Folge 43: Open Education: Die wissenschaftliche Sicht

The Future is Open Science – Folge 43: Open Education: Die wissenschaftliche Sicht

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Dr. Doreen Siegfried
Leitung Marketing und Public Relations, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Tamara Heck
Leitung Arbeitsbereich Informationsmanagement, DIPF Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

[00:00:00] Intro

[00:00:02] Tamara Heck:
Und wenn ich bei den Studierenden in der Lehre zum Beispiel mehr Mitgestaltungsoptionen gebe, merke ich schon, dass sie motivierter sind und auch mit eigenen Ideen kommen. Was immer ganz schön ist, weil davon kann ich auch lernen, von den Erfahrungen der Studierenden.

[00:00:19] Tamara Heck:
Zu den Rollen. Ja, ich glaube, die ändern sich durchaus, und zwar für beide Seiten. Das heißt, ich muss als Lehrende ein Stück weit Kontrolle auch abgeben und muss das zulassen. Und dafür müssen die Lernenden aber mehr Verantwortung übernehmen. Und wenn das wirklich als Partizipation erfolgen soll, muss das auch so sein.

[00:00:41] Tamara Heck:
Also, ein gutes Lehrkonzept für mich ist wirklich, wenn die Lernziele dann mit den Prüfungszielen übereinstimmen. Also wenn ich will, dass Studierende eben eine Open-Science-Praktik lernen und auch umsetzen, dann muss ich das am Ende irgendwie abprüfen und auch bewerten.

[00:01:01] Doreen Siegfried:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „The Future ist Open Science“, dem Podcast der ZBW. Mein Name ist Doreen Siegfried und ich treffe mich hier mit ganz unterschiedlichen Leuten aus dem Wissenschaftsbetrieb, die Ihnen verraten, wie sie in ihrer täglichen Arbeit Open Science voranbringen. Wir wollen heute über die Integration von Open Science in die studentische Lehre und über Open Education sprechen. Und zwar aus wissenschaftlicher Sicht. Zu Gast habe ich dazu eine Informations- und Bildungswissenschaftlerin eingeladen, die ihre Forschungsschwerpunkte gesetzt hat auf Open Science und Forschungspraktiken, Open Educational Resources und Open Educational Practices. Sie leitet den Arbeitsbereich Informationsmanagement am DIPF Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Herzlich willkommen, Dr. Tamara Heck!

[00:01:57] Tamara Heck:
Hallo.

[00:01:59] Doreen Siegfried:
Wir starten gleich rein mit der Frage, wie sieht es denn mit dem Thema Open Educational Resources und Open Educational Practices an deutschen Hochschulen eigentlich überhaupt aus?

[00:02:11] Tamara Heck:
Genau. Große Frage. In unserem aktuellen Projekt, das heißt ReTransfer, da haben wir gerade mit Verantwortlichen gesprochen an Hochschulen, und zwar Verantwortliche für Digitale Infrastrukturen und für den Bereich digitale Lehre. Also unter anderem auch, Open Educational Resources (OER). Und ich würde sagen, das Thema OER ist an vielen Hochschulen angekommen und das ist kein neuer Begriff mehr. Viele Einrichtungen haben digitale Infrastrukturen, beispielsweise, um Lehrmaterialien also OER zu veröffentlichen, und mittlerweile gibt es ja auch Bundesländer- und länderübergreifende Optionen, beispielsweise das Repositorium ZOERR in Baden-Württemberg. Oder auch die… Hamburg bietet mit HOOU ein gutes Repositorium und auch Forum an für OER, aber auch Themen zu offener Lehre. Und daneben gibt es auch Verantwortliche an Hochschulen, die über OER beraten, und auch schulen. Insofern ist das sehr erfreulich. Und wie es jetzt tatsächlich mit der Umsetzung, ich sag mal, mit den Lehrenden aussieht, im Unterricht, in den Kursen, ist schwer zu sagen, wer das umsetzt. Wenn ich mir die Anzahl aber an Materialien in den Repositorien anschaue, sehe ich schon, dass die Anzahl an Materialien, aber auch an Materialen in unterschiedlichen Disziplinen kontinuierlich steigt und auch schön gestiegen ist. Natürlich, verglichen mit der mehr Breite und Menge an Hochschullehren sind die Zahlen immer noch sehr gering, aber ich finde es trotzdem sehr erfreulich, und es ist ja auch nicht gesagt, dass beispielsweise jedes Kursmaterial und jede einzelne Einheit als OER auch unbedingt sinnvoll ist zu veröffentlichen.

[00:04:03] Doreen Siegfried:
Und wenn Sie jetzt davon sprechen, Sie haben jetzt gesagt, in den verschiedenen Repositorien gibt es Kursmaterialien, und die sind auch tatsächlich so offen, dass andere Dozierende die nachnutzen könnten?

[00:04:16] Tamara Heck:
Genau. Die meisten, also es geht, der überwiegende Teil, würde ich schon sagen, ist als OER publiziert. Das heißt, in der Regel werden die Creative Commons Lizenzen genutzt. Und da gibt es drei Lizenzen, die dann komplett offen sind, also wo man auch Materialien verarbeiten und neu remixen kann, wie man sagt. Das ist das CC-BY, also mit der Autorennennung, aber ansonsten ist man da relativ frei.

[00:04:47] Doreen Siegfried:
Ja, vielleicht… Ja, okay. Vielleicht bevor wir in die ganzen Details gehen Ihrer Forschungsarbeit… Also, Sie forschen ja intensiv zu Open Science und Open Education. Vielleicht nochmal eine Definitionsfrage. Also, was genau versteht man denn unter Open Education?

