Folge 22: Desinformationsverhalten verstehen

The Future is Open Science – Folge 22: Desinformationsverhalten verstehen

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Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Dr. Maria Henkel
Postdoc Web Science, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Alumna Open Science Fellowship, Wikimedia Deutschland

[00:00:03] Doreen Siegfried:
Willkommen bei “The Future is Open Science”, dem Podcast der ZBW. Hier verraten Ihnen interessante Menschen aus dem Wissenschaftsbetrieb, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir tauchen ein, in die Tiefen der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und verraten Ihnen handfeste Tipps und Tricks zu Open Science in der Praxis. Ich bin Doreen Siegfried und freue mich sehr, Host dieses Podcast zu sein.

[00:00:32] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future is Open Science“, dem Podcast der ZBW. Heute zu Gast ist die Informationswissenschaftlerin Dr. Maria Henkel. Maria ist Postdoc im Forschungsbereich Web Science der ZBW, sie ist Alumna des Open Science Fellowship bei Wikimedia Deutschland und momentan forscht sie in einem BMBF-Projekt gemeinsam mit ihrem Team zum Thema „Desinformationsverhalten verstehen“. Herzlich willkommen Maria!

[00:01:03] Maria Henkel:
Ja, vielen Dank und auch danke für die Einladung.

[00:01:07] Doreen Siegfried:
Sehr gerne. Und über Desinformationsverhalten wollen wir uns heute auch unterhalten. Maria, was genau ist Desinformation und wie unterscheidet es sich von beispielsweise Fehlinformation oder Lüge?

[00:01:22] Maria Henkel:
Desinformationen sind irreführende oder falsche Informationen, die absichtlich verbreitet werden und das mit dem Ziel, uns zu täuschen oder zu beeinflussen. Und ja, das können eben halt nicht nur Nachrichten im Internet sein oder gesprochene Nachrichten, sondern auch Bilder, Videos oder Audioaufnahmen. Das gefährliche an Desinformationen ist, dass sie wirklich Schaden anrichten können, je nachdem. Und das nicht nur für Individuen, sondern auch ganze Gemeinschaften, Organisationen oder an einem ganzen Land.

[00:01:56] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:01:57] Maria Henkel:
Und Fehlinformationen, die du erwähnt hast – ich kenne sie auch als Missinformationen. Und ich merke mir immer: Missinformation ist ein Missgeschick, da unterstellen wir eben halt nicht, dass das absichtlich passiert ist. Das können Fehler sein oder dass jemand wegen einer reißerischen Überschrift direkt davon ausgegangen ist, dass das wirklich so ist, auch wenn es total übertrieben wurde – oder Satire. Und genau, das ist eben auch der Unterschied. Es sind beides eigentlich, sage ich mal, Lügen oder haben keinen Wahrheitsanspruch mehr am Ende. Aber bei der Desinformation ist es wirklich Absicht. Bei der Fehlinformation nicht.

[00:02:35] Doreen Siegfried:
Okay, alles klar. Ja, vielen Dank. Welche Rolle spielen bei der Definition von Desinformation Macht, Manipulation und Propaganda?

[00:02:45] Maria Henkel:
Puh ja. Propaganda und Macht, das sind ziemlich große Begriffe und ich muss auch sagen, zwischen Propaganda und Desinformation, die Grenzen verschwimmen. Ich habe noch mal ein bisschen recherchiert und ich habe, ehrlich gesagt, nicht feststellen können, dass jemand bis jetzt den Dreh raus hat und gesagt hat „Okay, das ist Propaganda und das ist Desinformation. Und wir können das auf jeden Fall ganz klar voneinander unterscheiden.“ Oft werden die Begriffe auch einfach als Synonyme benutzt.

[00:03:16] Doreen Siegfried:
Okay.

[00:03:16] Maria Henkel:
Was ich sagen kann ist, dass Desinformation jünger ist als Begriff und weltweit auch viel seltener benutzt wird. Jetzt aber in den letzten Jahren einen großen Schub erlebt hat.

[00:03:27] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:03:27] Maria Henkel:
Und wenn ich das versuche, mal ein bisschen zu unterscheiden, dann würde ich sagen, bei Propaganda, da geht es ja wirklich darum, bestimmte Informationen zu verbreiten, um die eigene politische Idee zu fördern oder vielleicht auch andere Ideale zu untergraben. Und wir wollen bei Propaganda wirklich die Menschen beeinflussen. Wir wollen ihre Meinung ändern und wir können dabei auch wahre Sachen sagen, sind aber meistens dann sehr ja voreingenommen.

[00:03:55] Doreen Siegfried:
Okay.

