Folge 1: Die Replikationsstudie
The Future is Open Science – Folge 1: Die Replikationsstudie
Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Dr. Martina Grunow
Managing Editor des Online Journals IREE, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
[00:02] Doreen Siegfried:
Willkommen bei „The Future is Open Science“ – dem Podcast der ZBW. Hier verraten Ihnen interessante Menschen aus dem Wissenschaftsbetrieb, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir tauchen ein in die Tiefen der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und verraten Ihnen handfeste Tipps und Tricks zu Open Science in der Praxis. Ich bin Doreen Siegfried und freue mich sehr, Host dieses Podcasts zu sein.
[00:32] Doreen Siegfried:
Willkommen zur ersten Folge unseres neuen Podcast „The Future is Open Science“. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich begrüße in unserem kleinen Studio hier heute Dr. Martina Grunow. Martina Grunow ist hier bei uns in der ZBW Managing Editor des Online Journals IREE. IREE ist ein Replikationsjournal für empirische Wirtschaftsforschung. Und deshalb unterhalte ich mich heute mit ihr über Sinn und Unsinn von Replikationsstudien.
[01:02] Doreen Siegfried:
Herzlich willkommen Martina.
[01:05] Martina Grunow:
Danke schön.
[01:07] Doreen Siegfried:
Martina, was sind überhaupt Replikationsstudien? Kannst Du das mal erklären?
[01:14] Martina Grunow:
Ganz grob gesagt, sind Replikationsstudien erst mal Wiederholungen von empirischen Studien. Das heißt, mit einer Replikationsstudie versucht man grundsätzlich, das Ergebnis von einer Studie zu wiederholen, noch mal zu finden. Wenn man mit Daten arbeitet, da gibt es ja eine ganze Reihe von Stolpersteinen, die einfach Fehler in den Analysen bedeuten können oder dann eben verzerrte Ergebnisse bedeuten können. Selbst wenn man ganz sorgfältig mit Daten arbeitet, ist man gar nicht in der Lage, immer alle möglichen Fehlerquellen auch zu umgehen. Das kann schon da anfangen, bei den Rohdaten, die man als Wissenschaftler geliefert bekommt, dass da schon Fehler drin sind, die man unter Umständen gar nicht erfassen kann. Dass die Stichprobe, die man sich anguckt, gar nicht repräsentativ ist für die Gruppe, die man eigentlich analysieren möchte oder die man betrachten möchte, für die man Ergebnisse herausfinden möchte. Dann kann in der eigentlichen Arbeit mit den Daten, also wenn man seine eigene Analyse macht, in dem man sie programmiert, in dem man die Ergebnisse interpretiert, können schlicht und einfach Fehler passieren.
[02:20] Martina Grunow:
Und Replikationsstudien sind dafür gedacht, genau diesen Analyseprozess noch mal zu überprüfen und noch mal zu wiederholen. Und eben zu schauen, ob diese Ergebnisse, die in der Originalstudie gefunden worden sind, ein zweites Mal oder ein drittes oder viertes Mal auch so zu finden sind. Und je nach dem, was man genau betrachten möchte, gibt es dann eben unterschiedliche Arten von Replikationen. Das fängt an, bei so einer relativ – man stellt es sich zumindest einfach vor – einer reinen Reproduktion. Da geht es darum, dass man mit exakt den gleichen Daten, die in der Originalstudie verwendet worden sind, dem sogenannten Analysedatensatz, und exakt der gleichen Programmierung für die Analyse versucht, wirklich die Ergebnisse zu duplizieren, also exakt die gleichen Ergebnisse noch mal wiederherzustellen. Und das kann überraschend sein, wie oft das nicht funktioniert.
[03:08] Doreen Siegfried:
Ach so. Okay.
[03:09] Martina Grunow:
Und das kann eben genau daran liegen, an solchen Fehlern, die in der Analyse passieren, die eben einfach passieren, die in so einem wissenschaftlichen Prozess mal auftauchen. Das kann aber auch daran liegen, dass das nicht funktioniert, wenn die Programmierung zum Beispiel gar nicht zur Verfügung steht oder der Original-Analysedatensatz nicht zur Verfügung steht.
[03:25] Martina Grunow:
Dann gibt es aber auch noch so weitergefasste Replikationsstudien, die dann darauf abzielen, zu überprüfen, ob Ergebnisse entweder robust oder verallgemeinerbar sind. Und robust bedeutet in dem Fall, dass wir überprüfen wollen, ob die Ergebnisse denn nur unter exakt diesen Umständen, unter denen die Ergebnisse in der Originalstudie zustande gekommen sind, auch so zu finden sind oder ob man da auch leichte Modifikationen, zum Beispiel in der Analysemethode, vornehmen kann und diese Ergebnisse dann qualitativ immer noch so zu finden sind.
[03:56] Doreen Siegfried:
Ah ja.
[03:57] Martina Grunow:
Und das andere Thema der Verallgemeinerbarkeit ist ein ganz Wichtiges. Wir betrachten ja in der Regel immer nur eine gewisse Stichprobe, zum Beispiel von Personen oder in der Industrie oder von Ländern oder auch nur einen gewissen Zeitraum. Und mit der Verallgemeinerbarkeit wollen wir überprüfen, ob die Ergebnisse, die dann gefunden worden sind für diese genaue Stichprobe, vielleicht auch auf eine größere vergleichbare Gruppe übertragbar sind. Und da geht es dann ganz stark um die Frage, können wir denn diese Ergebnisse noch weiter transportieren und können wir die Erkenntnisse, die wir gewinnen, auf andere Gruppen auch übertragen? Und dann geht es schon in relativ starke Richtung von einer evidenzbasierten Politikberatung zum Beispiel, zumindest in den Wirtschaftswissenschaften.
[04:34] Doreen Siegfried:
Okay. Und das heißt, wenn ich dann sozusagen die Stichprobe vergrößere und mal angenommen, ich habe jetzt irgendwie Bürgerinnen und Bürger in deutschen Haushalten befragt und jetzt interessiert mich aber wie ist das in Europa und ich würde diesen Datensatz sozusagen versuchen zu erweitern, das ist dann aber schon keine richtige Replikationsstudie mehr?
[04:57] Martina Grunow:
Doch. Das könnte man auch noch unter eine Replikationsstudie fassen, solange du die Methodik exakt so lässt, wie es in der Originalstudie oder in der Studie für Deutschland durchgeführt worden ist. Also wir verändern in einer Replikationsstudie im Prinzip immer nur an einer Stelle, entweder die Datengrundlage oder die Methodik, damit wir dann auch wissen, wo Veränderungen zu verorten sind, wenn sie in den Ergebnissen vorkommen. Aber so was könnte zum Beispiel ein Thema für eine Replikationsstudie sein, dass wir eine Politikmaßnahme für Deutschland evaluiert haben und uns fragen, ob das auch im europäischen Kontext, zum Beispiel auf EU-Ebene, genauso funktionieren würde.