[00:05:05] Tamara Heck:
Genau, wir haben ja jetzt gerade nur über OER gesprochen, das sind ja jetzt nur die Materialien. Jetzt sagt das ja noch gar nichts so aus über die, wie ich sage, Offene Lehrpraktik oder Offene Bildungspraktik. Kurz gesagt, kann man unter Open Education im Kern die Umsetzung eigentlich des Menschenrechts auf lebenslanges Lernen verstehen, die UNESCO und UNICEF definiert haben. Also das Recht auf Lehre, das heißt den Zugang zu qualitativ guten Lehrressourcen. Und dass jeder auch respektiert wird, diese zu nutzen. Und im Kern stehen da auch die Lernressourcen als die OER, die frei zugänglich und nutzbar sein müssen, so als Grundvoraussetzung. Was aber auch wichtig ist, sind die offenen digitalen Infrastrukturen, die überhaupt erst den Zugang ermöglichen zu OER. Und die müssen natürlich auch technisch einfach erreichbar sein, aber natürlich auch nutzerfreundlich bedienbar sein. Sonst werden die Lernmaterialien nicht gefunden und können natürlich auch nicht genutzt werden. Und wenn man jetzt global denkt, kann man beispielsweise schon die Sprache als eine große Herausforderung sehen, ebenso bei den Ressourcen. Also, es gibt… viele Infrastrukturen und Ressourcen sind eben auch in den Standardsprachen, ich sag mal, englisch, publiziert. Das heißt, da ist der Zugang vielleicht nicht so einfach für diverse Zielgruppen. Und Open Education, sage ich immer, berührt, wenn man das jetzt so breit denkt, eher das ganze Bildungssystem mit dem Ziel, das eben offener, zugänglicher zu machen. Und auf der anderen Seite hat man dann dort einen wesentlichen Aspekt der offenen Bildungspraktiken oder, wie ich es nenne, Open Educational Practices. Man sagt auch Open Pedagogy dazu. Und damit beschäftige ich mich primär. Das heißt, das sind die Praktiken wirklich, die Hochschullehrende machen. Oder aktuell in unserem Projekt beschäftigen wir uns auch mit der Lehrkräftefortbildung. Und da gibt es keine einheitliche Definition, aber ein wesentlicher Kern ist eben die Rolle der Lernenden, die eben in den Fokus gestellt wird und die Partizipation von Lernenden.

Kerstin Mayrberger beschreibt das beispielsweise so, dass es bei offenen Bildungspraktiken darum geht, dass Lernende und Lehrende neue Ansätze formen, um gemeinsam konstruktiv neues Wissen zu schaffen. Also, es geht viel um Partizipation, natürlich um Kommunikation, und dass eben nicht nur der Dozierende die Inhalte einfach vermittelt, sondern Studierende in diesen Prozess eingebunden werden, neues Wissen auch zu schaffen und mitzugestalten.

[00:07:42] Doreen Siegfried:
Ah, ja, okay. Weil da wird es jetzt, glaube ich, spannend. Da wollte ich jetzt gerade mal einhaken, Partizipation und Co-Education und so weiter. Also, das könnte heißen, ich mache mir ein tolles Lehrkonzept. Was soll am Ende dieser Lehreinheit erreicht werden? Die Leute sollen XYZ, sagen wir mal, zum Thema Öffentlichkeitsarbeit wissen. Und das würde dann ja aber heißen, ich frage vorher ab: „Okay, welche Aspekte wollen wir hier besonders vertiefen?“ und entwickle dann die Lehrinhalte mit den Studierenden zusammen? Oder lass die abstimmen? Oder wo genau findet da die Partizipation statt?

[00:08:21] Tamara Heck:
Genau. Das könnte meines Erachtens schon ein gutes Beispiel sein. Es kommt natürlich auf den Rahmen an. Also, welche Studierende habe ich? Habe ich welche im ersten Semester? Habe ich erfahrene Masterstudierende? Da kommt es, glaube ich, drauf an, wo man gerade ist. Aber es könnte… Ich in meiner Lehre mache es so: Ich hatte jetzt überwiegend Masterstudierende, dass ich nicht komplett einen Kurs durchplane mit den Themen, sondern am Anfang schon natürlich den Rahmen setze, den inhaltlichen. Aber dann mit den Studierenden, wie Sie gesagt haben, fragen, „Was interessiert Euch besonders? Wir haben… Es gibt zum Beispiel die und die Möglichkeiten, das näher zu vertiefen. Womit wollt ihr Euch besonders beschäftigen?“ und so einen gewissen Spielraum lasse, dass sie eben selbst auch Dinge einbringen. Vielleicht auch, was dann auch oft kommt, aus ihrem Alltag oder aus ihrer Arbeit. Das gibt es ja auch ganz oft, das Studierende gerne die Arbeit und das Studium verknüpfen möchten.

[00:09:18] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und noch eine Frage zu dieser Partizipation. Also, in Schulen ist es ja häufig so, da gibt es einen festen Stundenplan: Montag erste Stunde Mathe, Donnerstag nochmal dritte Stunde Mathe und dann vielleicht noch mal Freitag eine Doppelstunde in der fünften und sechsten. Ich könnte jetzt ja auch die Schüler:innen fragen, „Wie sieht es aus? Wollt Ihr Mathe jetzt mal eine ganze Woche haben und dann sind wir in drei Wochen mit dem ganzen Thema durch, und dann habt ihr den Rest des Schuljahres gar keine Mathe mehr. Oder wollen wir sagen, wir machen mal so einen ganzen Mathe-Tag, und dafür habt ihr nur montags und dafür donnerstags und freitags gar nichts?“ Also dieser Rhythmus, wie es also wie es jetzt beispielsweise in den Schulen ja ganz strikt sortiert ist, gehört das auch zum Thema Partizipation?

[00:10:07] Tamara Heck:
Könnte man so sehen. Das ist natürlich jetzt ein sehr großes Beispiel. Wir sind jetzt im Schulbereich, wo es natürlich viel mehr Struktur gibt und viel mehr Vorgaben gibt. Im Hochschulbereich hat man da mehr Spielraum. Aber das könnte ich mir vielleicht schon vorstellen. Da geht es ja so ein bisschen um die Frage: Wie lernen die Studierenden gut? Wie ist das nachhaltig? Auch welche Ziele hat man? Aber so zum Beispiel.

[00:10:34] Doreen Siegfried:
Muss man sich natürlich gut abstimmen mit den anderen Dozierenden, dass sie dann sagen, „Nee, also den Montag gar nicht“, oder wie auch immer. Okay, aber nochmal zum Thema zurück Open Education im Universitätskontext. Welche konkreten Vorteile bietet denn Open Education für Lehrende und für Lernende im Alltag? Also was ist der Vorteil davon?

[00:10:57] Tamara Heck:
Also, einen Vorteil sehe ich bei offenen Bildungspraktiken für Lernende darin, dass der Wissenserwerb schon individueller erfolgen kann, ohne dass der ja… dass sie sich, wenn sie sich einbringen, dass es vielleicht auch ein größerer Wissenserwerb gibt, als wenn man nur vorgegebene vorbereitete Inhalte, ich sage mal, konsumiert. Die Partizipation dann erfordert natürlich erst mal einen größeren Einsatz von den Lernenden. Aber ich denke, der Lerneffekt ist größer, und es macht im Endeffekt auch mehr Spaß, als nur zu konsumieren.