[00:03:44] Maria Henkel:
Einseitig und wollen uns selbst besser darstellen. Jetzt überlegt man sich mal, aktuell gibt es Desinformationskampagnen, da würde das auch zutreffen. Und von manchen Desinformationskampagnen ist eben halt das genau das Ziel, Propaganda zu verbreiten. Generell würde ich aber sagen, dass Desinformation das Hauptziel hat, die Menschheit zu verwirren, zu verunsichern, vielleicht auch zu demoralisieren und somit auch zu lähmen. Also so ein gewisser Handlungsspielraum wird dann einem genommen, wenn man gar nicht mehr weiß, was stimmt oder nicht so handelt, wie es eigentlich für das Gemeinwohl gut wäre. Und dadurch gewinnen nämlich auch extremische Gruppen dann halt sehr an Macht.

[00:04:44] Doreen Siegfried:
Ja, ja, verstehe.

[00:04:46] Maria Henkel:
Aber man merkt schon, das Ganze kann miteinander verschwimmen. Und ich denke, in Zukunft wird sich vielleicht noch herauskristallisieren, wie wir die Begriffe in welchem Zusammenhang am besten nutzen sollten.

[00:04:56] Doreen Siegfried:
Ja, okay.

[00:04:58] Maria Henkel:
Du hattest auch noch das Wort Macht erwähnt.

[00:05:03] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:05:03] Maria Henkel:
Und ich würde sagen, Desinformation hat auch immer mit Macht und bestehenden Machtverhältnissen zu tun. Da kommen wir jetzt schon in eine ganz andere Richtung. Weil wenn ich eine Desinformationskampagne plane, dann versuche ich ja auch irgendwie bestimmte Ziele zu erreichen, vielleicht finanziellen Profit zu schlagen. Und das ist ganz klar ein Versuch, auch Macht auszuüben, zu bekommen oder zu behalten. Da geht es auch ganz viel um das Thema Ungleichheit, weil ja … Ich weiß nicht, ob allen der Begriff digital divide was sagt? Damit ist die Kluft gemeint zwischen Menschen, die entweder die nötige Infrastruktur und das nötige Wissen haben, um die Informationen zu bekommen, die sie brauchen oder halt nicht. Und da gibt es Communities, die aufgrund historischer Erfahrungen vielleicht auch nicht unbedingt den Regierungen oder öffentlichen Medien trauen. Was ein Beispiel wäre. Aber so oder so ein ungleicher, unfairer Zugang zu den richtigen und wichtigen Informationen, das kann ganz starke Auswirkungen auf unser Leben haben. Und solche Lücken verschärfen sich in Krisenzeiten umso mehr.

[00:06:19] Doreen Siegfried:
Ja. Ja, spannend. Jetzt untersuchst du ja gerade zusammen mit Wissenschaftler:innen aus Berlin, wie sich sogenannte wissenschaftlich anmutende Informationen verbreiten. Was sind jetzt wissenschaftlich anmutende Informationen? [lacht]

[00:06:39] Maria Henkel:
Ja, okay. Vielleicht muss man erst mal voraussetzen, dass Wissenschaftlichkeit auch oftmals mit Glaubwürdigkeit einhergeht. Und das ist tatsächlich auch bei vielen Menschen so. Wenn etwas wissenschaftlich erscheint, dann tendiere ich eher dazu, das auch zu glauben. Und das kann man missbrauchen.

[00:06:55] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:06:56] Maria Henkel:
In unserer Studie, wo wir uns ja auch vermehrt auf wissenschaftlich anmutende Gesundheitsinformationen konzentrieren, da können wir uns das vorstellen, dass es in beide Richtungen geht. Entweder versucht man, seine Aussagen wissenschaftlich scheinen zu lassen…

[00:07:14] Doreen Siegfried:
Und wie macht man das?

[00:07:16] Maria Henkel:
…damit, das andere glauben. Indem man zum Beispiel Sachen da reinspickt, sag ich mal. Also ich nehme meinen Text, ich möchte die Leute von irgendwas überzeugen oder ich möchte was verkaufen. Und dann sage ich: „Dieser berühmte Wissenschaftler und diese berühmte Wissenschaftlerin haben herausgefunden, dass dieser Extrakt Wunder wirkt und das ist wissenschaftlich bewiesen.“ Ich kann vielleicht auch versuchen, die Sprache zu heben. Also, dass es viel komplizierter klingt, dass Leute sich denken: Ach, das muss ja stimmen. Das ist ja total wichtig und kompliziert. Oder es funktioniert auch über ganz einfache Sachen, dass ich einfach das Format von meinem Text ändere, das so aussehen lasse wie einen wissenschaftlichen Artikel, dass ich ganz viele Formeln oder Tabellen und Diagramme hinzufüge oder sage, das hat die WHO entschieden, auch wenn das gar nicht stimmt. Und dann, ja, habe ich dann auf einmal eine wissenschaftlich anmutende Desinformation.