[05:30] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Alles klar. Also Wiederholungsstudien, mehr oder weniger, wie wir gerade gelernt haben. Du bist ja jetzt zuständig für das Online Journal IREE. Das ist ein Replikationsjournal. Was genau ist jetzt ein Replikationsjournal?
[05:52] Martina Grunow:
Ein Replikationsjournal ist erst mal eine Fachzeitschrift für Replikationsstudien. Das heißt, Wissenschaftler, die Replikationen durchgeführt haben, brauchen irgendwo eine Möglichkeit, diese Replikationsstudien auch zu veröffentlichen, sonst erblicken sie irgendwie nicht das Licht der Welt und werden nicht wahrgenommen. Und ein Replikationsjournal ist genau der Ort, wo Wissenschaftler Replikationsstudien veröffentlichen können.
[06:14] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Alles klar. Und gibt’s da viele von in den Wirtschaftswissenschaften?
[06:20] Martina Grunow:
In den Wirtschaftswissenschaften kann ich ziemlich exakt sagen: nein, da gibt es nicht viele von. Da gibt es genau eins und das ist unser Journal, das International Journal for Reviews in Empirical Economics – IREE.
[06:31] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Aber das heißt, in anderen Fächern gibt‘s so was schon. Oder ist das so eine Nische, so was ganz Besonderes?
[06:40] Martina Grunow:
Also auch in anderen Fächern ist das eher was Besonderes, diese Journals, die explizit für Replikationsstudien zuständig sind. In Wirtschaftswissenschaften ist das da ähnlich wie in der Psychologie oder auch in der Medizin, dass es durchaus Journals gibt oder Fachzeitschriften gibt, die grundsätzlich sagen, dass sie auch Replikationsstudien veröffentlichen würden oder man sie zumindest dort mal einreichen kann, dass sie das nicht ausschließen. Diese Fachzeitschriften publizieren aber sehr, sehr wenige Replikationsstudien nur insgesamt und es macht nur einen Bruchteil ihrer Publikationen aus. Und damit sind diese Replikationsjournals, die sagen, dass sie hauptsächlich für die Publikation von Replikationsstudien da sind und auch gar nicht viel anderes publizieren möchten, außer Replikationsstudien, dann doch sehr speziell. Und dann gibt es eben davon auch nicht viele.
[07:33] Doreen Siegfried:
Ja, verstehe ich. Du hast jetzt gesagt, für die Wirtschaftswissen-schaften ist IREE jetzt das einzige, weltweit, nehme ich an.
[07:44] Martina Grunow:
Genau.
[07:46] Doreen Siegfried:
Wie unterscheidet sich jetzt IREE von anderen Replikationsjournals, sagen wir mal in der Psychologie oder in der Medizin. Oder sind die alle ähnlich gestrickt?
[08:03] Martina Grunow:
Ich glaube, die Frage kann ich besser beantworten, wenn wir uns fragen, wie sich IREE von anderen Fachzeitschriften der Wirtschaftswissenschaften unterscheidet. Zwischen den Fächern, sagen wir Medizin, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften, gibt es im Publikationsmarkt keine großen Überschneidungen. Ich vermute, dass die Replikationsjournals zwischen den Fächern relativ ähnlich laufen, aber dann jeweils doch sehr fachspezifisch, weil sowohl die Art der Arbeit mit Daten, als auch die Publikationswege sind einfach sehr, sehr fachspezifisch. Und deswegen gibt es da eben so wenige Überschneidungen. Wenn wir uns aber fragen, wie sich IREE von anderen Fachzeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften unterscheidet, dann ist das einerseits der große Punkt, den ich gerade gesagt hatte, dass wir grundsätzlich Replikationsstudien veröffentlichen und auch nichts anderes veröffentlichen. Und dann ist sicherlich ein großer Unterschied die Auswahl der Replikationsstudien, die wir veröffentlichen. Während die Fachzeitschriften die sagen, ja irgendwie veröffentlichen wir schon auch ab und an mal eine Replikationsstudie …
[09:12] Doreen Siegfried:
Nehmen wir so mit, ja.
[09:13] Martina Grunow:
Genau. Die replizieren in der Regel solche Fälle, wo irgendwo auf eine mehr oder weniger spektakuläre Weise eine Originalstudie, die vielleicht schon viel Beachtung gefunden hatte, widerlegt wird und Fehler irgendwie aufgezeigt werden. Das führt aber dazu, dass wir sogenannten Publication Bias haben in diesem Bereich. Also, das heißt, dass Replikationsstudien, die negativen Ausgang haben, so nennen wir das hier, also eine vorherige Studie widerlegen oder Fehler in dieser Studie aufzeigen, eine deutlich höhere Chance haben, publiziert zu werden, bei der sowieso sehr geringen Chance, dass sie publiziert werden können. Und vor allem aber diese Replikationsstudien die Ergebnisse unterstützen, die zum Beispiel sagen, ja, wir haben hier Ergebnisse aus einer Originalstudie, die können wir irgendwie reproduzieren, die sind verallgemeinerbar, die sind robust. Dass solche Replikationsstudien bisher überhaupt gar keine Chance hatten, publiziert zu werden. Weil da allgemein angenommen wird, na ja, der Erkenntnisgewinn, der ist irgendwie nicht riesig. Oder ist kaum vorhanden und irgendwie zeigt es ja nur, was irgendwie schon mal gemacht worden ist. Und das ist aber ein ganz großes Problem, weil wir dann in der ganzen Masse der publizierten empirischen Studien jedes Jahr gar nicht wissen, welche von diesen Studien sind denn jetzt eigentlich robust, verallgemeinerbar oder überhaupt replizierbar. Und IREE unterscheidet sich eben in der Frage der Publikation der Replikationen besonders stark von den anderen Journals, dass wir sagen, wir publizieren Replikationsstudien ganz unabhängig von ihrem Ergebnis. Und in der Tat ist der Ausgang der Replikationsstudie, ob das jetzt positiv war oder negativ, ob Ergebnisse bestätigt oder unterstützt werden können, oder eben widerlegt werden, ist bei uns völlig unabhängig von der Entscheidung, ob wir diese Studie publizieren oder nicht. Weil wir sagen, dass positive Replikationsstudien vom Erkenntnisgewinn her genauso wichtig sind, wie die mit dem negativen Ausgang.