[00:11:34] Doreen Siegfried:
Ja.

[00:11:35] Tamara Heck:
Und bezogen auf beispielsweise jetzt OER als Ressourcen, haben Lernende eben den Vorteil, dass sie auch alle Materialien behalten und auch nachnutzen und für sich weiterverarbeiten können. Es gibt beispielsweise, wenn wir in der Wissenschaft bleiben, also in der Hochschullehre, ja immer noch viel Bezahlschranken, die gar nicht mehr so gesehen werden. Aber die gibt es noch. Und in meinem letzten Kurs, wir haben uns da gewisse Portale angeschaut, da haben Studierende immer angemerkt, das Kriterium, dass es auch wichtig ist, nach Open Access zu filtern. Das ist ja… Also der Zugang ist ja ein großes Thema. Also, es ist jetzt, ich würde sagen, schade, aber es geht keiner mehr in die Bibliothek, sondern man will direkt am Rechner die Literatur haben, in diesem Beispiel. Und auf der anderen Seite als Lehrender kommt das Argument immer wieder, dass man natürlich so einen großen Aufwand hat, offene Bildungspraktiken umzusetzen, also beispielsweise die Lehrmaterialen als OER zu veröffentlichen. Und man muss natürlich dahingehend die Lehre umstellen. Aber ich beispielsweise habe auch schon OER von anderen Lehrenden nachnutzen können, was für mich dann ein großer Vorteil ist, Zeit, zeitlicher Vorteil. Und wenn ich bei den Studierenden in der Lehre zum Beispiel mehr Mitgestaltungsoptionen gebe, merke ich schon, dass sie motivierter sind und auch mit eigenen Ideen kommen, was immer ganz schön ist, weil davon kann ich auch lernen, von den Erfahrungen der Studierenden. Und ja, wenn ich allgemein, wenn ich mir die aktuellen OER-Repositorien ansehe, glaube ich auch, dass einige durchaus interessant für Leute sind außerhalb der Hochschule. Also, für die Gesellschaft. Und da gibt es sehr tolle OER-Materialien, wo man… die man sich anschauen kann zu bestimmten Themen. Und somit kann man da einen Beitrag leisten. Man kann aber auch zum Beispiel sein Fach sichtbarer machen und die Themen.

[00:13:30] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Und nochmal zurück zu den Rollenverteilungen, weil das finde ich ganz spannend. Also auch nochmal, dieses Partizipationsthema. Verändert dann Open Education auch die traditionellen Rollen von Lehrenden und Lernenden? Also, gibt es neue Rollenverteilungen? Oder sollte es gegebenenfalls neue Rollenaufteilungen geben? Weil das klassische, das klassische Lehrkonzept ist: Jemand hat sich da tatsächlich mehrere Tage hingesetzt, also die Lehrperson, und hat sich ein didaktisches Konzept überlegt, in welcher Reihenfolge, mit welcher Dauer bestimmte Inhalte gelehrt werden, wie intensiv ich auf das Thema eingehe, was darauffolgt und so weiter. Wenn jetzt die Studierenden mitentscheiden, ist das ja nicht mehr nur der reine Konsum, dann müssen sie sich ja selbst auch überlegen, was eine gute Reinfolge ist oder was gut aufeinander aufbaut. Und was mich auch noch interessiert in dem Kontext, wenn ich jetzt eine Gruppe habe von, sagen wir mal, 30 Studierenden und die jetzt sich innerhalb der Gruppe nicht einig sind, was eine gute Reinfolge ist, wie baue ich… wie stelle ich da Fairness her?

[00:14:49] Tamara Heck:
Ja, gute Frage. Genau, zu den Rollen. Ja, ich glaube, die ändern sich durchaus, und zwar für beide Seiten. Das heißt, ich muss als Lehrende ein Stück weit Kontrolle auch abgeben und muss das zulassen, und dafür müssen die Lernenden aber mehr Verantwortung übernehmen. Und wenn das wirklich als Partizipation erfolgen soll, muss das auch so sein. Also die volle Verantwortung bei den Lernenden. Und das erfordert von beiden Seiten erst mal Offenheit und Kommunikation, damit es keine Missverständnisse gibt. Ich würde sagen, die Konstellation ist dann weniger hierarchisch, aber das müssen beide Seiten auch erst lernen, weil es, glaube ich, gerade in der Hochschullehre und der Lehre allgemein relativ neu ist. Also, ich habe erlebt, dass ich Studierenden, wenn ich dieses Konzept mal vorgestellt habe, erst verdeutlichen musste, dass, was sie denn auch machen dürfen, dass es Dinge auch gibt, die sie machen dürfen, sich einbringen dürfen aktiv. Das ist ja auch für viele erst neu. Wenn es so, wenn sie das nicht kennen. Und ich muss aber mich dann auch zurückhalten, vielleicht auch später, wenn ich merke, Studierende, wie sie sagen, brauchen vielleicht eine Zeit lang erst und diskutieren untereinander und müssen es ausmachen oder kommen aber auch vielleicht mit einer Idee, die ich nicht hatte. Die ich dann aber auch schlecht unterdrücken kann, weil sonst komme ich wieder mit meinem Konzept, und dann funktioniert die Partizipation so nicht. Genau, ich glaube, das ist, das ist total spannend. Aber es kann auch durchaus schwierig sein, vor allen Dingen im Hochschulkontext, weil man ja eher immer noch den Fokus hat, „Okay, ich mache einen Kurs und es muss am Ende eine Prüfung geben, es muss eine Prüfungsleistung erbracht werden und die wird bewertet“ und das steht immer noch sehr im Fokus. Und deshalb tun sich meine Studierende ja auch ein bisschen schwer mit den Rollen, weil sie natürlich immer das im Hinterkopf haben: Ich muss doch… bekomme was vorgegeben, und dann muss ich was leisten, und das wird bewertet. Genau. Also, ich glaube, dass, wenn das mehr gemacht werden würde, diese Partizipation würde, würden die das von beiden Seiten, glaube ich, besser angenommen oder auch verstanden werden. Aber es dauert, glaube ich seine Zeit.