[00:08:10] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay.

[00:08:10] Maria Henkel:
Ja. Andersherum kann es natürlich auch sein, dass wir eine wissenschaftliche Publikation haben, die ganz einfach das berichtet, was rausgefunden wurde und dann über die Weitergabe über verschiedene Kanäle – weitererzählen oder berichten, immer wieder in Medien oder persönlich – wird diese einfach verzerrt. Ich habe das so verstanden, dann gebe ich das weiter, dann jemand anderes erfindet noch was dazu oder macht daraus eine reißerische Überschrift.

[00:08:38] Doreen Siegfried:
Oder zieht sich nur einen Aspekt raus oder ähnliches. Ja.

[00:08:40] Maria Henkel:
Genau. Und das kennt man ja, wie mit der stillen Post. Am Ende kommt da manchmal was raus, was fast gar nichts mehr mit dem Anfang zu tun hat.

[00:08:47] Doreen Siegfried:
Ja, okay, ja, verstehe. Wenn ich mir jetzt angucke, ihr habt ja gerade erst angefangen, das muss man ja auch jetzt mal dazu sagen. Aber was wissen wir denn jetzt schon über die Verbreitung von Gesundheitsinformationen? Also gibt es da irgendwie Strukturen, gibt es da Muster wie sowas vonstattengeht?

[00:09:09] Maria Henkel:
Wenn du Gesundheitsdesinformationen meinst, ich finde da die natürliche Reaktion bei ganz vielen Menschen war in den letzten Jahren: Wie kann sich das überhaupt so verbreiten? Also warum teilen das so viele Leute? Das sieht man doch, dass das nicht stimmt, oder so. Und ja, ein paar Ansätze und Erklärungen gibt es da auf jeden Fall schon. Zum Beispiel, dass ja umso häufiger wir eine Information sehen, lesen, hören, dass wir dann umso eher auch manchmal denken, dass es stimmt, weil „Das habe ich schon mal irgendwo gehört. Ach ja, dann stimmt das vielleicht.“ Oder oftmals glaubt man auch einfach das, was man gerne hören möchte, auch wenn man vielleicht, wenn man einen Schritt zurückgehen würde und das objektiv betrachtet, das gar nicht so glaubwürdig wirkt.

[00:09:54] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:09:55] Maria Henkel:
Gerade die Verwirrung und Angst in der Pandemie haben dafür gesorgt, dass man ja gerne eine einfache Lösung gehabt hätte. Und wenn die dann jemand anbietet, dann wird die auch geglaubt und angenommen.

[00:10:08] Doreen Siegfried:
Ja, verstehe, die gibt dann einfach Sicherheit, …

[00:10:13] Maria Henkel:
Ja.

[00:10:13] Doreen Siegfried:
…wenn man das irgendwie, wenn das mit dem eigenen Vorwissen, Weltbild zusammenpasst. Ja, okay. Etliche empirische Studien aus der Statistikforschung legen nahe, dass ein nicht ganz unwesentlicher Teil der veröffentlichten Forschungsergebnisse falsch ist, bzw. dass ein statistisch signifikanter Effekt tatsächlich nicht einem wahren Wirkungszusammenhang entspricht. Das ist sozusagen die eine Seite. Auf der anderen Seite sehen wir, dass das Wissenschaftsbarometer, was ja jedes Jahr erhoben wird, von WID festgestellt hat, dass zwar 2/3 der Bevölkerung der Forschung vertrauen, aber immer noch 1/3 so ein bisschen unentschieden ist. Besteht die Gefahr, dass Menschen bald nicht mehr der Wissenschaft glauben?