[11:05] Doreen Siegfried:
Also, das heißt, wenn ich eine Studie veröffentlicht habe und jemand anderes ein Jahr später oder zu einem Zeitpunkt X diese Studie wiederholt und feststellt, super robust, dann kann ich mir auf die Schulter klopfen und sagen, „well done“.
[11:19] Martina Grunow:
Genau. Das können dann beide sagen. Das kannst Du dann sagen, mit Deiner Originalstudie und das kann dann aber auch der Replikator sagen. Und genau genommen kann das dann auch der Rest der wissenschaftlichen Community und auch der Politik sagen, weil wir dann wissen, wir haben hier Ergebnisse, mit denen können wir weiterarbeiten und auf denen können wir entweder weitere Forschung aufbauen oder eben auch politische Entscheidungsprozesse und diese Ergebnisse für die Gesellschaft verwenden.
[11:42] Doreen Siegfried:
IREE läuft jetzt seit ungefähr zwei Jahren und Ihr habt Einreichungen aus aller Welt, kann man sagen. Gibt es etwas, was Dich in dieser Zeit überrascht hat, was die Einreichungen betrifft?
[11:57] Martina Grunow:
Ja. Gibt es. Als wir mit IREE angefangen haben und ich in das Projekt mit eingestiegen bin, muss ich zugeben, hatte ich auch so ein bisschen das Bild von Replikation: ja, das ist wichtig, das war mir klar. Und das brauchen wir auch und das fehlt. Ich hatte aber auch so ein bisschen die Vorstellung: gut, was macht man da, man wiederholt irgendwie was, was schon da ist. So ein bisschen dieser angestaubte Ruf, den so Replikationen auch haben. Mit den Einreichungen, die wir bekommen haben, und das tatsächlich mit jeder weiteren Einreichung die wir bekommen haben, wurde mein Erstaunen immer größer darüber, mit wieviel Kreativität unsere Autoren Replikationen machen und auslegen. Und nicht nur die Kreativität, sondern auch wirklich die Qualität der Replikationen. So dass mein ein bisschen angestaubtes Bild von Replikationen tatsächlich dem Bild gewichen ist, dass das ein unheimlich spannendes Feld ist, was auch überhaupt nicht einfach ist. Also Replikation ist alles andere, als dass man irgendwie einfach abkupfert, was jemand anders sich in einem höchst kreativen und komplizierten wissenschaftlichen Denkprozess schon überlegt hat, sondern, dass Replikationsstudien selber genau so eine wissenschaftliche Leistung sind. Und sich Autoren tatsächlich die Mühe machen, nicht den Credit dafür zu bekommen, irgendwie ganz große neue wichtige Ergebnisse gefunden zu haben, aber andere Ergebnisse unter Umständen unterstützen zu können. Und das mit teilweise wirklich sehr viel Aufwand.
[13:30] Doreen Siegfried:
Und sag mal, wenn Du jetzt sagst, Du bist überrascht, wie viel Kreativität da drin steckt … Also, wie muss ich mir das vorstellen? Ich habe einen Datensatz, der ist im Idealfall zugänglich, und ich sehe, welche Methoden verwendet werden. Also, das heißt, da kann ich auch nicht irgendwie mir eine andere Methode überlegen. Wo kommt da die Kreativität zum Ausdruck?
[13:51] Martina Grunow:
Doch, genau eine Art der Replikation ist ja, dass man, wenn man die Daten exakt so beibehält, dass man eben doch zum Beispiel an der Methodik was verändert. Das ist genau die Frage nach der Robustheit. Oder aber eben die andere Variante, wenn es um Verallgemeinerbarkeit geht, dass man die Methodik beibehält, aber eben die Daten verändert. Und tatsächlich, diese Detailüberlegung, ausgehend davon, dass jemand, der schon gut begründet, wie er es gemacht hat in der Originalstudie, und das ja auch schon publiziert worden ist, also das auch schon durch mehrere Begutachtungsstufen durchgegangen ist, ausgehend davon trotzdem noch mal zu überlegen, wie könnte man das anders machen? Wo liegt eigentlich die Problematik und warum sollte man das auch anders machen? Also auch in den Replikationsstudien muss natürlich gut begründet sein, warum man irgendwas verändert und wie man das Ganze verändert.
[14:41] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Das verstehe ich. Alles klar. Man liest ja schon seit vielen Jahren auch immer von der sogenannten Replikationskrise. Was ist jetzt eine Replikationskrise? Also, wir haben ja jetzt schon gesagt, was ist ein Replikationsjournal, was ist eine Replikation. Aber was ist jetzt genau eine Replikationskrise?
[15:02] Martina Grunow:
Die Replikationskrise, wenn man das in einem Satz sagen möchte, wäre ein Mangel an Replikationen. Ich hatte ja schon gesagt, dass Replikationen als wichtiges wissenschaftliches Instrument uns dabei helfen, zwischen den ganzen empirischen Ergebnissen, die wir so haben, diesen Originalergebnissen, zu filtern: Welche Ergebnisse sind robust und verallgemeinerbar? Welche Ergebnisse sind überhaupt duplizierbar und wiederholbar? Und dass wir Replikationen dafür brauchen, um eben unterscheiden zu können, welche Ergebnisse können wir weiterverwenden, auf welchen wollen wir irgendwie aufbauen? Welche wollen wir für die Politik verwenden und welche Ergebnisse sagen wir, führen erst mal zu einem Widerspruch, wenn die ganze Analyse noch mal gemacht wird? Und das Ganze wissen wir aber erst, wenn wir tatsächlich Replikationen durchführen. Und deswegen würde ich Replikationskrise als Mangel an Replikationen bezeichnen, weil uns tatsächlich die Masse der Replikationen fehlt, damit wir die als Wegweiser verwenden können. Wir haben auf der einen Seite – und daraus setzt sich die Replikationskrise zusammen – wir haben zwei Elemente eigentlich. In den Wirtschaftswissenschaften wurden auch schon eine ganze Reihe von Studien inzwischen durchgeführt, in denen mal systematisch eine große Anzahl von Originalstudien versucht wurde zu reproduzieren. Also nicht zu replizieren, nicht irgendwie auf die Verallgemeinerbarkeit oder Robustheit zu gucken, sondern wirklich die reine Reproduktion. Wir wollen dieses Ergebnis exakt noch mal herstellen. Und eine der jüngeren Studien aus dem Jahr 2015 hat da eine Quote von 50% gefunden. Also, dass nur 50% der empirischen Ergebnisse in den Wirtschaftswissenschaften überhaupt reproduzierbar sind. Und das kommt ungefähr so einem Münzwurf gleich. Also wenn ich willkürlich ein Papier aus der Masse der Publikationen ziehe, der empirischen Publikationen, dann kann ich erst mal eine Münze werfen, um die Wahrscheinlichkeit zu wissen, ob dieses Papier replizierbar ist oder nicht. Und das ist natürlich eine Quote, die nicht besonders hoch ist.