[00:17:12] Doreen Siegfried:
Ja, ja. Das mit der Bewertung finde ich total interessant, weil ich kenne das aus Seminaren oder auch aus Erzählungen von anderen Dozierenden, dass natürlich ständig die Frage kommt, „Ist das Klausur relevant? Muss ich das wissen? Muss ich das lernen, oder kann ich das auch einfach jetzt wieder vergessen, wenn ich hier rausgehe?“. Also auch dieses klausuroptimierte Lernen wird natürlich schwer, wenn ich sage, „Okay, Ihr seid alle erwachsen, ob Ihr das jetzt lernt oder nicht, ist mir eigentlich ziemlich schnurz. Das müsst Ihr selbst entscheiden. Und vielleicht entscheiden wir ja auch zusammen darüber, was eine gute Bewertungsmethode ist. Ob es tatsächlich eine Klausur werden soll oder ob alle irgendwie ein Projekt machen oder sowas.“ Also, das ist wahrscheinlich mit Open Education noch nicht gemeint, oder? Dass die Gruppe, also diese Lern- Lehrgruppe, irgendwie auch darüber entscheidet, wann ist dann… Also, wie kann ich bewerten, ob das, was die Gruppe entschieden hat, das ist jetzt ein gutes Wissen oder eine gute Fähigkeit? Ist das nach einem Zeitraum, sage ich mal, von zehn Wochen ist das erreicht oder es ist es nicht erreicht?

[00:18:27] Tamara Heck:
Ja, also das mit dem, dass die, dass die Gruppe entscheidet, zum Beispiel, wie das ganze bewertet wird am Ende, das habe ich tatsächlich auch noch nicht so umgesetzt oder umsetzen können. Aber es ist auch eine spannende Frage. Das mit den Inhalten, da finde ich, ist es sowieso immer wichtig, wenn… Also die Prüfung am Ende und die Creditpoints sozusagen, sind das relevante und alles was man so, sage ich mal, an Inhalten nebenbei mitvermittelt, das geht schnell unter. Das heißt, man sollte sowieso das aus…, die Lernziele und so ausrichten dann auf die Prüfung. Es ist aber durchaus denkbar, dass man das am Anfang natürlich auch transparent macht und erklärt und auch fragt, „Ist das für euch okay? Ist das in Ordnung?“ Das mache ich auch immer. Aber dann kommt natürlich wenig, weil die Studierenden da nicht in der Rolle… oder ich glaube, dann wenig, sich nicht so trauen, zu sagen, „Ja, aber eigentlich finde ich die Prüfung, Hausarbeit auch gar nicht so gut für dieses Lernziel, können wir das nicht so machen.“ Das kam noch nicht.

[00:19:37] Doreen Siegfried:
Na ja. Okay. Und die sind unsicher und haben auch noch nicht so die große didaktische Erfahrung, wie man bestimmte Inhalte abprüft. Das kann ich mir natürlich auch vorstellen.

[00:19:46] Tamara Heck:
Genau.

[00:19:47] Doreen Siegfried:
Woher sollen die das auch können? Okay, können Sie vielleicht Beispiele nennen für erfolgreiche Open-Education-Projekte oder Initiativen, dass man vielleicht mal so ein bisschen ein paar Beispiele sich mal angucken kann?

[00:20:01] Tamara Heck:
Also, so konkret kann ich jetzt kein Projekt nennen. Aber es gab in der Vergangenheit, also es gibt sehr gute Projekte. In der Vergangenheit lag die Förderung allerdings eher immer auf dieser Erstellung der OER, also des Outputs dieser Lernmaterialien. Und da gibt es aber durchaus sehr gute Ressource auch in verschiedenen Disziplinen. Was dann so ein bisschen gefehlt hat, war die Nachhaltigkeit und der Fokus dann auf die partizipativen Praktiken. Oder die… es ist ja die Idee, dass die Ressourcen sozusagen in der Community weiterentwickelt werden und dadurch auch qualitativ besser oder auch angepasst werden für spezifische Zielgruppen. Und da sind wir, glaube ich, noch so ein bisschen am Anfang. Aber es gibt aktuell laufende Förderungen, die dann sehr stark dieses Community-Building im Fokus haben und auch dann diese Idee, verschiedene Akteure und Akteurinnen einzubinden.

[00:20:56] Tamara Heck:
Und da, finde ich, erfolgreich wird es meines Erachtens dann, wenn sich dann eine Community aufgebaut hat, die sagt, wir haben hier zum Beispiel in unserer Disziplin spezifische Themen, die wir lehren wollen. Wir teilen da unsere Ressourcen und erstellen vielleicht gemeinsame Ressourcen, überarbeiten die, und wir haben eine Infrastruktur oder ein Hub, wo man eben diese Ressourcen findet. Genau. Und Community-Building ist, glaube ich, da sehr, sehr wichtig. Es wird sich eher in so kleineren Disziplinen, glaube ich, abspielen, weil im Großen natürlich das auch immer noch komplexer wird. Und das ist aktuell aber auch der Schwerpunkt, zum Beispiel von unserer Informationsstelle OERinfo. Die hat auch einen Fachtag übrigens im November dazu, zu Community-Building.

[00:21:45] Doreen Siegfried:
Okay. Das können wir alles in die Shownotes packen, den Link zu diesem Fachtag. Okay. Wir sind ja jetzt hier im Open-Science-Podcast, daher vielleicht nochmal so ein bisschen mit dem Schwerpunkt auf Open Science. Also, welche Herausforderungen bestehen denn bei der Implementierung von Open Science und Open Education in Bildungsinstitutionen? Also, es gibt ja zum Thema Open Science wirklich zahlreiche Lehrmaterialien, Handbücher, MOOCs, YouTube-Videos und so weiter. Also warum reichen diese nicht aus, um Open Science in der studentischen Lehre zu etablieren?