[00:10:57] Maria Henkel:
Puh, das ist auf jeden Fall eine große Frage. Ich kann nur versuchen, mal ein bisschen davon zu erklären. Und zwar ist es so, klar natürlich, in der Wissenschaft passieren auch Fehler. Und ja, wenn das dann erkannt wird, dann werden zum Beispiel auch wissenschaftliche Publikationen zurückgezogen. Das passiert aber jetzt nicht in so einem großen Maße, dass man, wie manche Titel behaupten, die Hälfte der Wissenschaftsergebnisse in die Tonne kloppen kann. Vor allen Dingen solche empirischen Analysen, die fokussieren sich ganz oft sehr stark auf bestimmte statistische Auswertungen und auf den Faktor Reproduzierbarkeit. Und das ist definitiv ein Punkt, wo wir in der Wissenschaft auch gerade ganz stark dran arbeiten, Studien reproduzierbar zu machen, besser zu beschreiben, was genau gemacht wurde, wie methodisch vorgegangen wurde. Damit, sollte es jemand anders nachmachen, genau das gleiche rauskommt im besten Fall. Aber deine Frage, die hat ja noch ganz viele andere Facetten. Zum Beispiel dass ja, ich glaube, viele Menschen auch nicht, vielleicht nicht ganz exakt verstehen oder so ein Bild davon haben, wie genau Wissenschaft eigentlich funktioniert heutzutage. Nämlich dass wir jetzt nicht eine Maschine haben und dann tun wir eine Frage rein und da kommt dann die Wahrheit raus. Sondern, dass wir eigentlich eher wie Detektiv:innen arbeiten, die immer versuchen, näher an die Wahrheit zu kommen. Immer wieder was Neues ausprobieren, neue Theorien aufstellen und beobachten und schauen: „Okay, das könnte die Lösung sein.“ Aber ja auch bei dieser Detektivarbeit kann es sein, dass man lange von einem Punkt ausgeht und dann später herausfindet: „Ach, so war es ja doch nicht. Wir haben da vielleicht einfach einen Faktor nicht mit eingerechnet“. Und das ist eben halt auch tatsächlich ein hilfreicher Punkt, um einzuschätzen, ob etwas wirklich wissenschaftlich ist. Die meisten Wissenschaftler:innen würden nämlich niemals sagen: „Das ist so. Punkt.“ Sondern die sagen: „Hinweise in unserer Studie deuten darauf hin, dass es so sein könnte.“ Und genau, was du auch angesprochen hast, ist natürlich der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität, was ganz, ganz oft verwechselt oder vertauscht wird. Nämlich, dass nur, weil wir vielleicht zwei verschiedene Sachen beobachten, die scheinbar sich beeinflussen, die aber komplett zufällig auch so passieren könnten und das nicht unbedingt heißt, dass A passiert, weil B vorher war.

[00:13:27] Maria Henkel:
Genau. Und ich glaube, gerade wenn man jetzt Gesundheitsinformationen anschaut, gibt es da ganz viele Beispiele von Studien, die versuchen, unsere Ernährungsweise auf unsere Langlebigkeit abzuleiten. Also zum Beispiel: Leute, die so und so viele Eier essen, leben zehn Jahre länger oder weniger. Und da hat man ja auch schon mitbekommen, da ändert sich das Paradigma dann jedes Mal wieder: Bitte viele Eier essen, bitte wenig Eier essen. Kaffee ist schlecht, Kaffee ist gut. Und ja, das kommt halt daher, dass man meistens nur die Korrelation misst und nicht die Kausalität. Und dass wir auch als Wissenschaftler:innen besser darin werden wollen und müssen, das klar zu machen und vielleicht auch besser zu hinterfragen.

[00:14:14] Doreen Siegfried:
Und das vielleicht auch noch mal ganz deutlich zu kommunizieren.

[00:14:17] Maria Henkel:
Ja, genau.

[00:14:19] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Wer hilft denn beim Einordnen von wissenschaftlichen Fachinformationen? Also wenn ich jetzt tatsächlich eine Gesundheitsinformation vorfinde, die mir sagt: „Zwei Eier täglich ist super, [beide lachen] dann wirst du 95.“ Also sind das, sind das Fachmedien, sind das Tagesmedien? Also wie, wie kann ich mir da, wie kann ich da zu einer verlässlichen Aussage kommen?

[00:14:47] Maria Henkel:
Ja.

[00:14:48] Doreen Siegfried:
Wer sind gute Unterstützer? Ich kann ja nicht jede einzelne Studie nachrechnen. Dazu bin ich ja gar nicht in der Lage, hab nicht die Ausbildung dazu und so weiter.