[16:55] Doreen Siegfried:
Ja, das ist erschreckend.
[16:56] Martina Grunow:
Ja. Und auf der anderen Seite haben wir eben keine Replikationsstudien, die uns dann sagen, welche dieser Studien mit so einer 50/50-Chance sind denn jetzt eigentlich replizierbar oder nicht. Und wenn man diese beiden Elemente zusammensetzt, dann ist das meinem Verständnis nach, das, was man als Replikationskrise bezeichnen kann. Dass wir wirklich einfach nicht wissen, welche dieser vielen, vielen Papiere mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass Ergebnisse kein zweites Mal gefunden werden können, sind denn eigentlich für den weiteren wissenschaftlichen Verlauf zu gebrauchen.
[17:28] Doreen Siegfried:
Ja, du hattest ja jetzt auch schon zweimal gesagt, dass viele wirtschaftswissenschaftliche Forschungsergebnisse ja auch einfließen in die Politikberatung. Gibt’s da irgendwie von Seiten der Politik Bestrebungen, dass man sagt, okay, uns interessieren jetzt nur Studien, die wir dann beispielsweise für folgende Gesetzgebung oder ähnliches verwenden. Uns interessieren nur Studien, die mindestens einmal repliziert wurden. Oder was bedeutet diese Replikationskrise für die Wirtschaftsforschung und gerade auch für die Politikberatung, die ja von der Wirtschaftsforschung ausgeht?
[18:07] Martina Grunow:
Vielleicht ein bisschen polemisch würde ich sagen, dass das vor allem erst mal ein besonders oder nicht besonders hohes, aber dass es ein Risiko bedeutet. Eigentlich habe ich in den Wirtschaftswissenschaften das immer als eine Chance begriffen, dass wir uns mit Themen beschäftigen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben, indem sie also auch tatsächlich Ergebnisse aus der Forschung in die Politikberatung einfließen. Zum Beispiel, ganz offensichtlich, in die Finanzpolitik eines Landes oder auch von der Europäischen Union oder in die Wirtschaftspolitik ganz konkret. Oder auch zum Beispiel die Gesundheitspolitik, da haben auch gesundheitsökonomische Erkenntnisse Einflüsse. Das kann man einerseits als Chance begreifen, dass man sich in einem Fach bewegt, indem es relevant ist. Wenn wir aber wissen, dass wir so einen hohen Anteil an Ergebnissen haben und an vermeintlichen Erkenntnissen haben, die weder reproduzierbar sind, geschweige denn verallgemeinerbar sind. Und diese Erkenntnisse aber verwendet werden, um politische Entscheidungen zu treffen, kann daraus tatsächlich ein gesellschaftliches Risiko erwachsen. Und das ist so, dass die Politik durchaus Wirtschaftswissenschaftler immer wieder in politische Entscheidungsprozesse einzieht. Sei es ganz direkt als Berater oder in Form von Gutachten, die zu bestimmten Themen auch in Auftrag gegeben werden. Und gleichzeitig wird auch von Seiten der Ministerien aus, werden aktuelle wirtschaftswissenschaftliche Publikationen auch gelesen und angeschaut und eben dann auch verwendet für politische Entscheidungen.
[19:37] Doreen Siegfried:
Und würdest du da sagen, die Wirtschaftsforschung hat da vielleicht auch nochmal eine größere Verantwortung für die Gesellschaft. Also wenn ich mir vorstelle, in den Geisteswissenschaften gibt’s ja auch empirische Arbeiten, nehmen wir mal Sprachwissenschaft. Ich untersuche gesprochene Sprache, ich untersuche meinetwegen Gespräche, suche nach irgendwelchen Mustern, komme dann zum Ergebnis X. Das ist dann für den akademischen Diskurs wichtig und für die Grundsatzforschung. Aber letztlich folgt dem nichts nach, im Sinne von, das ist die Grundlage für irgendwelche Pläne, Gesetze, irgendwelche Änderungen, mit der dann die Bevölkerung am Ende zu kämpfen hat. Bei der Wirtschaftsforschung ist das ja schon nochmal irgendwie was Anderes. Also würdest du sagen, Wirtschaftsforschung hat da nochmal eine besondere Verantwortung, wenn es um sauberes empirisches Arbeiten geht?
[20:34] Martina Grunow:
Ich würde nicht sagen, dass es eine besondere Verantwortung ist, weil ich glaube, dass ist egal, in welchen Fach man unterwegs ist, diejenigen, die empirisch arbeiten, eine besondere Verantwortung haben. Nämlich sorgfältig zu arbeiten, nach bestem Wissen und Gewissen. Wie gesagt, gewisse Sachen oder Fehler kann man auch einfach nicht ausschließen oder immer vermeiden. Das bezieht sich aber ganz grundsätzlich auf die Arbeit mit Daten. Weil auch Erkenntnisse, auch in den Wirtschaftswissenschaften gibt es natürlich Studien, die durchgeführt werden, die erstmal nicht einen ganz unmittelbaren Einfluss auf die Politik nehmen und damit auf die Gesellschaft nehmen. Die dann aber, zum Beispiel Grundlage einfach für weitere Forschung sind. Und ich glaube, dass immer dann an der Stelle, wenn ein Ergebnis das Bestreben hat, direkten Einfluss zu nehmen oder zum Beispiel Politikempfehlungen oder Handlungsempfehlungen auszusprechen, dass es dann umso wichtiger ist, nochmal zu überprüfen, ob dieses Ergebnis denn wirklich den Kriterien der Reproduzierbarkeit, der Verallgemeinerbarkeit und der Robustheit auch entspricht. Ich glaube aber, wie gesagt, ganz grundsätzlich, dass die Verantwortung bei jedem liegt, egal in welchem Fach, der mit Daten umgeht.
[21:43] Doreen Siegfried:
Okay. Würdest du sagen, die Replikationskrise ist jetzt, ist etwas Deutsches?