[00:22:18] Tamara Heck:
Ich glaube, die Herausforderung liegt in der Umsetzung der Praktiken. Also nicht mehr so sehr das in der Haltung zu Open Science oder auch Open Education. Und bei der Umsetzung gibt es verschiedene Gründe. Es werden immer wieder die zeitlichen Kapazitäten genannt. Das stimmt auch. Also es ist jetzt nicht…Es ist zeitlich aufwendig, zum Beispiel, seine Forschungsdaten zu veröffentlichen, und das erfordert mehr Kapazitäten. Oder auch die Lehre umzustellen. Ich glaube, langfristig hat man aber den Mehrwert, dass Prozesse dann effektiver werden. Beispielsweise, wenn ich meine Forschungsdateninstrumente teilen will, muss ich sie eben so aufbereiten, dass sie auch für Dritte verständlich sind. Wenn ich doch jetzt die Kompetenz erlernt habe, dass vorher direkt bei Projektbeginn zu machen, ein gutes Datenmanagement zu haben, um das zu dokumentieren, ist das Teilen nachher am Endeffekt einfach und nicht mehr zeitaufwendig. Wichtig ist bei Open Science beispielsweise finde ich auch, dass es gibt jetzt sehr viele Leitlinien, und wir haben jetzt auch einen neuen Open-Science-Kodex. Aber ich glaube, es braucht auch noch Good Practices, die eben fallbezogen sind oder auch disziplinspezifisch. Damit… Also, ich glaube, die MOOCs, die Sie genannt haben, und so, da gibt es wirklich viele, da sind auch gute MOOCs oder auch Handbücher dabei, die sind noch sehr, sind sehr allgemein und sehr generisch. Also, sie führen sehr gut in das Thema ein, warum machen wir überhaupt Open Science? Wozu ist das gut? Welche Dimensionen gibt es überhaupt? Und wenn Forschende aber dann im Alltag vor ihrem PC sitzen und dann sagen: Ich habe hier ein Projekt, ich habe Daten, was mache ich jetzt, wie mache ich das konkret? Da fehlen, glaube ich, gute Beispiele. Und. Genau. Wir sind, wir haben einen Kodex erstellt und sammeln jetzt auch so, wollen Good Practices auch sammeln im Bereich Bildungsforschung, vielleicht auch für verschiedene Methoden. Wir haben beispielsweise gesehen, dass es die quantitative und qualitative Forschung sehr unterschiedlich ist, weil es verschiedene Prozesse gibt und auch verschiedene unterschiedliche Forschungsdaten. Das heißt, mit denen muss man unterschiedlich umgehen. Da sammeln wir gerade was. Und ein anderes Projekt von uns beschäftigt sich auch beispielsweise speziell mit einer Methode, und zwar die der Forschungssynthesen, wo wir jetzt versuchen, so Standards und Good Practices aufzuzeigen, wie man eben diese Daten gut dokumentiert und auch später teilen kann.

[00:24:51] Doreen Siegfried:
Okay, aber, wenn ich das so zusammenfassen darf, dann also: Es fehlt nicht an Input. Oder, um es mal so ein bisschen vergleichend zu präsentieren: Also, es gibt genug Trainingspläne im Netz, aber man lernt es eigentlich erst, wenn man tatsächlich dann die Liegestütze macht, beziehungsweise das Lauftraining. Kann man das so zusammenfassen?

[00:25:15] Tamara Heck:
Genau, das ist gut erklärt. Genau. Also, der andere Punkt ist auch, es informieren sich sehr viele dann über Open Science oder auch offene Lehrpraktiken. Und ich hatte auch mal ein kleines Projekt, da habe ich Lehrende begleitet über ein Jahr, und die hatten am Anfang viele Ideen, es gab einen Workshop. Und dann hatte ich aber hinterher ein bisschen rausgestellt, dass sie gar nicht die Möglichkeit hatten, das gerade zu machen oder zu testen, aus verschiedenen Gründen. Und dann kommen einem aber auch nicht die Fragen. Und erst, wenn man, wie gesagt, wenn man es machen will, wenn man loslaufen will, sozusagen, dann kommen die Fragen, und dann braucht man die Antworten. Und da ist es, glaube ich, gut, wenn man irgendwo vielleicht dann diese Good Practices hat oder eben seine Community, die man dann direkt fragen kann und wo man dann die Ressourcen findet. Genau.

[00:26:07] Doreen Siegfried:
Okay. Wenn es jetzt um das Thema Open Science in der studentischen Lehre geht, also welche Schlüsselkompetenzen benötigen denn Studierende für Open Science? Also, was sollte ja ein Open-Science-Baukasten für Anfänger:innen und Fortgeschrittene enthalten?

[00:26:26] Tamara Heck:
Genau. Erst mal, was ich wichtig finde, ist auch immer, Studierende vor allen Dingen darüber aufzuklären, was, warum machen wir überhaupt Open Science? Warum ist das wichtig? Ich glaube, dass Studierende sehr wenig von dem wissenschaftlichen Alltag und den Arbeitsweisen mitbekommen. Also, ich habe das als Studentin gar nicht mitbekommen, und mir war das auch gar nicht bewusst, dass meine Dozierenden eigentlich auch Forschende sind und noch andere Sachen machen. Ich glaube, man muss sich in deren Lage hineinversetzen, und man muss da erst anfangen, zu das so ein bisschen zu erklären. Also da geht es um das Verständnis eben, wie Wissenschaft arbeitet, welche Infrastrukturen, digitalen Infrastrukturen wir aber auch haben, wo praktisch im Digitalen auch Open Science stattfindet, welche Ressourcen wir da haben, wie man die bewerten sollte, wie man die nutzen kann und… Genau, Studierende sollten dann auch wissen, wer sind die relevanten Infrastrukturbetreiber im Wissenschaftssystem? Was sind Repositorien, wie funktionieren die. Also so bisschen digitale Kompetenzen natürlich auch haben. Damit sie auch später die Open-Science-Praktiken zum Beispiel in der Lehre auch anwenden können oder umsetzen können. Damit sie wissen, wie melde ich mich beim Repositorium an, was muss ich da… Wie kann ich da eine Ressource hochladen? Was ist da wichtig? Genau. Und beim Open-Science-Baukasten für Anfänge:rinnen glaube ich, da haben wir schon gute Ressourcen. Also da finde ich es eben wichtig, auch einzufangen, was trägt Open Science zur Qualität in der Wissenschaft bei, was sind so die Grunddimensionen. Und, wie eben gesagt, Fortgeschrittene brauchen, dann eher fachbezogene Methoden und Beispiele, wie man was umsetzen kann. Und ich glaube, da spielt sich dann viel in den… Oder, ich finde es sinnvoll, wenn sich das in den Fachcommunities abspielt und da die Diskussionen stattfinden. Weil die Fächerkultur natürlich sehr unterschiedlich ist und sehr unterschiedliche Praktiken existieren.