[00:14:59] Maria Henkel:
Also grundsätzlich, im Alltag liest man wahrscheinlich jetzt nicht so viele Publikationen und gräbt sich da durch den Dschungel, um dann mal rauszufinden, wie viele Eier man jetzt zum Frühstück essen soll. Und deswegen spielen natürlich die Medien und andere Kanäle eine ganz große Rolle. Und da ist es natürlich wichtig, Kanäle zu finden, denen man trauen kann, die diesen Job für einen machen, die wissenschaftlichen Ergebnisse dann in Alltagsempfehlungen zu übersetzen. Bei Gesundheitsinformationen gibt es da manchmal ganz, ganz einfache Lösungen. Zum Beispiel, dass man die Ärztin oder den Apotheker fragt. Also die im besten Falle einen mit bestem Wissen und Gewissen beraten. Und dass man vor allen Dingen auch immer mit Vorsicht genießt, wenn man eigene Recherchen im Internet direkt auf die eigene Gesundheit appliziert. Weil da besteht ja definitiv ein Risiko. In der Pandemie haben wir gesehen, da gab es Empfehlungen, die waren teilweise sehr gesundheitsschädlich und wurden trotzdem befolgt. Und ja, da gibt es inzwischen zumindest einige Gegenbewegungen, wo man sich auf jeden Fall dranhalten kann. Was ich auf jeden Fall empfehlen würde, wäre immer den öffentlichen Kanälen zu folgen. Also auch unsere Regierung und verschiedene andere Entitäten haben ganz viel sich angestrengt um Podcasts und Videos und auch Berichte zusammenzufassen und da noch mal zu erklären, was vielleicht der beste Weg ist in der aktuellen Situation. Es gibt aber auch so Seiten wie zum Beispiel das CORRECTIV, die nehmen bestimmte Fehlmeldungen oder auch Informationen, heißdiskutierte aktuelle Fragen und forschen dann noch mal ganz genau nach, was stimmt da jetzt und was nicht?

[00:16:51] Doreen Siegfried:
Ah ja, okay. Das ist ja vielleicht auch nochmal ein Tipp für alle zum mal reinschauen. Okay. Und welche Rolle spielt die zunehmende Medialisierung der Wissenschaft im Kontext von Desinformationen? Also Wissenschaft guckt ja auch häufig, gibt es ja auch Untersuchung zu, was sind so richtig gute Themen, die sich verkaufen lassen, die sich gut weitererzählen lassen? Ja, wie geht das Zusammenspiel da gerade? Was beobachtest du da?

[00:17:20] Maria Henkel:
Also grundsätzlich erstmal von unserer Seite, den Wissenschaftler:innen aus, wir möchten ja, dass viel mehr über unsere Forschung geredet wird und dass eben alle Menschen daran auch teilhaben oder vielleicht sogar mitwirken können. Und wir müssen gleichzeitig aber auch daran arbeiten, besser das zu kommunizieren, unsere Ergebnisse und Erkenntnisse ja rauszubringen in die Welt, nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch über andere Kanäle. Ich weiß auch, dass in vielen Forschungsanträgen inzwischen das Bestandteil ist der Planung. Es ist aber auch nicht immer leicht. Und andererseits haben wir da Journalist:innen, die natürlich vielleicht auch nach ganz anderen Regeln arbeiten als das, was wir machen. Vorsichtig berichten, hinterfragen und sich annähern. Und das hört sich natürlich dann in der Zeitung nicht so gut an: „Forscher:innen haben vielleicht einen Ansatz zu einer Lösung für X gefunden.“ Ich glaube, da muss auf jeden Fall weiterhin Dialog geführt werden zwischen Wissenschaft, Journalismus und öffentlichem Publikum, wie wir am besten diese Kommunikationswege in beide Richtungen, nicht nur in eine Richtung, in Zukunft händeln können.

[00:18:39] Doreen Siegfried:
Ja ja, das ist ein spannendes Thema. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass ja Universitäten, Forschungseinrichtungen ja auch alle miteinander im Wettbewerb stehen. Und da ist es ja schon manchmal wichtig, welche Universität schickt jetzt Expert:innen in Talkshows oder wer gibt ein ZEIT-Interview und so weiter. Und es wird ja auch gern gesehen von Seiten der Geldgeber, dass genau Forschende sich präsentieren. Und in diesem Wettbewerb um Sichtbarkeit in den Medien, die auf der einen Seite natürlich positive Effekte hat, kann es ja schon mal dazu kommen, dass irgendjemand sozusagen im Sinne der Sichtbarkeit oder in der Hoffnung der erhöhten Sichtbarkeit da vielleicht eigene Forschungsergebnisse vielleicht etwas zu sehr komplexitätsreduziert vorstellt. Also insofern ja, Dialog ist sicherlich eine gute Sache. Oder siehst du das gerade unkritisch, wie die Situation ist?

[00:19:43] Maria Henkel:
Nein.