[21:53] Martina Grunow:
Nein. Das zumindest, glaube ich, kann man relativ deutlich sagen, das ist kein lokales Problem. Genauso wie die Wissenschaft internationalisiert ist, also zumindest ganz klar für die Wirtschaftswissenschaften. Wir haben einen internationalen wissenschaftlichen Markt, die Wissenschaftler tauschen sich international aus, arbeiten in internationalen Teams, auch länderübergreifend. Der Arbeitsmarkt für Wirtschaftswissenschaftler oder forschende Wirtschaftswissenschaftler ist international. Und damit ist das auch kein nationales oder lokales Problem mit der Replikationskrise. Und das kann ich wiederum ganz gut auch festmachen an den Einreichungen, die wir bei uns für unser Journal haben. Die kommen einfach aus aller Welt. Wir haben einen guten Anteil von Einreichungen, die aus den USA kommen, die kommen aus Australien, aus Kanada und aus dem ganzen europäischen Raum. Also ausschließen kann man zumindest, dass es nur ein nationales Problem ist und man sieht das auch, dass auf aller Welt Initiativen wachsen und auch zunehmend entstehen, die sich genau mit diesem Thema beschäftigen und nach Lösungen suchen, um dieser Replikationskrise entgegen zu wirken.
[23:04] Doreen Siegfried:
Und gibt’s da vielleicht in Deutschland, vielleicht eine besondere Sensibilität oder würdest du auch sagen, nee, da sind andere Länder vielleicht irgendwie uns noch voraus. So ein bisschen auch die Konsequenzen ihres Tuns mal kritisch zu beäugen.
[23:21] Martina Grunow:
Auch da ist mein Eindruck nicht, obwohl ich das auch nicht mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass Deutschland Vorreiter ist in dieser ganzen Thematik. Sondern, dass das relativ stark, so wie viele auch aus den Wirtschaftswissenschaften an Themen durch die USA geprägt ist. Und das würde ich auch für die Replikationskrise oder die ganze Thematik der Replikation so sehen.
[23:44] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Du bist ja jetzt selbst auch ein, ich sag mal, Kind der akademischen Welt. Du hast als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Augsburg auf dem Gebiet der Gesundheitsökonomie promoviert. Du gibst Vorlesungen an Universitäten und bist ja jetzt auch aktiv im Kontext von Doktoranden-Workshops. Wie siehst du denn selbst diese akademische Welt, so aus der Binnensicht?
[24:10] Martina Grunow:
Je nachdem…Ich würde unterschiedliche Teile dieser akademischen Welt unterscheiden wollen. Also wenn es rein um die Forschung geht, dann sehe ich das Ganze mit großer Begeisterung. Ich finde die Forschung selber, für mich ganz persönlich, ist das wie ein großer Abenteuerspielplatz, auf dem man sich austoben kann, mit Ideen, die man hat, mit Dingen, die man beobachtet. Dass man die systematisch betrachten kann, die Methodenauswahl dafür oder die Suche nach der korrekten Methode oder in Entwicklung von Methoden. Die Suche nach Daten, das Überlegen, wie kann ich diese Daten gegeben meiner Fragestellung irgendwie korrekt analysieren, ist was, was vor allem unheimlich viel Spaß macht, was kreativ ist und teilweise auch wirklich sehr, sehr spannend ist. Und genauso auch die Vermittlung von Wissen und auch Erkenntnissen, die man in der Forschung erlangt, dann in der Lehre an die Studenten, finde ich ist was, was einfach unheimlich viel Spaß macht. Wenn man merkt, dass man die Begeisterung, die man irgendwie für dieses Fach hat und die man für die Methoden hat, auf die nächsten übertragen kann – auf die Studenten übertragen kann – und somit auch für ihr eigenes Fach begeistern kann, ist schon was, was sehr, sehr zufriedenstellend ist. Diese reine Forschung ist natürlich aber eingebettet in die Rahmenbedingungen der Forschung und das ist vielleicht das, was dann so insgesamt diese akademische Welt ausmacht. Wir haben eine akademische Kultur, wir haben Rahmenbedingungen, die viel diskutierten Themen um Arbeitsbedingungen auch, gerade für Nachwuchswissenschaftler. Das ist dann was, was ich schon wieder mit nicht ganz so großer Begeisterung sehe, sondern auch eher zwiegespalten.
[25:44] Doreen Siegfried:
Ja und wo würdest du dann genau sagen ist noch Luft nach oben?
[25:49] Martina Grunow:
Sicherlich ist ein wichtiger Punkt, die große Unsicherheit, die für Nachwuchswissenschaftler herrscht in ihren Rahmenbedingungen mit den befristeten Verträgen. Mit der Forderung, dass sie regional kaum gebunden sein können sondern, dass sie bereit sind, dann auch möglichen Stellen hinterher zu reisen und hinterher zu ziehen und das eben auch nicht nur innerhalb des Landes, in dem sie sich bewegen, sondern, ich hatte es eben schon gesagt, der Arbeitsmarkt ist ein internationaler. Das ist ein Punkt, der zu viel Verunsicherung führt oder zu viel Unsicherheit führt, wo ich glaube, dass wir einerseits wichtige und gute Köpfe verlieren von Leuten, die sich diesen Rahmenbedingungen einfach nicht aussetzen wollen. Und andererseits wirkt sich das aber auch auf die Qualität der Forschung aus. Wenn jemand in seiner Forschung eigentlich nur darauf guckt, was er machen kann, damit seine Karriere gefördert wird und das unter sehr, sehr hohem Zeitdruck tut, dann kann es nicht zu guter Qualität in der Forschung führen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Generierung von Wissen, dass das Verstehen von Sachen, einfach auch Zeit braucht und das Ganze nicht beliebig beschleunigbar ist. Und was wir aber haben und was ganz stark die Karrierewege in der Wissenschaft prägt, ist einfach die Anzahl der Publikationen. Das ist so ein bisschen die Währung, die wir haben, mit der man sich auf diesem Markt bewegt und je mehr Publikationen man hat, desto höher ist die Chance, dass man irgendwann auch eine Professur hat, die einen dann genau diese Sicherheit bietet, die man vielleicht braucht, um auch Forschung zu betreiben, die nicht nur unter Zeitdruck stattfindet, sondern vielleicht auch Forschung, die nicht unmittelbar in spektakulären Publikationen endet, sondern die einfach Zeit braucht und auch ein bisschen an die Grundlagen geht. Und da sehe ich ein ganz großes Problem. Also dieser enorme Publikationsdruck, der für Nachwuchswissenschaftler herrscht und dass im Prinzip die Anzahl der Publikationen sicherlich nicht das einzige Kriterium, aber doch das allerallerwichtigste Kriterium sind, an denen es sich entscheidet, ob man in der Wissenschaft Fuß fasst oder nicht.
[27:56] Doreen Siegfried:
Also würdest du sagen, diese doch sehr beschränkte Leistungsmessung oder besser gesagt, diese Fokussierung auf den Publikationsoutput ist durchaus ein Manko?