[00:28:33] Doreen Siegfried:
Ja. Okay. Welche Bedeutung hat denn das Erlernen von Kollaborationen für das Thema Open Science und Open Education? Also, letztlich geht es ja, nach meinem Verständnis, bei Open Science ja immer darum, für eine gewisse Zusammenarbeit innerhalb der wissenschaftlichen Community zu sorgen. Sei es jetzt in meiner Fachdisziplin, aber auch anschlussfähig zu machen, für angrenzende Fachdisziplinen, anschlussfähig zu machen vielleicht für außerakademische Interessent:innen. Also, Kollaboration und Open Science, spielt ja eine große Rolle. Muss ich das lernen als Studierende? Was haben Sie dazu zu berichten?

[00:29:20] Tamara Heck:
Ja, ich glaube, das ist schon essenziell. Also Kollaboration und auch Kommunikation, die wird immer so ein bisschen vorausgesetzt, aber das ist gar nicht so. Also, es gibt verschiedene Wege, und da muss man sich auch erst zum Beispiel in einer Gruppe abstimmen und ein gewisses Agreement vereinbaren, wie das denn zu machen ist. Also, ich glaube, eine Grundfrage, aber auch bei uns in der Forschung, ist immer, wenn es ein neues Projekt beispielsweise gestartet wird, welche digitale Infrastruktur nutzen wir denn, wie kommunizieren wir überhaupt, oder wie tauschen wir Dokumente aus? Und genau da geht es viel am Anfang, um das man sich eben abstimmt und schaut, welche Prozesse haben wir, und wie können wir das organisieren, sozusagen. Und ich glaube, das ist auch etwas, was man gut in die Lehre, in den Unterricht einbringen kann. Also, es gibt ja immer, es gibt ja viel Gruppenarbeit, glaube ich, unter den Studierenden. Aber also, es ist schon, ich finde das immer interessant, wie sie sich dann organisieren, was sie nutzen. Und ich versuche da immer, so ein bisschen Hilfestellung zu geben, wenn ich vielleicht sehe, das funktioniert noch nicht so gut, oder die Studierenden kennen sich auch nicht so gut untereinander. Genau. Deshalb finde ich das sehr, sehr wichtig. Und ich glaube, da gibt es aber keinen Standard, den man vorgeben kann. Das ist so eine Aushandlungssache, und da muss… Ich erlebe das bei uns in der Forschung, da muss man vielleicht auch mal Kompromisse eingehen und sagen: Okay, wir einigen uns jetzt auf die und die Prozesse, auch auf neue Tools. Das immer ein leidiges Thema, nicht schon wieder was Neues. Aber ich glaube, das ist wichtig, wenn man dann in der Gruppe wirklich gut zusammenarbeiten will.

[00:31:02] Doreen Siegfried:
Aber haben Sie Erfahrungen gemacht? Also gerade wenn sie sagen, die Leute kennen sich noch nicht so gut, kommen vielleicht auch noch mehr oder weniger frisch aus der Schule oder sind vielleicht sogar, ich sag mal, in Anführungsstrichen leicht, das Wort, das passt nicht so gut, aber ich will nicht sagen „verdorben“. Aber wenn man eine ganze Weile, wenn man eine ganze Weile studiert und immer nur an sich denkt: Ist es jetzt für mich relevant? Wie komme ich jetzt hier weiter und so weiter? Ich weiß nicht, wie kollaborationsfähig Studierende sind in den unterschiedlichen Phasen. Muss ich da sowas einbauen wie Teambuilding oder sowas, dass man erst mal lernt: Okay, wir sind eine Gruppe, wir haben unterschiedliche Interessen. Ich muss das akzeptieren. Ich lasse andere ausreden. Also, so die Grundlagen von guter Zusammenarbeit, muss ich das den Studierenden beibringen?

[00:31:55] Tamara Heck:
Unter Umständen. Ich sage mal, wenn die in den ersten Semestern, je nachdem, habe ich schon erlebt, dass man da auch bisschen unterstützen muss. Also, ich weiß, wir hatten mal eine neue Lernplattform und dachten, das ist ganz toll, und ich glaube, es gab teilweise auch Gruppenarbeit, und da haben Studierende aber einfach, kannten sich, also kannte sich so ein kleiner Teil, und die haben dann irgendwann berichtet, ja, wir sind eh über Facebook vernetzt, wir machen das darüber, da kann man auch kommunizieren. Da waren aber andere ausgeschlossen. Ich glaube, das war auch eher nicht, das war völlig unbeabsichtigt. Aber das war so das, was sie kannten, und dann dachten die, das ist doch total einfach, und dann machen wir das. Oder sie sehen aber… Also, genau, sie haben da nicht den Mehrwert gesehen, dass es vielleicht auch für die ganze Gruppe interessant ist, die Dokumente zu teilen und darüber zu kommunizieren. Das ist jetzt genau bei meinen Masterkursen. Also, ich nutze dann Moodle, und das funktioniert auch, also die teilen da alles. Allerdings, die Kommunikation läuft, glaube ich, immer noch eher unter den Studierenden, was vielleicht auch ein bisschen daran liegen mag, dass sie das nicht so, ich sag mal, vor den Augen der Dozierenden, machen wollen, weil ich hier alles sehen würde. Ich hatte das mal abgefragt in einer Umfrage, da hieß es, nein, dass es finden wir nicht schlimm, aber ich glaube schon, dass das… oder, dass es aber auch schneller geht über diese, ich sag mal Alltagskanäle, also wie WhatsApp oder so, es geht einfach für die in dem Moment dann effektiver.

[00:33:38] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Was wissen wir denn über die Praktiken der Integration von Open Science in das Lernen und Lehren? Also kann man schon sagen, XYZ das ist erfolgreich, und das ist nicht erfolgreich. Das haben wir jetzt geforscht, das funktioniert nicht so gut. Ist das ein Thema, womit Sie sich in ihrer Forschung beschäftigen?

[00:34:00] Tamara Heck:
Also, Open Science in die Hochschullehre, jetzt speziell oder allgemein?

[00:34:07] Doreen Siegfried:
Ja, genau. Welche Integrationspraktiken in die studentische Lehre gut funktionieren? Also kann man da schon sozusagen so die vielleicht Rezepte weitergeben an andere Kolleg:innen und vielleicht gibt es aber auch Sachen, wo Sie sagen, okay, das haben viele versucht, das funktioniert aber nicht so gut.

