich nicht nur gebiast, weil einfach: die Organisation von Wissen, das ist die ursprüngliche Rolle von Bibliotheken, von Infrastruktureinrichtungen. Welches Wissen ist da? Es wird qualitativ aufbereitet, das heißt, das, was die Bibliotheken haben, ist halt wirklich auch dann relevant und nicht noch zwischendurch ein Ratgeber, irgendwie oder sonst irgendwas wie bei Google. Und es ist halt auch transparent, also Suchfunktionen etc. Bibliotheken, auch wir mit EconBiz, versuchen halt möglichst hohe Transparenz darzustellen. Früher war Bibliothek gleichbedeutend, man hat einen Bestand und der ist halt das, was man verfügbar machen kann. Heutzutage organisieren wir Zugang, wir organisieren Zugang zu Informationen. Das muss nicht immer bei uns auf einem Server liegen oder so, auch das. Aber wir organisieren diesen Zugang und schaffen damit aber auch durch Verhandlungen mit Verlagen Plattformen, wo Verleger, Herausgebende ihre Zeitschriften publizieren können, damit sie keinen Verlag brauchen. Das ist das sogenannte Diamant Open Access. Das heißt bei uns OLEcon wo einfach, wo wir gemeinsam mit Herausgebern dann verhandeln, auch mit dem Verlag. Wenn sie bisher Ihre Zeitschrift beim Verlag haben, wie wir dann da wegkommen. Wie man Geschäftsmodelle findet, dass es für alle offen ist, aber nicht alle Publizierenden wieder bezahlen müssen, dass sie da reinkommen. Dieses subscribe to open, dass man halt andere Lösungen findet. Wir wollen ja gar nicht ohne die Verlage arbeiten jetzt, das geht auch nicht. Sie haben nun mal die Rechte an diesen Zeitschriften, haben sie nun mal irgendwie gekriegt. Aber wir müssen halt auch Lösungen finden, dass das Wissenschaftssystem funktioniert, und zwar nicht nur funktioniert, wenn die Verlage da sind mit ihren Angeboten, sondern auch unabhängig funktioniert. Denn es sind immer Steuergelder, das ist eigentlich eine riesengroße Subvention eines kleinen Marktsegments mit riesengroßen Zahlen. Also das ist halt.
[00:25:31] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Du hast es jetzt gesagt wissenschaftliche Bibliotheken sammeln nicht mehr, sondern organisieren Zugänge, legen Zugänge. Und die Verlagskonzerne sind ja im Prinzip auch Infrastrukturdienstleister. Also können Bibliotheken selbst ihr eigener Infrastrukturdienstleister sein oder können sie eine Art alternativer Infrastrukturdienstleister sein und sozusagen ein Paralleluniversum oder ein Zusatzuniversum sozusagen zu den Verlagsstrukturen aufbauen? Also haben sie die Power? Haben sie das Know-how dazu? Geht das?
[00:26:06] Thorsten Meyer:
Ich würde sagen, die Wissenschaftscommunity zusammen. Da gehören die Bibliotheken zu, die das Know-how haben, wie man jetzt solche Infrastrukturen auch was die brauchen, damit man das überhaupt aufbauen kann. Aber auch die Forschenden selbst, die nämlich wiederum ihre Forschungsergebnisse auch dann in diesen Infrastrukturen, die müssen da ja irgendwie rein, damit man sie dann auch möglichst breit zur Verfügung stellen kann. Es gibt schon sehr lange sehr viele Universitätsverlage. Da haben nämlich dann Universitäten meist mit den Bibliotheken sehr eng verknüpft Verlage gegründet. Das Problem ist nur, wenn die dann gerade im angelsächsischen Bereich Cambridge University Press, Oxford University Press, die würden wir jetzt als den nächsten Layer sehen. Nach den Big Three kommen dann solche riesigen Verlage und die sind kommerziell, die sind nämlich ausgegründet. Sie heißen zwar noch Cambridge University Press, aber… Und da ein Beispiel ist Harvard Business School. Die Harvard Business School hat, ist so erfolgreich bei der Erstellung von Case Studies – in der BWL hat man ganz viele Case Studies so in der Praxis – und die verkaufen sie für teuer Geld. Aber da ist auch die Nachfrage da. Bevor ich es selber mache, kaufe ich die da lieber ein, weil sie qualitativ super sind. Wir arbeiten aber auch sehr eng mit deren Bibliothek zusammen, weil die haben sich auch der Offenheit verschrieben und machen ganz viel in dem, wie können wir möglichst transparent Informationen zugänglich machen, aber überhaupt erst mal findbar machen.