[28:09] Martina Grunow:
Ja. Ich glaube, dass die Replikationskrise vor allem eigentlich ein Problem dieser akademischen Kultur ist und dieser Fokussierung auf Publikationen. Weil Publikationen oder das, was als publikations- oder publizierfähig gilt, ist nicht immer unbedingt die relevanteste und die beste Forschung, die stattfindet. Die Publikationsfähigkeit hängt auch an Modethemen, hängt an Ergebnissen, die irgendwie nachzulesen sind, ohne dass immer ausreichend nachgefragt wird, wie diese Ergebnisse denn eigentlich zustande gekommen sind. Es gibt so Kriterien, dass Ergebnisse in der Empirie häufig signifikant sein müssen. Nicht signifikante Ergebnisse werden nicht ernst genommen, werden nicht wahrgenommen und sind damit nicht publikationsfähig. Und ich glaube, dass wir mit dieser starken Fokussierung auf Publikationen uns eingehandelt haben, dass tatsächlich Forschungsfragen und Forschung danach ausgewählt wird, was kann ich eigentlich publizieren und dass damit Anreize gesetzt wurden, dass Ergebnisse gesucht werden oder auch unter Umständen erarbeitet werden, die publikationsfähig sind, die aber im Zweifelsfall nicht replizierfähig sind oder replizierbar sind. Also ich glaube, dass die Quote von ungefähr 50% nicht replizierbarer Forschung auch ein Ergebnis genau von diesem Publikationsdruck ist und von der letzten Endes Generierung von Ergebnis. Oder eben auch davon, dass einfach zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um die Qualität der eigenen Forschung auch ausreichend zu überprüfen.
[29:52] Doreen Siegfried:
Ja, die Frage ist jetzt, die mich noch ein bisschen interessiert. Du bist ja selbst auch viel auf Tagungen unterwegs, national, international. Das, was du selbst geschildert hast, als Beobachtung, bist du da alleine unterwegs oder wie beobachtest du, anders gesagt, wie beobachtest du so die Stimmung in der Community? Sehen das andere ähnlich wie du, gibt’s da vielleicht so einen revolutionären Geist, der da irgendwie durch die Konferenzen strömt oder sagen alle, ja oh Gott, so ist es halt und wir spielen mit, so sind die Regeln. Also, wie ist da so deine Beobachtung?
[30:32] Martina Grunow:
Ich glaub das kommt ganz stark darauf an, wo genau man hinguckt. Was ich durchaus beobachte unter den Nachwuchswissenschaftlern ist eine Unzufriedenheit mit genau diesem System. Also, dass auch eine Unzufriedenheit darüber entsteht, wie die eigene Forschung eigentlich läuft. Also es gibt, Gott sei Dank, noch ausreichend Nachwuchswissenschaftler, die tatsächlich ein Interesse daran haben, wichtige Forschung zu betreiben, die hohe Qualität hat und die eben nicht nur zum Titel führt. Aber genau diese Nachwuchswissenschaftler müssen sich natürlich auch in einem gegebenen System bewegen. Auf der anderen Seite sehe ich die etablierten Forscher, die Älteren, die eigentlich genau diese Regeln machen, die diese Bewertungskriterien auch aufstellen und die letzten Endes auch die Nachwuchswissenschaftler, die jetzt auf höhere Positionen oder nach höheren Positionen dann streben, auch bewerten. Auch unter den etablierten Forschern, wenn man mit ihnen spricht, erlebt man im Prinzip gar nicht, dass gesagt wird, nein, dieses ganze Thema Replikation und mit dem Publikationsdruck, das ist kein Problem. Ich glaube schon, dass das in der breiten Masse der Forscher inzwischen angekommen ist, dass wir da ein Problem haben und dass wir eben auch dieses Glaubwürdigkeitsproblem haben. Eben durch die geringere Replizierbarkeit der Ergebnisse, die publiziert werden. Wo sich die Wege dann wieder trennen, abgesehen davon, dass man feststellt, man hat irgendwie ein Problem, ist in der Vorstellung, wer dieses Problem denn eigentlich lösen soll, wer die Verantwortung trägt, Änderungen zu schaffen. Die etablierten Forscher, so ist es zumindest meine persönliche Erfahrung aus den Gesprächen und Diskussionen, die ich da geführt habe, geben das ganz gern an die Nachwuchswissenschaftler ab. Und sehen das ja auch, dass die Nachwuchswissenschaftler gerne was ändern möchten und dann wird auch gesagt, dann sollen sie das auch machen, das ist super.
[32:21] Doreen Siegfried:
Ja okay. Und die Nachwuchswissenschaftler sagen: sorry Leute. Ich muss hier erst kurz noch mal schnell den nächsten Job angeln.
[32:28] Martina Grunow:
Genau. Die sitzen genau zwischen den Stühlen. Also, sie haben einerseits diese Unzufriedenheit und erkennen das und möchten auch wirklich gerne was anderes machen und es gibt auch genügend, die tatsächlich auch was anderes…also das anders machen…die, die Arbeit mit ihren Daten zum Beispiel offen legen. Die auch ihren wissenschaftlichen Prozess offen legen. Die haben aber genau das Problem, dass das gar nicht honoriert wird. Und letzten Endes, wenn sie weiterhin in dem wissenschaftlichen System bleiben wollen, müssen sie sich an die jetzt aktuell geltenden Bewertungskriterien, nämlich die Anzahl der Publikationen, halten.
[32:56] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Hast du einen Vorschlag, wie kann man da raus aus diesem…aus diesem Murks? Was kann man konkret oder was wäre eine Idee?