[0:34:28] Tamara Heck:
Also, ich glaube, es gibt schon sehr gute Beispiele, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass studentische Arbeiten veröffentlicht werden, teilweise ist das auch jetzt verpflichtend. Oder wenn Studierende zum Beispiel, was ich mal gemacht habe, über ein Wiki, über eine Blogseite berichten, über das, was im Kurs passiert, und dann Blogeinträge schreiben. Was ich mitgenommen habe, weil ich auch von anderen kenne, ist eben, dass man eben die Rollen klarmachen muss und dass man, zum Beispiel, wenn man sowas macht wie jetzt, arbeiten in einem, in einem öffentlichen, dass man den Studierenden klarmachen muss, dass das auch dann offen ist im Internet. Weil das normalerweise so ist, dass sie entweder dem Dozierenden nur etwas per E-Mail schicken oder irgendwo hochladen, und das sieht sonst kein anderer. Das ist, glaube ich, wichtig, dass man dann die Rollen klärt und auch, was man dann vorhat und wer dann auch die Verantwortung übernimmt. Beispielsweise dass man sagt, die Studierenden stehen mit dem Namen dann auf einer Blogseite, und das finde ich als Dozierende und ich kann das auch nicht immer prüfen, ich habe das vorab nicht geprüft, sondern es war direkt öffentlich. Das ist etwas Neues, was man auch vorher dann erklären muss, dass das jetzt so gemacht werden soll. Genau. Und wichtig ist für die Integration, glaube ich, wenn man diese Open-Science-Praktik, man hat ja in der Regel ein oder zwei Praktiken, also man hat ja einen Fokus, dass die irgendwie auch, das verständlich gemacht wird, warum die im Kurs wichtig sind, warum wir das machen, dass die aber auch Teil der Prüfungsleistung sind in irgendeiner Weise, also das ist das nicht so, ich sag mal, so, eine offside Aufgabe ist, die nachher nicht bewertet wird, was nicht wichtig ist. Sondern ich habe mir dann auch überlegt, wie kann ich das bewerten und wie fließt das ein? Weil sonst wird es eher halbherzig bis gar nicht gemacht, weil der Fokus liegt immer auf das, was am Ende bewertet wird.

[00:36:31] Doreen Siegfried:
Ja, ja, okay. Vielleicht noch mal zum Thema Lehrkonzept. Was macht denn vielleicht ein gutes Lehrkonzept generell aus, und was benötigt ein gutes Lehrkonzept für Open Science? Also gibt es da Unterschiede?

[00:36:44] Tamara Heck:
Würde mir jetzt nicht einfallen. Also, ein gutes Lehrkonzept für mich ist wirklich, wenn die Lernziele dann mit den Prüfungszielen übereinstimmen. Also wenn ich will, dass Studierende eben eine Open Science Praktik lernen und auch umsetzen, dann muss ich das am Ende irgendwie abprüfen und auch bewerten. Das finde ich… Genau. Das finde ich wichtig. Man kann beispielsweise sagen, dass in dem, wenn man jetzt Blockeinträge schreiben lässt oder einen Wiki kreieren lässt, dass man sagt, es zählen, nicht nur die inhaltlichen, die thematischen Inhalte, so wie man die ich auch in einer Hausarbeit schreiben könnte, sondern dass es da Kriterien gibt, wie der Aufbau des Blogeintrags, ist der gut lesbar. Gibt es da die Verlinkungen? Wurden vielleicht andere Ressourcen verlinkt oder OER eingesetzt? So etwas.

[00:37:35] Doreen Siegfried:
Okay, was mich noch interessieren würde, wie können dann offene Daten oder auch so Open Textbooks, also gemeinsam erstellte Lehrmaterialen, in die Lehre integriert werden?

[00:37:48] Tamara Heck:
Ich glaube, sehr gut. Also, wenn es um offene Forschungsdaten geht. Da sehe ich eine große Chance, weil die Studierenden müssen, nicht erst selbst Forschungsdaten kreieren, oder ich muss als Dozierende nicht irgendwie schauen, Forschungsdaten herzubekommen, sondern ich kann die als Beispiel nehmen, und das sind ja realistische Daten. Das ist auch, glaube ich, interessanter für Studierende, also wirklich erhobene Daten, an denen beispielsweise Studierende analytische Methoden üben können, wie Umfrage- oder Interviewdaten. Wir haben aktuell Daten zu Forschungssynthesen. Das finde ich, erleichtert die Arbeit enorm, und die kann man nach Thema sehr gut integrieren. Also ich glaube also, es kommt immer mehr, man muss sie natürlich, vorher muss man recherchieren, was es gibt. Aber ich glaube, dass es ganz, es gibt, immer mehr Forschungsdaten, die in der Lehre genutzt werden dürfen.

[00:38:44] Doreen Siegfried:
Okay. Und die Personen, die jetzt Open Science tatsächlich unterrichten, also Open Science und Open Education. Haben Sie vielleicht Tipps für Dozent:Innen, wie die sich am besten gut vernetzen können, gegenseitig unterstützen können? Also gibt es da so spezifische Anlaufstellen?

[00:39:08] Tamara Heck:
Jetzt zu Open Education, beispielsweise, offene Bildungspraktiken kann ich die Seite OERinfo empfehlen. Hier gibt es… Also, zum einen gibt es Tipps zu OER und was man da machen kann, aber da gibt es auch Infos zu Community-Aktivitäten. Wenn man sich da speziell vernetzen will. Wenn es um Open Science Praktiken im Sinne der Forschung geht, würde ich empfehlen, sich erst mal an die Fachcommunity zu wenden, weil es da immer mehr Gruppen gibt, Arbeitsgruppen oder genau Special Interest Groups in Fach-Communities, die jetzt Open Science sozusagen aufgreifen und sich vernetzen. Und genau, wir haben am DIPF beispielsweise auch eine AG dazu, und ich weiß aber auch, dass es Austausch dann in den jeweiligen Arbeitsbereichen und den Fach-Communities gibt, dies dann auch nochmal spezifischer ist, und da starten viele initiativen Bottom-up. Und es gibt sogar online ein Open-Science-Community-Starter-Kit heißt das.