[00:19:44]
[beide lachen]

[00:19:45] Maria Henkel:
Ja, das ist auch ein sehr kompliziertes Gefüge aus verschiedenen Akteur:innen. Es gibt da auch ganz viele verschiedene Meinungen. Es wurde ja schon öfter, jetzt gerade in Hinblick auf die Pandemie, die Frage gestellt: Ist das überhaupt der Job für Wissenschaftler:innen? Also da die ganze Zeit zu kommunizieren, vielleicht auch zu korrigieren, Superstars in Social Media zu sein. Weil das ist ja, ich sage mal, auf dem Berg der anderen Verantwortlichkeiten auch noch ein ganz neuer, ein ganz neuer Aufgabenbereich. Und andererseits gibt es dann auch die Meinung zu sagen: „Ja, ne. Die Wissenschaft, die ballert da die Fakten raus oder was sie auch berichtet. Und den Rest müssen jetzt die Journalistinnen regeln. Die müssen das bewerten.“ Und dann sagen die Journalistinnen: „Ne, das ist nicht unser Job. Wir fassen das nur zusammen.“ Ich glaube nicht, dass ich jetzt gerade die Lösung habe für dich. Tut mir leid. [lacht]

[00:20:44] Doreen Siegfried:
Ja, es ist ein Riesenproblem. Es wird auch innerhalb der Wissenschaftskommunikation wird das Thema heiß diskutiert, also ob beispielsweise die Pressestellen der Universitäten oder anderer Forschungseinrichtungen, ob die überhaupt die Aufgabe haben sollten in Zukunft, Wissenschaft aus ihrer eigenen Einrichtung nach außen zu tragen. Oder ob es dafür nicht eher, ob dafür nicht eher andere Funktionen im Sinne von Outreach zuständig sein sollten. Also es ist ein Thema, was auch sozusagen von Kommunikatorenseite stark diskutiert wird. Aber zurück zu deiner Forschung. Kann dann aus Wissenschaft, du hattest ja vorhin schon gesagt, manchmal werden Ergebnisse im Laufe des Prozesses vom Forschungsschreibtisch bis hin dann am Ende auf das Smartphone des Lesenden verändert. Wie kann denn aus Wissenschaft Desinformation werden? Und wer ist denn schuld, kann man überhaupt diese Schuldfrage stellen?

[00:21:56] Maria Henkel:
Ja, nein.

[00:21:58]
[beide lachen]

[00:21:58] Maria Henkel:
Die Schuldfrage, finde ich, ist sehr ähnlich wie das, was wir gerade diskutiert haben. Weil eigentlich gibt es da ja niemanden per se, der oder die sagt: „Okay, ich nehme das jetzt, pack das in einen Topf und mach da Desinformation draus.“ Aber um auf deine erste Frage einzugehen ja, natürlich, das kann passieren, dass eine Studie falsch interpretiert wird oder dass vielleicht auch, wie du gerade gesagt hast, eine Forschungsperson dann sagt: „Okay, ich muss das mal ein bisschen pushen, ich mach da jetzt erst mal einen reißerischen Titel draus und oder übertreib ein bisschen“ oder das irgendwo, es muss ja nur irgendwo in der Kommunikationskette jemand sein, wo was weggelassen wird, hinzugefügt. Und das ist tatsächlich auch ein ganz großer Aspekt von unserem Forschungsprojekt, dass wir gerne ganz viel mehr darüber rausfinden möchten, wie ist denn jetzt genau diese …

[00:22:48] Doreen Siegfried:
Ah, ja.

[00:22:48] Maria Henkel:
… Kette. Wie sieht die aus? Was sind da die einzelnen Kettenstücke. Und ja, um einfach erst mal ein bisschen mehr rauszufinden, damit wir dann sagen können, okay, vielleicht gibt es ja bestimmte Knackpunkte, wo, wo man eingreifen könnte oder wo man vielleicht auch verhindern könnte, dass das passiert.

[00:23:04] Doreen Siegfried:
Und habe ich denn als Wissenschaftler:in überhaupt die Chance, mich davor zu schützen, dass aus meinen Erkenntnissen Fake News gemacht werden?

[00:23:14] Maria Henkel:
Das ist auf jeden Fall sehr lobenswert dieses…

[00:23:16] Doreen Siegfried:
Wenn man es wollte. [beide lachen]

[00:23:18] Maria Henkel:
… dieses Streben. Wie immer gibt es keine Garantie. Ich kann mir halt vorstellen, dass es hilft, generell so Kommunikationsschwellen abzubauen, dass man eben nicht nur in seiner kleinen Wissenschaftsbubble kommuniziert, sondern eben halt auch versucht, auf anderen Kanälen mal zu berichten: „Das ist meine Forschung. Darum ist es wichtig und was bringt das euch eigentlich.“ Und umso einfacher man das kommuniziert, umso einfacher ist es vielleicht auch, das zu verstehen, ohne es zu verdrehen. Und ja, gleichzeitig gehören natürlich, kann man das nicht auf den Schultern von jedem einzelnen sitzen lassen. Ich denke, es wäre auch sinnvoll, einfach generell mehr zu informieren. Wie funktioniert eigentlich Wissenschaft und vielleicht auch offizielle Kanäle zu etablieren: Wie du vielleicht vorhin schon angedeutet hattest, dass es vielleicht sogar irgendwann einen ordentlichen Ablauf gibt, wie man einheitlich berichten kann oder wie sowas gesichert werden kann. Ich denke, es sollte auf jeden Fall schon helfen, wenn man sich von reißerischen Überschriften fernhält, auch wenn es manchmal verlockend sein kann. Man hat es aber letztendlich nicht immer selbst in der Hand.