[33:06] Martina Grunow:
Meine Idealvorstellung wäre, dass man diese Aufbruchstimmung, von der ich hoffe, dass man sozusagen diesen Unmut auch noch als solches wahrnehmen kann oder in sowas kanalisieren kann, ausnutzt. Ich glaube aber nicht, dass die Verantwortung tatsächlich auf den Schultern der Nachwuchswissenschaftler liegen kann. Weil sie sich eben genau in diesem Dilemma befinden. Dass sie ja unter Regeln arbeiten müssen, die sie eigentlich ändern wollen. Ich glaube, dass ein guter Ansatz wäre, dass diejenigen, die tatsächlich, für die es kein Risiko in ihrer Karriere mehr bedeutet, anfangen, auch diese Bewertungskriterien zu verändern. Und das sind dann eben die Universitäten, die zum Beispiel Berufungsverfahren ja auch gestalten, auch das ist was, was man an Unis inzwischen beobachten kann, vereinzelt. Dass es dort Bestrebungen gibt, zum Beispiel transparente Berufungsverfahren durchzuführen. Da gibt es dann Beauftragte inzwischen dafür, die eben auch einen Kriterienkatalog entwickeln, der über die reine Publikationstätigkeit hinausgeht. Auf der anderen Seite sehe ich auch die Drittmittelgeber, also die Forschungsförderer, in der Verantwortung. Das ist ein Kriterium, was auch immer wichtiger wird, auch in Berufungsverfahren, wie viele Drittmittel hat der Forscher schon eingeworben. Das ist natürlich ein hochattraktives Thema für Forschungseinrichtungen, wenn jemand in der Lage ist, auch Drittmittel einzuwerben, um dann eben die Forschung finanziell auch unterstützen zu können. Ich glaube, wenn da zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft stärkere Regeln setzt und vor allem auch durchsetzt, bisher sind das eher lose Empfehlungen auch zum Thema im Umgang mit Forschungsdaten und auch dem nachhaltigen Umgang mit Ergebnissen und auch die Replizierfähigkeit von Ergebnissen. Wenn aus diesen Empfehlungen stärkere Regeln werden würden, die auch zu Konsequenzen führen oder die konsequent umgesetzt werden, glaube ich, dass wir da eine gute Stelle hätten, wo Anreize gesetzt werden können, um diese ganze Thematik auch in die Community einzubringen, weil dann alle gleich von diesen Regeln profitieren würden oder gleich unter diesen Regeln arbeiten müssten und gleichzeitig könnte die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Wichtigkeit dieser Thematik dann auch transportieren. Indem sie es einfach wirklich an ihre Forschungsförderung bindet.
[35:19] Doreen Siegfried:
Okay. Wenn ich mir jetzt beispielsweise so die Professoren, Professorinnen angucke, die in Berufungskommissionen stecken, die sind ja auch gewissen Zwängen ausgesetzt. Ich sag nur Exzellenzinitiative und so weiter. Die Universitäten untereinander werden ja auch verglichen. Also, das heißt, würdest du sagen, da muss man…man muss da hingehen, wo tatsächlich die Macht sitzt? Also…wie soll ich es anders formulieren? Also, es herrscht ja wahnsinniger Wettbewerbsdruck, ja nicht nur unter den Doktorandinnen und Doktoranden und unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern und unter den Profs, ja auch die Unis stehen ja alle miteinander im Wettbewerb und es zählt ja immer nur die Publikation und so weiter. Würdest du sagen, generell müssten auch die Unis mal mit diesem wahnsinns Wettbewerb aufhören untereinander? Oder zumindest – Wettbewerb kann ja auch was Gutes sein – …Ich formuliere es mal anders: diesen Wettbewerb vielleicht etwas vielfältiger aufstellen?
[36:18] Martina Grunow:
Also ich glaube, dass der Ansatz, dass man ins Zentrum der Macht gehen muss, um Veränderungen durchzusetzen, schon der richtige ist. Weil in der Tat, also jeder, der sich in gewissen Rahmen bewegt und unter gewissen Bedingungen bewegt – selbst wenn sich einer revolutionär hinstellt und sagt, ich mach das Ganze nicht mehr mit – ist fraglich, ob derjenige dann die Veränderung herbeiführen kann, solange es andere Leute gibt, die sagen gut, wir machen’s mit und dann eben vorbeiziehen.
[36:44] Doreen Siegfried:
Und du bist raus. Ja.
[36:45] Martina Grunow:
Genau
[36:45] Doreen Siegfried:
Ätsche bätsche.
[36:46] Martina Grunow:
Ja. Und das ist genau das große Risiko, was eben Nachwuchswissenschaftler auch haben oder zumindest, wenn man es an den Nachwuchswissenschaftlern festmacht. Man kann es sicherlich auch auf die nächsthöhere Ebene bringen und sagen, die Universitäten an sich haben auch dieses Problem und damit dann eben auch in Berufungsverfahren. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, ja dann muss man in das Zentrum der Macht, das dort die Veränderungen stattfinden. Andererseits sollte man dann auch darauf achten, dass dann diese Regeln, die kommen, auch konkret genug sind, damit es auch klar ist, was eigentlich umgesetzt werden soll. Und in welcher Form das auch umgesetzt werden soll. Und das ist vielleicht auch die Schwierigkeit schon auf der Ebene der DFG, dass das, was sie zu diesen ganzen Themen sagen oder zum Thema der Replikationskrise sagen, alles so einen Empfehlungscharakter hat. Weil die das zum Beispiel gar nicht spezifisch für einzelne Fächer machen. Sondern das ganz generell für die Wissenschaft gilt. Wenn man das auf so einer Ebene macht, dann bleibt es natürlich sehr allgemein. Das Ganze muss dann schon wieder runtergebrochen werden, dass man irgendwie in die einzelnen Institutionen kommt, dass man in die einzelnen Fächer kommt und da eben dann auch die fachspezifischen Gegebenheiten berücksichtigt, damit das Ganze irgendwie umsetzbar ist.
[37:53] Doreen Siegfried:
Und, fachspezifisch, also meines Wissens, bitte korrigiere mich da, gibt’s ja in den Wirtschaftswissenschaften hauptsächlich diese kumulative Promotion. Könntest du dir vorstellen, dass man da an die Promotionsordnung nochmal rangeht und das ändert?
[38:10] Martina Grunow:
Ja. Das ist sicherlich ein guter Punkt, wo man ganz konkret ansetzen kann. Zumindest, wenn es um kumulative Promotionen dann auch geht, also um Promotionen, in denen mehrere Projekte durchgeführt werden. Eben nicht mehr ein Buch geschrieben wird, sondern mehrere einzelne Studien durchgeführt werden, die sich dann insgesamt zur Promotion zusammensetzen. Das gibt inzwischen einzelne Universitäten, die in der Promotionsordnung das schon verankert haben, dass ein oder das erste Projekt in der Promotion eine Replikationsstudie sein sollte.
[38:42] Doreen Siegfried;
Ah ja, okay.
[38:45] Martina Grunow:
Und das ist eine ganz tolle Idee. Das fördert einerseits natürlich die Anzahl der Replikationen, die wir haben und wirkt diesem Mangel an Replikationen entgegen. Andererseits ist das ein super Einstieg in die eigenständige wissenschaftliche Arbeit. Was ich ganz am Anfang meinte, dass Replikationen alles andere sind, als irgendwie ein billiges Abkupfern von irgendwas, was jemand schon mal gemacht hat, setzt eine gute Replikation voraus, dass man sich intensiv mit der Originalstudie auseinandersetzt, intensiv mit der Methodik auseinandersetzt, die dort verwendet wurde und auch mit den Daten. Und anhand von diesem Prozess, also dass man sich so intensiv damit auseinandersetzen muss und das auch bis ins letzte Detail verstanden haben muss, was in der Originalstudie gemacht wurde, kann man unheimlich viel lernen. Für die eigene Arbeit, für das eigene Verständnis. Und man kann gleichzeitig auch lernen für die eigene wissenschaftliche Arbeit, die sich danach dann noch anschließt, wie man die eigentlich gestalten muss, damit die replizierfähig ist. Damit dann wiederum andere verstehen, was man eigentlich gemacht hat. Und das lernt man am besten auch über den Prozess, dass man das mal durchmacht, dass man versucht, was Anderes zu replizieren. Und weiß, woran es dann mangelt oder was da noch hilfreich war in der Replikation.