Es gibt Tipps zur Gründung der eigenen Community. Also was man, wie man die aufbauen kann, wie man die angehen kann. Genau. Wir haben innerhalb der Leibniz Gemeinschaft übrigens auch das Strategieforum Open Science, die bieten auch Workshops an zu spezifischen Themen, beispielsweise wie man qualitative Daten nachhaltig gut aufbereitet und teilen kann. Genau, und wenn man eine Anlaufstelle zum Einstieg ins Thema sucht, genau würde ich entweder die Fachcommunity oder auch bei der Institutionsbibliothek nachfragen. Da gibt es auch immer wieder Ansprechpartner. Und spezifische Events zum Vernetzen gibt es mittlerweile auch einige. Im Bereich OER gibt es das OERcamp, was sehr groß ist, und es gibt jetzt das Open Science Festival, das kommt jetzt sogar im September in Mainz. Und vom Strategieforum das Barcamp Open Science ist auch Anfang September in Potsdam. Und da kann man sich austauschen zu verschiedenen Themen und alle Beteiligten können aber auch selbst eigene Themen und Fragen einbringen und das finde ich ganz gut.

[00:41:26] Doreen Siegfried:
Ja, okay. Weil das ist immer ganz hilfreich, wenn man tatsächlich so wie die Studierenden sagen kann, okay, ich bin jetzt hier gerade an dem Punkt, wo ich, sagen wir mal, offene Forschungsdaten einbinden will und dann fragen kann, Frau Heck, wie haben Sie das denn gemacht? Und wie geht das? Und so weiter. Ist dann ja nochmal komfortabler, wenn man sich schon mal kennengelernt hat. Eine Frage habe ich noch, wie können denn Open Science und Open Education letztlich vielleicht sogar zur Chancengleichheit im Bildungswesen beitragen?

[00:42:02] Tamara Heck:
Sehr gute Frage, genau. Chancengleichheit ist ja sehr groß. Also was, worauf der Fokus, glaube ich, lag, ist erst mal den Zugang zu Ressourcen. Also bei Open Science beispielsweise, ist das die Literatur und die Forschungsdaten, bei Open Education sind es die OER, die offenen Bildungsressourcen. Ich glaube, das ist auch sehr, sehr wichtig. Man darf nicht vergessen, man sieht das in Deutschland vielleicht nicht so, weil man da privilegiert ist und Zugang zu sehr vielen hat. Aber es gibt auch sehr viele Personen, die eben sehr, sehr geringen oder keinen Zugang haben, und das ist, glaube ich, auch wichtig. Also, der Zugang ist so die Grundbasis. Wenn wir aber jetzt über mehr Kollaboration und Partizipation sprechen, beispielsweise, dass eben Personen aus nicht privilegierten Regionen, sag ich mal, oder die weniger, genau, dass die jetzt mehr kollaborieren können und so, das ist natürlich eine große Frage. Ich weiß nicht, ob… Also allein der Zugang zu den Ressourcen wird, das glaube ich, nicht ermöglichen. Ich denke, Kerstin Mayrberger hat gerade einen neuen Artikel rausgebracht, wo sie auch sagt, es ist eine Aufgabe aller und es müssen auch die strukturellen Rahmenbedingungen sich ändern. Beispielsweise geht es in der Forschung immer noch viel um Konkurrenz und um Wettbewerb, was vielleicht die Kollaboration und Partizipation auch hemmt. Und gewisse Dinge, zum Beispiel bei der Lehre, die gar nicht in der Hochschullehre, die ja eher weniger Ansehen hat als die Forschung. Da wird man sich da nicht als Dozierende so engagieren und so Kollaboration fördern, wenn es am Ende, wenn man davon wenig Reputation hat, sag ich mal, also, das ist nur ein Beispiel. Ich glaube, da müsste sich. Anderes Beispiel ist mit den Infrastrukturen, zum Beispiel in der in der Bildung, Bildung ist länderspezifisch, und diese Abstimmung über Infrastrukturen, und das wer gibt wem die Ressourcen, das ist schon eine sehr große Frage, und da müsste sich strukturell auch was ändern, um wirklich eine Chancengleichheit zu haben oder mehr zu ermöglichen.

[00:44:25] Doreen Siegfried:
Na ja. Okay, ja, es sind nicht nur die Inhalte. Man braucht natürlich dann noch ganz viel oben drauf. Ich glaube, das haben wir auch in der ganzen Corona-Zeit gesehen, wie wichtig Infrastrukturen sind. Okay. Letzte Frage. Welche konkreten drei Tipps haben Sie für Dozent:innen, beispielsweise auch der Wirtschaftswissenschaften, Open Science in laufende Kurse, laufende Seminare zu integrieren?

[00:44:50] Tamara Heck:
Da wäre mein erster Tipp, sich eine konkrete Open-Science-Praktik, -Praxis oder ein -Element auszudenken, also, das einzugrenzen, also klares Abstecken, was man machen will, das auch nicht zu groß ist. Also das halt auch zeitaufwändig ist und in den jeweiligen Kurs passt, auch mit den Lernzielen und dem Umfang. Studierende müssen das auch machen, die Zeit muss man einplanen, sozusagen. Zweiter Tipp wäre, wenn man das einführt, auch eine kleine Einführung zu geben, warum wir das dann machen oder die Studierenden das machen wollen, also was, warum Open Science wichtig ist. Da gibt’s auch tolle Ressourcen online, die kann man super nachnutzen, das muss man auch nicht selbst machen. Ich nenne eine Einführung mal, weil ich sie jetzt auf twillo gesehen habe. Da gibt es auch verschiedene, aber da gibt’s eine Einführung Open Science von Felix Schönbrodt als OER. Das kann man gut nachnutzen. Es gibt aber auch viele Übersichtsseiten von den Universitäten. Da würde ich auch schauen, die haben auch gute Ressourcen. Und da ist wichtig, dass man eben deutlich macht, was ist jetzt der Mehrwert der Umsetzung im Kurs. Und als dritten Tipp würde ich sagen, macht die Umsetzung der Open Science Praxis zur Prüfungsleistung. Also wenn auch nicht als zentrale Leistung des Kurses, aber man kann so Kriterien definieren, einige, die man eben am Ende bewertet. Und das auch dann transparent macht und klarmacht, dass genau das Teil davon ist.

[00:46:24] Doreen Siegfried:
Okay. Ja, ganz klare Anreize schaffen, das ist doch ein gutes Ende. Also, vielen Dank, Frau Dr. Heck. Vielen Dank auch an Sie an den Kopfhörern. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Lassen Sie uns gerne Lob oder Kritik da. Gern via E-Mail, Mastodon, YouTube oder LinkedIn. Wir freuen uns natürlich auch, wenn Sie uns abonnieren, und ich freue mich aufs nächste Mal.