[00:24:40] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Welche Herausforderung im Kontext Desinformationen, also ich sage mal Stichwort KI, Deep Fake werden denn noch auf uns zukommen? Und auch hier die Frage: Wie kann man sich da wappnen?

[00:24:57] Maria Henkel:
Ja, KI und Deep Fake. Ich würde sagen, das kommt nicht nur auf uns zu, das ist…

[00:25:01] Doreen Siegfried:
…ist schon da.

[00:25:01] Maria Henkel:
…schon da. Und ja, da kommt auch der Begriff der synthetischen Medien auf. Also wir können inzwischen schon Videos kreieren, wo vielleicht auch prominente Politiker:innen Sachen tun und sagen, was nie wirklich passiert ist. Und ja, das ist natürlich auch richtig, richtig, gefährlich und relevant für Forschung und Behandlung von Desinformation. Was ich dazu auch noch erwähnen würde, wenn Bots – also schon seit einigen Jahren werden nachweislich Bots benutzt, um Social Media-Diskussionen, Meinungsbilder zu beeinflussen. Auch hier, also es muss auf jeden Fall ja die Wahrnehmung überhaupt erst mal stattfinden. Ich glaube, vielen Leuten ist noch nicht bewusst, dass es das schon gibt und dass es denen auch im Alltag im Internet über den Weg laufen könnte. Ich glaube schon allein zu wissen, dass es das gibt und nicht sofort alles für bare Münze zu nehmen, ist der erste Schritt. Längerfristig brauchen wir natürlich Gesetzgebungen, die das auch mit einbeziehen, dass so was möglich ist. Und nicht nur Individuen, sondern auch die Politik und die großen Plattformen müssen dabei mitmachen.

[00:26:26] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Ja, gut. Letzte Frage, Maria. Also laut Statista haben im Jahr 2020, also im ersten Coronajahr, 70 % der deutschen Bevölkerung im Alter von 16 bis 74 im Internet nach gesundheitsrelevanten Informationen gesucht. Das ist also ja nicht verwunderlich, wahrscheinlich war ich auch dabei. Gesundheitsinformationen im Netz zu suchen ist also für viele Menschen längst eine Selbstverständlichkeit. Worauf sollte man achten, wenn man auf angebliche wissenschaftliche Studien trifft? Also du hast ja gesagt, man kann es kaum erkennen, Berichte streuen halt entsprechende Referenzen ein, es werden Grafiken mitverwendet. Aber wie gehe ich da als Nutzer/Nutzerin damit um?

[00:27:17] Maria Henkel:
Also erst mal: tolle Statistik. Ich finde, das zeigt auch nochmal, dass Gesundheitsinformationen uns alle betreffen. Und auch vor der Pandemie. Und dass deswegen auch wichtig ist, dass wir das Thema mehr behandeln. Und ja, zu deiner Frage: meist lesen wir nicht direkt den wissenschaftlichen Artikel, sondern finden was auf einer Webseite, auf einem Blog oder auf Social Media, bekommen was zugeschickt. Und der allerallererste Tipp von mir wäre jetzt nicht direkt einfach weiterleiten, nur, weil der Titel relevant scheint oder weil das irgendwie Emotionen in mir auflöst, was übrigens einer der Punkte ist.

[00:27:58] Doreen Siegfried:
Ah, ja.