[00:27:38] Doreen Siegfried:
Und wie geht das? Wie arbeiten die zusammen? Wenn die einen sagen, wir wollen die Studien verkaufen und die anderen?
[00:27:44] Thorsten Meyer:
Das ist eine andere Unit, eine andere Business Unit.
[00:27:45] Doreen Siegfried:
Okay [lacht].
[00:27:48] Thorsten Meyer:
Aber man muss halt auch sehen, Harvard lebt von den Einnahmen, die sie durch Studiengebühren haben etc. Nun ist das natürlich eine gute … Das ist halt nicht rein steuerfinanziert, eigentlich sogar sehr wenig, aber das sind die Ausnahmen. Und in der Forschung ist das eher anders. Also ich würde schon sagen, man kann gemeinsam viel machen und man kann aber auch, man muss immer sehen, das Gemeinsame geht nicht auf lokaler Ebene, sondern möglichst immer auf nationaler oder sogar europäischer Ebene.
[00:28:15] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Gut. Vielleicht noch eine letzte Frage in dieser Runde. Wenn wir von Verlagen sprechen und dem, wie Verlage mit Bibliotheken und Bibliotheken mit Wissenschaftler:innen zusammenarbeiten und so weiter. Gibt es da ja so, das funktioniert ja nur so, weil das System es letztlich so will. Also die Regeln im Wissenschaftsbetrieb lauten: publiziere, publiziere, publiziere. Logischerweise in den Top Journals, die dann wie gesagt, den besagten Dreien in der Regel gehören oder vielleicht auch mal ein paar anderen. Also wie kriegt man dieses Regelsystem aufgebrochen? Vielleicht auch zugunsten von mehr Diversität, zugunsten von mehr Unabhängigkeit in der Wissenschaft?
[00:29:03] Thorsten Meyer:
Da gibt es, also man muss halt dieses publish or perish aufbrechen.
[00:29:06] Doreen Siegfried:
Ja.
[00:29:07] Thorsten Meyer:
Und dieses Hamsterrad quasi mal anhalten. Das ist aber schwierig. Da würden auch alle Forschenden zustimmen. Neues zu machen ist halt, das geht eigentlich nur von der Forschungscommunity oder von den Rahmenbedingungen. Auch da wieder die DFG hat gerade oder ist gerade dabei, die Leistungsmessung neu zu bewerten, weil die Zitationen, die Zeitschriftenrankings wo ich publiziert habe, sind bei Berufungsverfahren überall, bei Forschungsbewertungen generell ist das immer das Nonplusultra. Und wenn man diese Leistungsmessung einfach mit anderen Kriterien erweitert. Einfach ist das falsche Wort, weil das ist genau die Herausforderung, diese Versuche gibt es schon länger und da müssen wir einfach ansetzen. Weil wenn die Leistung nicht mehr nur über Zitationen und die hochgerankten Zeitschriften läuft, sondern zum Beispiel auch, was gerade für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sehr, sehr wichtig ist, die wissenschaftspolitische Beratung, dieser Wissenstransfer in die Gesellschaft. Wenn auch sowas eine Anerkennung findet, dann hätten wir, da hätten wir natürlich einen ganz anderen Anreiz, auch solche Dinge zu tun. Wenn, und wir haben auch schon bei uns in der einen Forschungsgruppe Web Science wurden auch schon Untersuchungen gemacht in diesem zu diesem Thema Altmetrics. Wie ist eigentlich der wissenschaftliche Diskurs in den sozialen Medien und was könnte man da mit rausziehen? Also alternative Metriken, um halt das aufzubrechen. Es hat noch nicht hundertprozentig, also es hat überhaupt noch nicht funktioniert. Aber es gibt jetzt wieder verstärkt Bestrebungen dahin, das auch zu tun. Und nur so geht es.
[00:31:00] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ja, gut, das ist doch vielleicht ein etwas leicht positives Ende.
[00:31:05]
[beide lachen]
[00:31:05] Doreen Siegfried:
Vielen Dank. Vielen Dank auch an unser Kieler Publikum. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Lassen Sie uns gerne Feedback da. Entweder jetzt gleich oder via E-Mail Twitter, LinkedIn. Abonnieren Sie uns fleißig auf iTunes, Spotify, überall wo man Podcasts findet. Und ja, vielen Dank. Ich freue mich aufs nächste Mal.