[39:55] Doreen Siegfried:
Ja. Wenn du jetzt sagst, das ist wahnsinnig wichtig, das ist ja im Prinzip wie so früher in der Schule im Kunstunterricht wo es hieß, hier ist Rembrandt, einmal bitte abzeichnen. Wo man dann wirklich auch mal eine Stunde davorsitzt und gucken muss, okay, verdammt, wie hat er dieses Ohr gemalt. Also, das ist ja auch echt schwer. Würdest du sagen, jetzt nochmal wieder zurück zu den Wirtschaftswissenschaften, dass man so etwas auch im Studium lernen kann oder sollte. Auch gerade vielleicht vor dem Hintergrund, dass so die datengetriebene Wirtschaftsforschung oder empirische Wirtschaftsforschung ja eine wesentliche Rolle spielt, schon seit vielen Jahren. Also sollte man das vielleicht im Studium schon lernen?
[40:37] Martina Grunow:
Ich glaube, dass das eine gute Idee ist. Ich glaube, um sinnvoll eine Replikation durchzuführen, braucht man natürlich Grundlagen. Also es sollte nicht gleich am Anfang der empirischen Ausbildung stehen. Da muss man erst einmal wirklich Wissen über Statistik haben, übers empirische Arbeiten haben und auch über den Umgang mit Daten haben. Wo sich das sicherlich gut im Studium unterbringen lässt, ist als eine Abschlussarbeit. Zum Beispiel als Masterarbeit. Weil letzten Endes die Grundlagen sind gelegt dafür, wenn denn auch die Statistik ein Teil der Ausbildung war. Und dann bietet sich das ganz wunderbar an für eine Masterarbeit. Und kann dann vielleicht auch den Weg weisen, für jemanden, der sein Studium abschließt, ob er denn dann eigentlich den Weg weitergehen möchte des wissenschaftliches Arbeitens oder dann eben feststellt, puhhh, also diese intensive Auseinandersetzung mit einem so’nem Thema, das liegt mir doch nicht so stark.
[41:35] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Zum Abschluss. Also, ich halte nochmal fest, bevor gleich die letzte Frage kommt…die guten Ideen, also bei einer kumulativen Promotion irgendwie eine der ersten Publikationen einer Replikationsstudie, dann hätten wir auch gleich mehr Replikationsstudien, mehr als 50% und viele Masterarbeiten könnten auch Replikationsstudien sein, würde die Zahl sozusagen nochmal nach oben treiben. Hätten alle was von, ist auch nicht so schwer umzusetzen. Also, alle Leute, die das jetzt hier hören, macht das doch mal in eurem Studium bzw. wenn Sie Dozierende sind, vergeben Sie doch mal so eine Masterarbeit, die eine Replikationsstudie ist. Aber nochmal zurück zu Martina Grunow, letzte Frage. Wenn du dir jetzt drei Dinge für die akademische Welt wünschen dürftest, was wären diese drei?
[42:24] Martina Grunow:
Ich glaube, diese drei Dinge kann ich reduzieren auf Zeit, Zeit und nochmal Zeit. Und das auf unterschiedlichen Ebenen. Ich glaube, dass wir in Sachen Qualität der Forschung und damit auch die Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die wirtschaftswissenschaftliche Forschung, gut daran tun würden, wenn wir diesen enormen Druck wieder schaffen würden, rauszunehmen. Der ja vor allem enormer Zeitdruck ist. Wie gesagt, ich glaube, dass Erkenntnisgewinne, Erkenntnisgenerierung und auch Verständnis von Dingen einfach Zeit braucht. Und damit braucht auch gute Forschung Zeit. Und was wir bisher haben oder was wir jetzt haben, im aktuellen System, dass wir Publikationen hinterherhetzen und das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Um wirklich gute, brauchbare Forschung zu haben, die wir dann auch verwenden können und die auch einen gesellschaftlichen Nutzen hat. Das andere ist, die Zeit für den Mittelbau, den ich schon angesprochen habe. Nicht nur mit dem großen Publikationsdruck, sondern auch in der Tat, dann solche Fragen der Rahmenbedingungen für den Mittelbau. Es geht um Zeitverträge, das ist genau das Gegenteil von dem, was ich mit Zeit meine. Das für den Mittelbau in Sachen Zeit einfach eine größere Verlässlichkeit geschaffen wird damit sich die Nachwuchsforschenden auch tatsächlich auf die Forschung einfach mal einlassen können. Und eben nicht, schnell schnell, irgendwas machen, weil sie sich eigentlich auch sowieso schon wieder um die nächste Stelle kümmern müssen. Sondern auch die die Zeit haben, sich auf die Forschung an sich einzulassen. Und dann nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die Lehre und das ist der letzte Punkt für den wir Zeit brauchen. Gute Lehre bedeutet eine Investition, einerseits für die Lehrenden selber, das ist sehr zeitaufwendig, gute Lehre vorzubereiten. Und gleichzeitig glaube ich, dass wir wieder den Studenten mehr Zeit geben müssen, als sie’s derzeit haben, um im Studium eben nicht nur Wissen möglichst schnell irgendwie herangetragen zu bekommen. Sondern auch die Möglichkeit haben, Wissen zu verarbeiten und damit Studium auch mehr bedeutet, als nur Wissenserfassung oder Wissensaufnahme, sondern vielleicht auch wieder ein größeres Stück Persönlichkeitsentwicklung bedeutet.
[44:38] Doreen Siegfried:
Ja. Das ist ja ein wunderbares Schlusswort. Das hätte man sich ja besser gar nicht vorbereiten können. Vielen Dank Martina für das Gespräch. Liebe Hörerinnen und Hörer: wenn Sie dieses ganze Thema Open Science, Open Data generell und vor allem Open Science in den Wirtschaftswissenschaften im speziellen interessiert, dann hören Sie doch bitte auch gern in die kommenden Folgen rein. Sie finden unseren Podcast bei iTunes und andere Podcatchern zum Abonnieren. Also viel Freude beim Zuhören, bleiben Sie dran. Auf Wiederhören!