[00:28:03] Maria Henkel:
Also oftmals sagt man eben halt, dass gerade so Desinformationsartikel, dass die versuchen, in uns eine Emotion hervorzurufen, uns wütend zu machen oder Panik aufzubringen und dann geht das ganz schnell. Mit einem Klick teile ich das an alle meine Freund:innen oder an meine Familie und dann geht das immer so weiter exponentiell. Deswegen kurz innehalten, vielleicht vorher erstmal genauer anschauen. Also ich glaube, viele Leute lesen nämlich auch gar nicht das ganze Stück, sondern lesen vielleicht den ersten Abschnitt, denken sich: „Das ist total wichtig. Das müssen wir auf jeden Fall teilen.“ Und dann gibt es verschiedene Punkte, die man da beachten kann. Was mir aufgefallen ist, weil ich hatte jetzt auch in den letzten Jahren, dass öfter mal Freunde oder Familie auf mich zugekommen sind und gesagt haben „Hier guck mal, stimmt das oder ist das wirklich so? Das ist ja richtig schlimm.“ Und dann ja kann man versuchen, auch selber mal Desinformationsdetektiv:in zu werden und schauen, wer ist denn überhaupt Autor:in von diesem Stück oder wer steht dahinter? Und oftmals gibt es dann nämlich niemanden, der sich dazu bekennt. Also da steht dann nicht direkt, wer es genau geschrieben hat oder verfasst hat. Und das ist für mich schon erstmal ein Warnsignal. Wenn es von offiziellen Quellen kommt, dann steht da meistens, wer hat es geschrieben und wann. Dann kann man sich als nächstes auch fragen, warum wurde dieses Schriftstück verfasst oder warum wird das hier gerade geteilt? Oftmals wollen die Leute was verkaufen oder solche Blogs, fragwürdigen Blogs, die bestimmte Ideale fördern wollen, die schreiben dann „Wir sind unabhängig. Bitte spendet für uns.“ Das ist also, gleichzeitig wird kein Name genannt. Da würde ich misstrauisch werden. Um das Ganze mal ein bisschen zu beschleunigen, was, was immer sofort und schnell geht, ist natürlich erstmal nachzusuchen in der Suchmaschine, nach den Sachen, die da gesagt werden, oder vielleicht auch nach den Personen, die da genannt werden. Wenn ich nicht sofort über große bekannte Kanäle die Bestätigung finde, dann sollte ich mich auch fragen: Also wenn niemand darüber redet, kann das dann wirklich wahr sein? Und umgekehrt kann man auch zum Beispiel eine Bildersuche machen, wenn ein Bild gepostet wird, als Beweis für irgendeine Aussage, kann man gucken, ist das Bild vielleicht woanders aus dem Zusammenhang gerissen? Ja, dann hatte ich ja gerade schon erwähnt, dass es ja öffentlich-rechtliche Medien oder unabhängige Organisationen gibt, die versuchen auch immer wieder solche großen Themen aufzuarbeiten und wo man dann oftmals auch wirklich tolle und neutrale Berichte lesen kann über bestimmte Falschmeldungen, die sich im Internet verbreiten. Am Ende kann man natürlich auch dann selber mal die Publikation lesen und gucken, was steht denn da wirklich drin. Das, ich will aber auch nicht unrealistisch sein [lacht] und sagen „Du musst da jetzt selber alle wissenschaftlichen Artikel lesen“, weil das so viel Zeit hat am Ende fast keiner.

[00:31:10] Doreen Siegfried:
Ich glaube, gerade im Gesundheitsbereich gibt es ja wahrscheinlich Unmengen [lacht] zu allen möglichen Nahrungsmitteln allein schon.

[00:31:18] Maria Henkel:
Was ich bisher gelernt habe für mich selbst ist, wir sollten nicht unterschätzen, wie gewieft inzwischen manche Akteure sind und wie gut und wie echt das teilweise aussehen kann und wie seriös, auch wenn es das nicht ist. Und wir sollten vielleicht auch nicht überschätzen, wie schlau und objektiv wir selbst manchmal sind.

[00:31:39] Doreen Siegfried:
Okay, na gut, aber du hast ja schon mal so ein paar Hinweise gegeben. Erst mal gucken, was ist eigentlich die Quelle, wer ist der Absender, welche Verkaufsinteressen oder anderen Interessen hat dieser Absender. Und ansonsten checken, wer das sonst noch irgendwie verteilt hat die Information. Ja, super. Maria, wir hören uns wieder. Also ich sage erst mal vielen Dank.

[00:32:06]
[beide lachen]

[00:32:06] Doreen Siegfried:
Ich bin jetzt sehr gespannt auf die weiteren Forschungsergebnisse und wir hören uns wieder, wenn erste Zwischenergebnisse vorliegen. Ich würde mich zumindest sehr freuen.

[00:32:14] Maria Henkel:
Sehr gerne.

[00:32:15] Doreen Siegfried:
Wenn du dann erzählst, was sozusagen rausgekommen ist, denn wir haben hier schließlich ein hochspannendes Thema zu verfolgen. Also vielen Dank. Vielen Dank auch an all unsere Zuhörer:innen. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Lassen Sie uns wie immer gerne Feedback da auf allen Wegen, die ihn einfallen. Sei es per Email oder im Kommentar. Und Sie finden diesen Podcast überall da, wo man Podcast findet. Auf Spotify, auf iTunes und so weiter. Ich verabschiede mich für heute und bis zum nächsten Mal.